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04. Juli 2024

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Innovation ist Vertrauenssache

Innovation ist VertrauenssacheHappy Plating

Die beim NÖ Innovationspreis 2009 vorgestellten Projekte bilden eine Leistungsschau zukunftsorientierter nieder-österreichischer Unternehmen. Sie zeigen die große Bandbreite neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, die in verschiedenen Branchen der niederösterreichischen Wirtschaft in jüngster Zeit entwickelt wurden.

Schon mit 17 Jahren erhielt Karl Ghega an der Universität von Padua den Doktortitel für Mathematik. Ein Jahr zuvor hatte er dort sein Diplom als Ingenieur und Architekt erworben. 1848 begann Ghega mit dem Bau der von ihm geplanten Semmeringbahn. Das Bauwerk wurde aufgrund seiner technischen Raffinesse berühmt, hatte die Bahnüberquerung des Semmerings doch damals als technisch zu aufwendig bis unmöglich gegolten. Noch vor der Fertigstellung wurde Ghega 1854 dafür in den Ritterstand erhoben.

Und die Gewinner sind
In dieser Tradition stehend präsentiert der „Karl Ritter von Ghega“-Preis, der Nieder­österreichische (NÖ) Innovationspreis, hervorragende technologische Neuerungen, die in diesem Bundesland hervorgebracht wurden. Der Preis ist eine Auszeichnung für Innovationsprojekte niederösterreichischer Unternehmen und für innovative Entwicklungen niederösterreichischer Forschungseinrichtungen. Die Auszeichnungen und die öffentliche Prämierung sollen die Bedeutung von Innovation und Forschung für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der niederösterreichischen Wirtschaft unterstreichen.
Der NÖ Innovationspreis 2009 wurde in vier Kategorien vergeben. Den Hauptpreis in der Höhe von 10.000 Euro stiftete das Land Niederösterreich; das Siegerprojekt jeder Kategorie erhielt einen Sponsorpreis. 110 Projekte wurden eingereicht. Zwölf Projekte (drei in jeder Kategorie) wurden in die engere Auswahl genommen.
Zum besten Innovationsprojekt 2009 wurden die „Mikrodruckknöpfe für Hochleistungsverbundsysteme“ des Unternehmens Happy Plating gekürt. Basierend auf einem internationalen Grundlagenforschungsprojekt konnte in den Forschungslabors von Happy Plating über elektrochemische Hochfrequenzpulse ein Prozess zur gleichmäßigen Herstellung miniaturisierter Druckknöpfe aus Metall für die Anwendung in der Hochleistungselektronik entwickelt werden. Durch den Einsatz von Happy-Plating-Verfahren lassen sich Verbundstoffe frei von jeglichen Klebstoffen herstellen. Diese neuartige Technologie erschließt ein breites Anwendungsspektrum – von der Hochleistungselektronik über die Energietechnik bis hin zum automotiven Bereich.
In der Kategorie „Innovationsprojekte NÖ Forschungseinrichtungen“ wurde die „innovative Wasserstoffspeicherung in hohlen Mikroglaskugeln“ des AIT – Austrian Institute of Technology zum Siegerprojekt gewählt. Das von AIT entwickelte Speicherverfahren könnte der notwendige Impuls für einen Durchbruch umweltfreundlicher Wasserstoffsysteme im mobilen Sektor sein. Unter den „Investitionsgütern und Prozessinnovationen“ ging Backhausen mit seiner Returnity-Technologie, den weltweit ersten umweltfreundlichen und wiederverwertbaren Flammhemmendstoffen aus Trevira CS, als Sieger hervor.
Mit ihrem Vibrostimulationsschuh, einem medizinischen Therapiegerät, das Nervenrezeptoren in der Fußsohle stimuliert und damit die Steuerung der Motorik im Gehirn verbessert, gewann Pollmann Aus­tria in Kooperation mit Science & Research Marketing in der Kategorie „Konsumgüter und Produktinnovationen“. Bei den „Organisations- und Marketinginnovationen“ belegte Eybl Development mit der Entwicklung der Software VDP (Virtual Design Process) den ersten Platz. VDP dient der dreidimensionalen Darstellung von automotiven Interieurkomponenten, Sitzbezügen und kompletten Cockpits.

Kompetente Begleitung
Im Rahmen der Preisverleihung am 21. Oktober wies Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav auf die Anstrengungen des Landes Niederösterreich hin, Innovationsprojekte durch vielfältige Förderangebote von Anfang an zu begleiten: „Gerade in den frühen Innovationsphasen sind unternehmerischer Gestaltungswille und verlässliche Partner gefragt. Durch die Zusammenarbeit mit kompetenten Partnern können Innovationsprozesse beschleunigt und Risiken abgefedert werden.“
Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich, sprach die Wichtigkeit der TIP (Technologie- und Innovationspartner) an, die eine effektive Unterstützung für Innovationsprojekte in Niederösterreich bieten: „Unsere TIP haben in ihrer täglichen Arbeit über die Jahre ein umfangreiches Know-how angesammelt – eine Kompetenz, auf die man sich verlassen kann. Denn Innovationsservice ist eben auch Vertrauenssache.“

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Economy Ausgabe 77-10-2009, 23.10.2009

Traum und Trauma der Automobilindustrie

Traum und Trauma der Automobilindustrie

Nicht erst seit der Finanzkrise ist erkennbar, dass sich die weltweiten Automobilmärkte mit Überkapazitäten in einer Größenordnung von 20 bis 30 Prozent in einem tief greifenden, nicht umkehrbaren Strukturwandel befinden. So sind die traditionellen Märkte Nord­amerika, Westeuropa und Japan, auf die noch immer die Hälfte des Welt­automobilabsatzes entfällt, weitgehend gesättigt. Hohe Wachstumsraten sind in den Emerging Markets Osteuropas und Lateinamerikas und vor allem in Asien zu erwarten. Hinzu kommt, dass die Osterweiterung der EU den Standortkostenwettbewerb zwischen den etablierten westeuropäischen und Low-Cost-Standorten in Zentral- und Osteuropa erkennbar verschärft hat. Weiters hat die Diskussion um den Klimawandel in vielen Ländern zu gesetzgebenden Maßnahmen geführt. So etwa durch die CO2-Richtlinie der EU, die bis 2012 einen verbindlichen CO2-Grenzwert von 130 Gramm pro Kilometer vorschreibt. Hinzu kommen die absehbaren Verknappungen auf den Ölmärkten, die wiederum zu deutlich steigenden Öl- und Kraftstoffpreisen führen werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Die Finanzkrise ist nicht die Ursache, sondern lediglich der Katalysator für den Transformationsprozess der Autoindustrie, die zwischen Depression und flüchtiger Euphorie schwankt.
Dies spiegelte sich auch auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt – einer Messe in den Wechseljahren – als wichtigster Leistungsschau der Branche wider. Fast ein Drittel weniger Aussteller als vor zwei Jahren, viele Stände verkleinert und einfacher gestaltet. Seitdem das Wissen über den Klimawandel Mainstream ist, sind wir darüber im Bilde, dass sich die Spirale aus mehr Leistung, rasanterer Beschleunigung, höherer Geschwindigkeit und mehr Gewicht nicht ewig weiterwinden kann. Lockte die Messe bislang als diätfreie Zone, auf der sich technische Leckerbissen wie Kalorienbomben in den Auslagen eines Feinkostgeschäfts türmten, gab es heuer allenfalls automobiles Schwarzbrot. Als würde der letzte Tropfen Benzin schon morgen gezapft werden, spricht man in der Branche derzeit kaum noch von etwas anderem als von Elektrofahrzeugen.
Ein echter Hype! Neue Appetitanreger auf vier Rädern haben mindestens einen Elektromotor an Bord, um selbst automobile Big Macs auf die schlanke Linie zu trimmen. Die E-Performance wird auch auf Österreichs Straßen nicht spurlos vorübergehen. Kann man sich den ab 2010 erhältlichen 40 PS Smart ED mit einer Reichweite von 120 Kilometern noch als Boten für die Bio-Pizza vorstellen, fällt es beim 150 PS starken Opel Ampera, zum Schnäppchenpreis von 37.000 Euro angekündigt, schon schwer, sich darüber zu freuen, wenn er den Außendienstler 60 Kilometer weit seine Geschäfte erledigen lässt. Weiters ist bei vielen Modellen fraglich, ob diese, beispielsweise der amerikanische Tesla mit 450 Kilo schweren Lithium-Ionen-Batterien oder Volkswagens Ein-Liter-Hybrid-Studie L1, die ab 2011 serienreif sein soll, es überhaupt über den Brenner schaffen. Die Messe verwirrte mit vielen unterschiedlichen Batterie-, Hybrid-, Plug-in-Hybrid- oder Range-Extender-Konzepten. Doch die grüne Revolution muss ihre Kunden erst noch gewinnen. In einer aktuellen Studie zu Trends beim Autokauf 2009 gehen 70 Prozent der Befragten davon aus, dass der Elektroantrieb in den nächsten zehn Jahren das größte Potenzial in Sachen Umweltschutz habe. Aber an der Kassa schwindet das Bewusstsein schnell. Die Neigung, für verbrauchsarme Fahrzeuge mehr zu bezahlen, ist gegenüber 2007 sogar gesunken. Für 28 Prozent der Befragten kommen Mehrkosten generell nicht in Frage. Selbst bei Zahlungswilligen ist die Schmerzgrenze bei 500 Euro Mehrkosten erreicht. Die eigentliche Automobilkrise kommt also noch. Sie beginnt damit, dass kaum ein Hersteller weiß, wie er Fahrzeuge mit Kabelanschluss gewinnbringend verkaufen kann.

christian czaak, Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009

Intelligente Verkehrssysteme made in A

Intelligente Verkehrssysteme made in AAustriatech

Mit dem Projekt „Coopers“ ist in Wien eines der EU-Leitprojekte für Verkehrstelematik angesiedelt. So soll das Auto bereits in wenigen Jahren dem Fahrer durch Informationen ein Plus an Sicherheit liefern, um die Anzahl von Toten im Straßenverkehr auf nahezu null zu senken. Für 2012 wurde eine Telematik-Leitkonferenz nach Wien geholt.

Autos kommunizieren mit anderen Autos. Autos kommunizieren mit der Infrastruktur. Der Motor startet nur, wenn der Fahrer nüchtern ist. Solche und andere intelligente Verkehrssysteme (ITS) sollen den Verkehr sicherer, effizienter und umweltverträglicher machen. So erwarten sich die Experten von Systemen, die den Fahrer entlasten, weil das Fahrzeug bestimmte Manöver selbst übernehmen kann, einen Sicherheitssprung ähnlich dem Stufenführerschein, der Helmpflicht oder dem Sicherheitsgurt. Weiteres Kernthema der ITS ist die Reduktion von Schadstoffen. Stiegen doch die Emissionen in den letzten zehn Jahren um 20 bis 25 Prozent. Intelligente Verkehrssysteme können dazu beitragen, auch im Verkehr Emissionen zu senken.
Sicherheit, Effizienz und Umweltverträglichkeit stehen denn auch im Mittelpunkt des jährlich stattfindenden ITS-Weltkongresses, der international größten Veranstaltung für Telematik. Heuer trafen sich Ende September rund 6000 Teilnehmer aus dem IT-, Telekom- und Automationssektor, aus Verkehrspolitik und Forschung in Stockholm. In 260 Vorträgen wurden die aktuellsten Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung präsentiert und die Rahmenbedingungen für Telematik diskutiert.
Von 17. bis 21. September 2012 wird diese Leistungsschau erstmals in Wien stattfinden. Frühe Partner des Wiener Weltkongresses sind AIT, Asfinag, AVL, Kapsch Traffic Com, Efkon sowie der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) mit ITS Vienna Region.
Diese Unternehmen waren auch erfolgreich in Stockholm vertreten: Unter anderem präsentierten sie die Verkehrsinformationssysteme www.­verkehrspilot.at und www.anachb.at und TMC Plus (www.tmcplus.at). Dieser Service von Asfinag und Hitradio Ö3 hilft, Staus und Unfälle zu vermeiden. Verkehrsmeldungen sollen damit noch schneller und gezielter an die Navigationsgeräte versendet werden.

Elektronik, die hilft
Der Weltkongress in Wien wird sich unter anderem mit den Themen E-Mobility, den verbesserten Navigationsmöglichkeiten durch Galileo und mit kooperativen Systemen auseinandersetzen. Darunter versteht man die Verarbeitung von verkehrsrelevanten Daten aus Fahrzeugen und Infrastruktur sowie die Übertragung dieser Daten auf On-Board-Units, die dem Fahrer gezielte Informa­tion und damit Entscheidungshilfen liefern.
Als Gastgeber fungiert das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). Austriatech als dessen Telematik-Agentur ist für die Organisation des Kongresses zuständig und maßgeblich am Programm beteiligt. Ein wichtiger Punkt ist, die große Gruppe der Nutzer umfassend zu informieren und aufzuzeigen, welche Vorteile diese Systeme im täglichen Verkehr haben.
Technische Demonstrationen sollen die Akzeptanz der Zielgruppe zusätzlich erhöhen. Eines der Leitprojekte der Austriatech, Coopers (Co-operative Systems for Intelligent Road Safety, Ko-operative Systeme für intelligente Straßensicherheit), wurde heuer in Stockholm demonstriert. Zurzeit wird das System auf sechs Demonstrationsstrecken getestet. Diese befinden sich am Brennerkorridor Deutschland – Österreich – Italien, in den Niederlanden, in Belgien, Frankreich und an der Ringautobahn in Berlin.
Auf der A12 bei Wattens steht schon eine 15 Kilometer lange Teststrecke. Zwischen 2011 und 2015 ist ein von der EU geförderter Großversuch geplant, der über 20 Mio. Euro kosten wird. Coopers sammelt dazu Informationen der Autos und bastelt daraus ein Lagebild, mit dem die Tempolimits flexibel gestaltet werden können. Bildet sich ein Stau, melden dies die darin befindlichen Fahrzeuge an die Zentrale. Die­se reduziert dann das Tempo im Vorfeld und schickt diesen Hinweis an die Navigationsgeräte der nachfolgenden Fahrzeuge. Gleiches ist natürlich bei Schneefall, Baustellen oder Geisterfahrern möglich.

Mehr als Navigation
Erste Teilbereiche von Coopers könnten bereits 2012 auf der ITS in Wien einsatzbereit sein. Im Jahr 2015 soll es erste operative Systeme geben. Voll dürfte das System europaweit wohl aber erst ab 2021 arbeiten. Größtes Problem ist derzeit die Übertragung der riesigen, dafür nötigen Datenmengen. Laut Alexander Frötscher, Senior Projekt-Manager von Coopers, soll die Architektur aber so offen sein, dass alle Daten­übertragungsmedien wie UMTS oder der Nachfolgemobilfunkstandard LTE, WLAN, Satellit oder (digitales) Radio verwendet werden können.
Die Ergebnisse aus dem Coopers-Projekt könnten, aber sollen nicht der Überwachung der Verkehrsteilnehmer dienen. „Vielmehr sollten die Autofahrer erkennen, dass zum Beispiel die Einhaltung der empfohlenen Geschwindigkeiten einen Stau verhindern oder Sprit sparen kann“, erklärt Frötscher gegenüber economy.
Ein anderer Aspekt ist auch die Einsparung von Verkehrsschildern oder der in Österreich umstrittenen und vom Rechnungshof kritisierten orangen Informationsbalken über den Autobahnen. Vielmehr werden künftige Systeme Verkehsschilder und so manchen Balken ersetzen und direkt im Auto angezeigt.
Dass die österreichischen Forschungsbemühungen auch über die EU hinausreichen sollen, ist für Frötscher klar: „Es geht darum, weltweit einen ISO-Standard mitzugestalten.“ Außerdem gebe es bereits bestehende Systeme wie etwa in Singapur, die es zu integrieren gilt. Deshalb wird bis zur ITS 2012 in Wien noch viel getestet und entwickelt werden.

Economy Ausgabe 77-09-1008, 23.10.2009

„Ja, ich mag kleine gelbe Autos wirklich“

„Ja, ich mag kleine gelbe Autos wirklich“Photos.com

Wenn Glas splittert und Blech kracht, ist für viele Lenker nichts mehr wie zuvor: vom Autofahren mit möglichst wenig Ego, Wunden wie im Horrorfilm und dem Wunsch, nie mehr wieder ans Steuer zu müssen. Drei Amerikaner erzählen von ihren Kollisionen und den unterschiedlichen Wegen zurück in den Straßenverkehr.

Den Montag nimmt sich Emily McFarlan frei. Am Freitag davor steht die Redakteurin der Chicago Sun-Times mit ihrem Auto am Freeway und sieht zu, wie die Kärtchen des „Star Wars“-Brettspiels, das eben noch auf dem Rücksitz lag, durch die Luft schneien. Die Frau im Auto gegenüber starrt zu ihr herüber, Handy am Ohr, die Notrufnummer 911 gewählt.
Der Freitag ist der erste Arbeitstag nach Neujahr. An einem Straßenabschnitt, wo zwei Autobahnen ineinanderführen, nähert sich ein Lenker von rechts, schneidet über mehrere Spuren und erwischt McFarlans gel­ben New Beetle an der Seite. Ihr Fahrzeug stößt gegen eine Trennwand und überschlägt sich dreimal. Der Airbag wird ausgelöst, die Windschutzscheibe zertrümmert, das Kühlerblech gibt nach.

Zwei Totalschäden
Beim zweiten Mal ist es August. Sie holt ihre Schwester ab und kommt bis zu einer Kreuzung nahe dem Elternhaus. Dort interpretiert ein Führerschein­neuling sein Abbiegergrün als Vorrang und rammt ihr neues gelbes Auto. „Ja, ich mag kleine gelbe Autos wirklich“, kommentiert sie die beiden Fotos der Wracks: sieben Monate, zwei Totalschäden.
Richtig nachgedacht habe sie erst nach dem zweiten Crash: „Ich schreibe beruflich über Unfälle, lese dauernd Unfallberichte. Leute sterben bei viel kleineren Zusammenstößen, und ich kam einfach so davon.“ Die Folgen beim zweiten Mal sind schlimmer. Eine Verletzung der Rippen wird beim Röntgen übersehen, Schmerzen bleiben auch zwei Monate danach. Als sie zwei Tage nach dem Zusammenstoß mit dem Zug zur Arbeit fährt, verliert sie auf dem Bahnsteig kurz das Bewusstsein. Ein Arzt stellt eine Überreaktion des vegetativen Nervensystems fest, eine vasovagale Synkope: „Eine medizinische Umschreibung dafür, dass der Lady emotionales Leid widerfuhr und sie ein Ohnmachtssofa und Riechsalz braucht“, erheitert sich McFarlan.
Zeit, die Vorfälle allzu tragisch zu nehmen, bleibt nicht. „Ich habe keine Wahl. Ich brauche mein Auto für die Arbeit“, sagt sie. Nervös macht sie nur der aggressive Fahrstil in Chicago. Bevor sie überholt, fährt sie inzwischen lieber eine Weile hinter dem Auto her. Wenn sie schließlich beschleunigt, versucht sie, eine Fahrspur zwischen sich und dem Überholten zu lassen.

Nie mehr ans Steuer
Wenn keiner unterwegs war, stieg Scott Gingold ins Auto. Am Sonntag schnell in den Supermarkt, noch bevor sich die Leute zur Kirche aufmachen. Das war nach dem Unfall, der, wie Gingold, Inhaber des Marktforschungsunternehmens Powerfeedback, sagt, nur „geringfügig“ war. Nach dem Unfall war es auch, als ihn ein blauer Lastwagen schnitt. Gingold fährt an den Straßenrand, zittert und weint zehn Minuten lang. „Ich sage nicht, dass ich Superman bin. Aber über alles, was bisher so im Leben passierte, bin ich gut hinweggekommen“, erzählt er. Er arbeitet elf Jahre lang als Notfallshelfer, ist immer als einer der Ersten an der Stelle, wenn etwas passiert. Sein Leben ändert sich, als er mit Frau und Sohn von der Autobahn abfährt, an einem Stoppschild haltmacht und ihm ein Fahrzeug auffährt. Seine Familie bleibt unverletzt, doch Gingold kann sich nicht richtig bewegen. Seine Frau wählt 911. „Ist alles in Ordnung?“, fragt sie. „Ich weiß es nicht“, sagt er. Sie fängt an, ihn in Panik anzuschreien. Feuerwehr und Polizei kommen.
Er geht schließlich am Stock, muss in einen anderen Bundesstaat zur Wirbelsäulenbehandlung. Er versucht, die Fahrt von Pennsylvania nach Virginia zu vermeiden: „Ich hatte solche Angst, mit dem Auto unterwegs zu sein.“ Als sich die Schmerzen nicht bessern und Depressionen hinzukommen, sucht er einen Psychologen auf. Bei dem sitzt er dann, erzählt, weint und lernt, mit dem Unfall umzugehen. Leuten, denen es ähnlich ergeht, rät er, den Stolz beiseitezulassen: „Seid gescheit und holt euch Hilfe“, sagt er eindringlich.
Die Lenkerin, die seinem Auto auffuhr, entschuldigt sich nie. Das trägt zum Stress bei, ebenso wie die Unnachgiebigkeit der Versicherung, für Kosten abseits des Notwendigsten aufzukommen. Die Versicherung hat Gingold gewechselt. Leuten, die am Steuer mit dem Handy telefonieren, sagt er mitunter die Meinung. „Wenn ich nur nie mehr fahren müsste“, denkt er sich noch immer.

Mit Prius gegen Ego
Zwischen 1995 und 1998 hatte Brant Skogrand, PR-Mann bei Risdall McKinney Public Relations in Minneapolis, vier Unfälle. Vor dem letzten ist er auf einem Pearl-Jam-Konzert. Auf dem Heimweg rammt ein betrunkener Lenker die Breitseite seines Autos: „Nicht schon wieder“, denkt er sich. Die ersten drei sind Auffahrunfälle, einer davon mit einer 90-Jährigen, die Probleme beim Tiefensehen hat. Zwar hatten mehrere Autos vor ihm bereits gebremst. Die Seniorin schafft es dennoch nicht, rechtzeitig zu reagieren.
Nach dem ersten Blechschaden ist er nervös hinterm Steuer, fährt betont defensiv. Nach dem letzten, 1998, rät ihm seine Frau, eine Art Fahrauffrischungskurs zu machen, wie er für reifere Lenker angeboten wird. Skogrand ist 30, als er den Kurs „55 Alive“ belegt. Er nimmt danach, wie er es bezeichnet, „sein Ego aus dem Fahren“. Der Toyota Prius, den er nun fährt, passt dazu: „Es ist keine Corvette oder etwas in der Art. Ich konzentriere mich nur darauf, von Punkt A zu Punkt B zu kommen.“ Manche psychischen Verletzungen hingegen würden erst im Laufe der Zeit deutlich. „Wie zum Beispiel jedes Mal ein bisschen auszuflippen, wenn man die Unfallstellen passiert“, so Skogrand.

Blaues Auge für später

Nachdem sie sich mit ihrem Auto dreimal überschlägt, erzählt Journalistin McFarlan, ist alles voller Blut. Sie vermutet zunächst eine Kopfwunde, doch der Airbag und die zertrümmerte Windschutzscheibe hatten ihre Hände verletzt. Ein Autofahrer am Unfallort bringt ihr Taschentücher. „Es tropfte wie in einem Horrorfilm“, lacht sie und fügt hinzu: „Ich habe einen ziemlich soliden Sinn für Humor.“
Später sieht sie, dass sie bei der Kollision das „perfekte blaue Auge“ davontrug. Die Verletzung spielt alle Farben, und ihre Kollegen in der Zeitung schießen gleich ein Foto davon. Man wisse ja nie, ob man das Sujet nicht einmal als Aufmacher für eine Unfall-Story verwenden könne.

Economy Ausgabe 77-09-1008, 23.10.2009

Ein archaisches Vergnügen

Ein archaisches Vergnügen

Schnell, stark und edel auf vier Rädern unterwegs sein – eine uralte menschliche Passion. Zwischen Models und Modellen konnte man kürzlich auf der 63. Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt „Erleben, was bewegt“. Zeitgeistig wurde Besuchern der Beginn des leise wie ein Rasierapparat heransurrenden elektrischen Zeitalters vorgegaukelt. Eine weiß-blaue Nobelmarke mutierte mit einer Studie zum grünen Konzern, der in einem Schneewittchensarg vorfahrende Massenhersteller aus Wolfsburg schwelgte in Blue Motion, und die Stuttgarter Edelschmiede feierte sich mit „seriennahen“ Fahrzeugen als Retter des Planeten. Indem sie das Elektroauto zur Vision machte und die Gegenwart als Beleg nahm, dass bisherige Autotechnik „zum Protzen diente“ und dem „Leistungswahn“ huldigte, knickte die Automobilindustrie vor ihrer eigenen Scheinheiligkeit ein und übte sich in Demut. Dass der Verbrennungsmotor lange nicht am Ende ist, zeigte sich in Halle 5. Dort präsentierte Mercedes-Tuner Brabus ein Monument der Sinnlosigkeit: eine mattschwarze E-Klasse-Limousine mit Zwölfzylinder-Motor und zwei Turboladern, 800 PS stark und mit einer Spitzengeschwindigkeit von weit über 300 Stundenkilometern. Das Monster braucht vollverkleidete Hinterräder und Spoiler, um nicht abzuheben. Über den Verbrauch mag man nicht einmal nachdenken. Eben, ein archaisches Vergnügen.

Economy Ausgabe 77-09-1008, 23.10.2009

Management im Dialog

Management im DialogPeter Drucker Society

Das neue Peter F. Drucker Forum bringt Spitzenmanager nach Wien.

Die New York Times nannte ihn einst „the man who invented management“. Bis heute gilt der in Wien geborene Peter F. Drucker als einer der einflussreichsten Management-Vordenker. Am 19. November 2009 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Dies nimmt die neu gegründete Peter Drucker Society Austria zum Anlass, um in Wien ein internationales Spitzentreffen führender Management-Denker auszurichten.

Gesellschaftliche Funktion
„Peter Drucker war immer auch Advokat verantwortungsvollen Handelns in Führungs- und Managementfragen. Dank seiner ganzheitlichen Sichtweise und seines visionären Weitblicks dachte er wesentliche Entwicklungen der Wissensgesellschaft voraus“, sagt Richard Straub, Gründungspräsident der Drucker Society Austria.
Daran will auch das erste Peter F. Drucker Forum Vienna anknüpfen. Gefragt wird nach neuen Lösungsansätzen für ein zukunftsfähiges Management. „Für Drucker war Management nie ein isoliertes Themenfeld und auch kein Selbstzweck, sondern eine vitale gesellschaftliche Funktion“, so Straub.
Das am 19. und 20. November stattfindende „1st Global Peter F. Drucker Forum Vienna“ richtet sich an internationale Führungskräfte, Wissenschaftler und Dozenten von Business Schools und Wirtschaftsfakultäten, Ökonomen und Unternehmensberater.
Als Referenten werden unter anderen erwartet: der Management-Guru C. K. Prahalad, der Sozialphilosoph und Doyen der europäischen Management-Vordenker Charles Handy, der Vorsitzende des Management Centers St. Gallen Fredmund Malik und Philip Kotler, der Vater des modernen Marketings.

Termin
„1st Global Peter F. Drucker Forum Vienna“, 19./20. November 2009, Haus der Industrie, Schwarzenbergplatz 4, 1031 Wien. Anmeldung und Infos: Mag. Karin Platzer, Tel.: 0676/883 267 777.

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Economy Ausgabe 77-09-1008, 23.10.2009

Neues Studium der Informatik

Neues Studium der InformatikPhotos.com

An der Fakultät für Informatik der Technischen Universität Wien startete die Vienna PhD School of Informatics.

Anfang Oktober begann das erste Studienjahr der neu etablierten Vienna PhD School of Informatics an der Fakultät für Informatik der Technischen Universität (TU) Wien. „Ziel der PhD School ist es, auf internationalem Niveau erstklassigen wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich Informatik auszubilden“, erklärt Gerald Steinhardt, Dekan der Fakultät für Informatik.

Internationalität gefragt
Die PhD School ist als dreijähriges Vollzeitstudium konzipiert. In den ersten beiden Jahren müssen Studierende eine definierte Anzahl von Lehrveranstaltungen im Umfang von 36 Leistungseinheiten nach dem ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System) absolvieren, ab dem zweiten Jahr widmen sie sich der Arbeit an der Dissertation. Zudem werden die Studierenden in Forschungsgruppen der Fakultät für Informatik integriert. „Ein Doktoratsstudium wie dieses ist für österreichische Universitäten untypisch“, meint Hannes Werthner, Direktor der PhD School of Informatics. „Sie sind traditionellerweise weniger streng nach einem Curriculum organisiert. Unser PhD-Curriculum beinhaltet mehr Lehrveranstaltungen, die sich inhaltlich an den Schwerpunkten der Fakultät für Informatik in der Forschung orientieren.“ Diese fünf Schwerpunkte in der Forschung sind: Computational Intelligence, Medieninformatik und Visual Computing, Technische Informatik, Verteilte und Parallele Systeme sowie Wirtschaftsinformatik. Die PhD School wird von der TU Wien, der Stadt Wien sowie privaten Sponsoren finanziert. Pro Jahr werden insgesamt 15 Stipendien ausschließlich an Nachwuchsforscher mit exzellenten Leistungen im Wiener Stärkefeld der Informatik vergeben. Die 15 Stipendiaten in drei Lehrgängen werden in Form von wissenschaftlichen Forschungsdoktoraten auf eine Dauer von drei Jahren finanziert. Dabei wird großer Wert auf Internationalität gelegt: Renommierte Gastprofessoren werden lehren, und mindestens 50 Prozent der Studierenden sollen aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland kommen.
Alle Kurse werden – wie in internationalen Programmen üblich – in englischer Sprache abgehalten. Abgesehen von den in Österreich üblichen Studiengebühren ist die Teilnahme an der PhD School für Stipendiaten kostenlos. Die Bewerbungsfrist für das Studienjahr 2010/11 beginnt im Frühjahr 2010.

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Economy Ausgabe 77-09-1008, 23.10.2009

Unbekannte Wassermolekularwelten

Unbekannte Wassermolekularwelten Fakultät für Physik

Via Computersimulation untersucht Wiener Physikerteam die Aggregatzustände von Wasser in Nanoröhren.

Neben strukturellen Phasenübergängen in Nanokristallen beschäftigt sich die Gruppe des Physikers Christoph Dellago vor allem mit dem Verhalten von Wasser im Inneren von Kohlenstoffnanoröhren.
Nanoröhren sind winzige Röhren aus Kohlenstoff-Atomen, die im konkreten Fall als atomare Reagenzgläser verwendet werden. Werden nun kleinste Mengen einer Substanz in diese Röhren eingeschlossen, so verhalten sich die Mokeküle oftmals anders als in großen Mengen der gleichen Substanz. Im Fall von Wasser haben Wissenschaftler entdeckt, dass dieses in Nanoröhren bislang unbekannte Aggregatzustände besitzt.

Geordnetes System
Ein Team um Dellago entwickelte vor Kurzem ein Computermodell, um die Eigenschaften von Wassermolekülen in Nanoröhren genauer zu untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Wassermoleküle sehr lange ununterbrochene Ketten bilden, die vollständig geordnet sind – das heißt, jedes Molekül zeigt in dieselbe Richtung. Dellago über sein Projekt, das international große Beachtung fand: „Das Ergebnis war überraschend für uns, da sich für molekulare Verhältnisse extrem lange Ketten von 0,1 Millimetern bildeten. Wenn man bedenkt, dass ein Wassermolekül circa 0,3 Nanometer groß ist, hängen in diesen Wasserketten bis zu einer Million Wassermoleküle aneinander und sind geordnet ausgerichtet. Das ist erstaunlich.“ Diese Wasserkettenbildung ist für biologische Systeme, wo die Ketten in Membranporen vorkommen, sehr wichtig, da diese etwa den Wasserhaushalt regeln oder auch als Protonenleiter fungieren. „Mit unseren Computersimulationen möchten wir bessere Einblicke in diese Vorgänge bekommen“, so Dellago. Obwohl die Wassermoleküle überraschend lange geordnete Ketten bilden, steht es fest, dass diese nie unendlich lang sein können. Dellago: „Irgendwann gewinnt das Chaos. Wenn die Kette etwa nur zehn Moleküle lang ist, gibt es auch nur zehn Stellen, an denen ein Defekt auftreten kann. Besteht sie aber aus mehreren Millionen Molekülen, existieren dementsprechend viele Möglichkeiten für Defektbildung.“ Auch hier gibt das Modell nähere Aufschlüsse, da es nicht nur die Defekte in der Kette aufzeigt, sondern auch Häufigkeit und Lebensdauer dieser Defekte liefert.
In weiteren „virtuellen“ Versuchen sollen nunmehr der Einfluss von elektrischen Feldern auf die Wasserketten in Nanoröhren untersucht werden.

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Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009

Physikexperimente via Computer

Physikexperimente via ComputerFakultät für Physik

Die Nano- und Materialwissenschaften setzen auf Hochleistungsprozessoren als wissenschaftliches Hilfsmittel.

Computergestützte Physik (Computational Physics) hat sich seit geraumer Zeit als eigenständige Disziplin innerhalb der Physik etabliert.
An der Universität Wien leitet Christoph Dellago, zugleich auch Dekan der Fakultät für Physik, die Gruppe Computational Physics. „Wir beschäftigen uns hier mit Fragestellungen der Nano- und Materialwissenschaften – und zwar ausschließlich mithilfe von Computersimulationen. Wir führen also keine realen Experimente durch, sondern nur virtuelle. Die realen Experimente überlassen wir anderen Arbeitsgruppen, mit denen wir kooperieren“, skizziert Dellago seinen wissenschaftlichen Einsatzbereich.
Als wichtigstes Forschungsmittel fungieren 240 zu einem Hochleistungsrechner verbundene Prozessoren, die Tag und Nacht an Computersimulationen von physikalischen Phänomenen rechnen.
Um das Verhalten von weicher Materie oder Nanokristallen bei einer Veränderung der Außenbedingungen, also Temperatur oder Druck, zu simulieren, benötigt der institutseigene Computer-Cluster, der auf den klingenden Namen „klogW“ hört (Pate dafür stand Ludwig Boltzmanns Formel für Entropie), mehrere Monate. So lange dauert die Simulation von Phasenübergängen deshalb, weil sie in unzähligen kleinen Recheneinheiten erfolgen muss, damit man am Ende nicht gar den großen Moment verpasst, welcher sich innerhalb weniger Picosekunden ereignet.

Neuer Supercomputer
Demnächst wird „klogW“ all die Programme und Algorithmen nicht mehr im Alleingang ausführen müssen. Schützenhilfe winkt in Gestalt des Hochleistungsrechners VSC (Vienna Scientific Cluster). Dieser wird derzeit gerade installiert und soll künftig den Studierenden der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Universität für Bodenkultur zur Verfügung stehen. Dellago erwartet sich durch VSC „neue Rechenwelten“, in die man bis dato aufgrund der begrenzten Kapazitäten von „klogW“ nicht vordringen konnte.
Der neue Supercomputer VSC mit etwa 424 Rechenknoten mit je zwei Quadcore-Prozessoren, in Summe zehn Terabyte Hauptspeicher und einer geschätzten Gesamtrechenleistung von mehr als 30 Teraflops stellt für die computergestützte Physik hierzulande einen echten Quantensprung dar.
Zugang zu diesem Wunderwerk der Technik haben übrigens nur wissenschaftlich begutachtete Projekte.

Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009

Das jähe Ende einer Erfolgsgeschichte

Das jähe Ende einer ErfolgsgeschichtePhotos.com

Nummi (New United Motor Manufacturing Inc.), das Joint-Venture-Vorzeigeprojekt von GM und Toyota, mit dem 25 Jahre lang automobile Fertigungsgeschichte geschrieben wurde, wird 2010 selbst welche sein.

Politiker und Gewerkschafter hatten gehofft, dass sich Toyota aus politischen Gründen entscheiden würde, das kalifornische Werk Nummi mit seinen fast 4600 Beschäftigten komplett zu übernehmen. Zumal zuletzt nur noch 60.000 General-Motors (GM)-Fahrzeuge von den Bändern rollten und somit – so die Erwartung – Toyota durch eine entsprechende Produktionsverlagerung aus anderen Werken die Kapazitätslücke schließen könnte. Vor der weltweiten Absatzkrise vielleicht, aber eben nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem auch Toyota seine Fertigung um fast zwei Mio. Einheiten zurückgefahren hat, im letzten Geschäftsjahr einen Verlust von über drei Mrd. Euro hinnehmen musste und spart, wo es nur kann. Und in Fremont ging es nicht nur um eine Fertigungsaufstockung, sondern auch um die komplette Übernahme der Allgemeinkosten, was nicht unerheblich ist.
Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass im Gegensatz zu den Toyota-Werken in Texas, New Jersey und Kentucky bei Nummi die UAW-Gewerkschaft (United Auto Workers) mit im Spiel und somit das Lohnniveau erheblich höher ist. Eines ist jedoch sicher: Die Entscheidung, die Produktion nach Kanada und Japan (jeweils Corolla) sowie nach Texas (Pick-up Tacoma) zu verlagern, hat man sich bestimmt nicht leicht gemacht. Denn die erste Werksaufgabe in der 72-jährigen Toyota-Geschichte ist für die Japaner ihrer eigenen Denkweise nach ein großer Gesichtsverlust.
Nummi sei nicht mehr überlebensfähig, sagte Vizepräsident Atsushi Niimi. Der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger sprach von einem „traurigen Tag in der Geschichte Fremonts“. Die Entscheidung war erwartet worden, nachdem GM die Pontiac-Produktion in der Fabrik einstellte. Dennoch hatte es in Kalifornien bis zuletzt die Hoffnung gegeben, Toyota werde in Fremont weiter Corollas und Tacoma-Pick-ups bauen. „Nummi war ein wegweisendes Modell für amerikanisch-japanische Industriezusammenarbeit, und wir sind stolz auf die Erfolge“, sagte Niimi. „Es gab massive Absatz- und Imageprobleme bei GM vor dem Hintergrund von Chapter Eleven. Und auch Toyota hat derzeit zu kämpfen“, kommentiert Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft Geislingen (IFA) die für März 2010 angekündigte Schließung.

Best of Both Worlds
Der Startschuss für dieses branchenweit wohl einmalige, fast legendäre Experiment, gegen das übrigens Ford und Chrysler Widerstand ankündig­ten, das aber gleichzeitig mit ausdrücklichem Wohlwollen der starken UAW zustande kam, fiel 1984. Rund 450 Teamsprecher reisten nach Japan, um in der Toyota-Fabrik Takaoka in einem dreiwöchigen „Training on the Job“ fit gemacht zu werden.
Gebaut wurde zunächst der Chevrolet Nova. Die Kooperation war auf zwölf Jahre begrenzt – mit einer Option auf Verlängerung. Während GM das erst 1982 geschlossene Werk Fremont stellte und 13,4 Mio. Euro zuschoss, investierte Toyota, unter dessen Federführung das Werk geleitet wurde, 67 Mio. Euro in das 300-Mio.-Euro-Projekt, amerikanische Fahrzeuge nach japanischem Vorbild zu produzieren. Neben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren es vor allem Produktions- und Qualitätsdefizite, die GM zum Joint Venture veranlassten. Und Effizienz! Während GM 1984 mit 5,1 Mio. Fahrzeugen und 463.00 Mitarbeitern gerade mal auf elf Pkw pro Beschäftigten kam, war Toyota mit 58 Fahrzeugen pro Mitarbeiter (3,4 Mio. Fahrzeuge; 58.700 Mitarbeiter) mehr als fünfmal so effizient. Hinzu kam ein dramatischer Verlust an Marktanteilen insbesondere im heimischen Markt. Wesentliche Gründe für Toyota waren Importbeschränkungen und Konkurrenzdruck. Während sich GM also neben der Einsicht in japanische Produktionsmethoden hochwertige Fahrzeuge versprach und diese neuen Erkenntnisse an andere Werke weiterkommunizieren wollte, war es Toyotas Absicht, einen uneingeschränkten Marktzugang zu erhalten.

Win-win-Situation
Profitiert davon haben zweifellos beide Seiten. Dass in den vergangenen Jahren mehr Pluszeichen bei Toyota zu verzeichnen waren, lag letztlich großteils an falschen Marktstrategien von GM. In der Retrospektive konnte GM, Kritikern zufolge, zwar firmenspezifisches Wissen von Toyota erlernen, verfehlte seine Ziele aber dennoch, weil der Autobauer versuchte, Wissen zu internationalisieren, ohne es zu evaluieren.
Gewonnen haben aber Manager in führender Position, die sich das Etikett „Nummi“ wie einen Harvard-Abschluss anheften konnten und die beispielsweise GM-intern bis nach Eu­ropa herumgereicht wurden. In atemberaubender Weise wurde in Nummi Lean Production umgesetzt. Sie gilt als jene Produktionsorganisation japanischer Hersteller, die Womack/Jones und Roos in ihrer MIT-Studie (Massachusetts Institute of Technology) als „zweite Revolution in der Automobilindustrie“ bezeichneten und die der tradierten, sogenannten „gepufferten Produktion“ konträr entgegenstand.
Im Zuge einer vergleichenden Studie der Automobilherstellung in Amerika, Europa und Japan stießen sie auf ein Verfahren, das sie als überlegen ansahen. Sie zeigten auf, dass es in der japanischen Automobilindustrie eine Methode gab, mit der die bis dahin als unabänderlich akzeptierte Unvereinbarkeit der Ziele Qualität, Produktivität und Lieferzeit offenbar aufgehoben werden konnte. Die Lean Production stellte eine Art „magisches Dreieck“ dar, das die Ziele Qualität, Produktivität und Lieferzeit gleichzeitig erfüllte. Ein ganz entscheidender Punkt war aber der, dass sich in Nummi die Beziehung sowohl zum Kunden als auch zum Mitarbeiter in der Unternehmenskultur neu manifestierte.
Im Werk 2006 mit dem JD Power Gold Plant Quality Award, zum dritten Mal seit 2001 ausgezeichnet, wurden im letzten Vierteljahrhundert mehrere Mio. Pkw und Pick-ups der Marken Chevrolet Nova, Toyota FX, Geo Prizm, Corolla, Toyota Voltz und Pontiac Vibe gebaut. Die jährliche Kapazität betrug bei Pkw 250.000 Einheiten, bei Pick-ups 170.000 Fahrzeuge.

Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009

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