Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

04. Juli 2024

Search form

Search form

Rechnungen begleichen via Handy

Rechnungen begleichen via Handypaybox

Zehn Jahre ist es her, dass ein Mobilfunkbe­treiber den ersten M-Commerce-Dienst hierzulande etabliert hat. Seither erleichtern immer mehr innovative Services das Leben der Kunden durch Bezahllösungen via Handy.

1999 machte A1 gemeinsam mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) das Handy erstmals zum mobilen Zahlungsterminal. Der Mobilfunkbetreiber war damit weltweit der Branchenerste mit einem M-Commerce-Dienst. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur in Finnland Versuche mit einem Getränkeautomaten auf dem Flughafen und mit einer Autowaschanlage. Hierzulande können ÖBB-Tickets seither ganz einfach per SMS gekauft werden. Das sorgt für mehr Flexibilität und verhindert lange Wartezeiten am Bahnhofsschalter. Zumal Fahrscheine bis zur letzten Minute vor Abfahrt des Zuges auf dem Bahnsteig bargeldlos gekauft werden können und binnen Sekunden direkt auf dem Handy landen.

Kometenhafter Aufstieg
M-commerce-Servcies haben sich international zunehmend vom Nischen- zum Massenprodukt entwickelt. Mittlerweile können mehr als vier Mio. Österreicher mit dem Handy bezahlen und tun dies auch, wie eine Studie der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) aus demVorjahr anschaulich belegt:
Demnach haben in Wien bereits zwölf Prozent der Einwohner mindestens einmal ihr Handy auch zum Bezahlen genutzt, etwa an einem der über 2600 Automaten oder via Handy-Lotto, Event-Handy-Ticketing (unter anderem in der Wiener Albertina und im Tiergarten Schönbrunn), Handy-Maut und Handy-Parken, das mit rund einer Mio. Parkscheine pro Monat zu den Topsellern zählt. Konkret: Jeder dritte Autofahrer in Wien löst seinen Parkschein bereits mit dem Handy – Tendenz weiter steigend.
Wie der Global M-Payment Report Update 2009 von Arthur D. Little bestätigt, ist Österreich – zusammen mit Japan, Südkorea und Singapur – weltweit führend bei Mobile-Payments: „Die am weitesten entwickelten Länder im Bereich M-Commerce bleiben Japan, Österreich, Singapur und Südkorea, die jeweils eine breite Palette an Services anbieten. In Österreich und Japan hat sich dabei eine Standard-Serviceplattform durchgesetzt, der sich die meisten Player des Landes angeschlossen haben, so wie dies in Österreich mit Paybox der Fall ist“, erklärt Studienautor Karim Taga.

Einfache Abwicklung
Die vier größten heimischen Mobilfunkanbieter A1, T-Mo­bile, Orange und Telering setzen gemeinsam auf Paybox als Standard beim Bezahlen mit dem Handy. Damit haben alle österreichischen Handy-Besitzer die Möglichkeit, mit dem Handy einzukaufen: Vier Mio. private Vertragskunden von A1, Orange, T-Mobile und Telering bezahlen mit Paybox direkt über ihre Handy-Rechnung. Alle anderen Handy-Kunden, also auch Wertkartenbesitzer oder Firmenkunden, können mit Paybox und Bankeinzug bezahlen. Die Anmeldung dafür ist unter www.paybox.at möglich.

Mobile Zahlungsmöglichkeiten
Österreich gehört zu den am besten entwickelten Mo­bile-Payment-Märkten. Vieles kann bereits mit dem Handy bezahlt werden, und mit Paybox existiert ein etablierter Bezahlstandard in Österreich. Es gibt gute Gründe dafür, warum sich das Bezahlen mit dem Handy in Österreich immer größerer Beliebtheit erfreut. Zehn davon in weiterer Folge:

1. Viele Anwendungen: Paybox startete im Jahr 2001 mit einigen wenigen kleinen Anwendungen. Heute kann man im Internet, im Geschäft, Parkscheine, Fahrkarten, Kinotickets, Lottotipps und mehr bei über 6000 Akzeptanzstellen mit dem Handy bezahlen.

2. Hohe Sicherheit: Jede Zahlung wird unter Angabe der Rufnummer über das Handy freigegeben, und es werden keine sensiblen Daten übertragen.

3. Autorisierungsbestätigung: Bei Bezahlung erhält man sofort nach Freigabe der Zahlung eine Bestätigung per E-Mail und/oder SMS.

4. Anonymes Bezahlen: Möchte ein Kunde bei der Bezahlung seine Handy-Nummer nicht angeben, kann er sich kostenlos eine Wunschnummer aussuchen und diese bei den Zahlungen angeben.

5. Ortsunabhängigkeit: Ein weiterer Vorteil ist die mobile Einsetzbarkeit. Mit dem Handy können Lottoscheine, Fahrscheine für die öffentlichen Verkehrsmittel, Tickets für die ÖBB oder Handy-Parkscheine von unterwegs per SMS gekauft werden.

6. Sofort einsatzbereit:
Kaum jemand geht heute noch ohne Handy aus dem Haus. Somit liegt es auf der Hand, dass man auch gleich damit bezahlt. Sofort nach der Online-Anmeldung erhält ein Kunde ein Erstlimit und kann damit einkaufen.

7. Altersprüfung: Bei Zigarettenautomaten und Bereichen wie Glücksspiel und Wetten gibt es eine altersabhängige Nutzungseinschränkung.

8. Geld überweisen:
Paybox-Kunden können anderen Paybox-Kunden übers Handy Geldbeträge überweisen oder ihre Überweisungen auf Paybox.at ohne Transaktionsnummer erledigen.

9. Unverbindlich testen: Kunden können Paybox einen Monat lang testen. Sollte ein Kunde nach Anmeldung nicht zufrieden sein, kann er innerhalb von einem Monat Paybox kündigen und erhält sein Jahresentgelt zurück.

10. Immer vorne dabei: Paybox ist das einzige Zahlungsmittel, das auch bei der Bezahlung von technisch hoch entwickelten Anwendungen wie dem NFC-Handy-Ticket eingesetzt wird. Mit NFC wird das Handy mit nur einer Berührung zu einem Fahr-, Park- oder Lottoschein und vielem mehr.

Links

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Privathochschulen unter der Lupe

Privathochschulen unter der LupeAPA/Pfarrhofer

„Österreich braucht wieder Eliten“, heißt es. Wer oder was treibt den Führungsnachwuchs in die Kaderschmieden der Wirtschaft, in Privatinternate, Business Schools und in am Reißbrett konzipierte Elite-Universitäten?

Seit den Bildungsreformen der 1970er Jahre hat Hochschulpolitik nicht mehr so tief greifende Veränderungen nach sich gezogen wie gegenwärtig. Die Universitäten werden durch und durch reformiert. Doch in Wahrheit handelt es sich um eine De-Formation des europäischen Hochschulwesens. Wir erleben eine Strukturverschiebung, die die Beziehung zwischen einer Gesellschaft und ihrem Wissen gänzlich neu gestaltet. Das muss nicht prinzipiell schlecht sein. Das Prinzip, das der sich wandelnden Hochschulwelt von heute und morgen zugrunde liegt, ist allerdings in zunehmender Weise ökonomisch.
Es gibt, seit Langem wieder, frisches Geld für die ausgezehrten Unis. Aber nicht für alle. Das heißt: über Elite-Wettbewerbe, Hochschulpakte und Studiengebühren. Gleichzeitig werden neue Bachelor- und Master-Studiengänge eingeführt und die Hochschulen einem verschärften Wettbewerb unterzogen.

Bildung wird warenförmig
Das Delikate an dieser Entwicklung ist: Die Verantwortlichen sind nicht so einfach dingfest zu machen – wie in vielen aktuellen Prozessen. Denn die Etablierung eines radikalen Wissensmarktes greift auf verschiedensten Ebenen ineinander. Auf internationaler Ebene hat man 2002 mit den Gats-Verhandlungen (General Agreement on Trade in Services) begonnen zu überlegen, wie der Bildungssektor zum Dienstleistungsbereich vermarktet werden kann.
Die Regeln, nach denen die Ware Bildung gehandelt wird, verhandeln die Marktführer, die über die profitabelsten Unternehmen in der Wissensproduktion verfügen: die USA und die EU. Heute gibt es schon zahlreiche Unis, die über Zweigstellen im Ausland verfügen – oder zumindest expandieren wollen. Es bedarf keiner Weisheit, um abzusehen, dass staatliche „Subvention“ von Bildung irgendwann als „wettbewerbsverzerrende Maßnahme“ durchgehen darf und abgeschafft werden muss – in der Wirtschaft und anderen Bereichen ein bekanntes Phänomen.
Parallel dazu läuft der sogenannte Bologna-Prozess. Das ist formell die Stufung des Studiums in Bachelor- und Masterportionen auf europäischer Ebene. Aber auch darunter liegt die Handelbarkeit von Wissenseinheiten. Durch kleine Wissensmodule, die schon heute einem europäischen „Credit System“ entsprechen, lässt sich die Ware Bildung zahlenmäßig erfassen. Der Kant ist heute sieben Credits wert, erhältlich im Onlineshop der Uni: Zur Buchung von Kursen verfügen die meisten Hochschulen längst über Software mit digitalen Warenkörben. Just buy it.
Um von inneruniversitären „Optimierungsplänen“ verschont zu bleiben, optimiert sich die Wissenschaft vorsorglich selbst. Die vermeintliche Optimierung heißt Ökonomisierung. Forschungsergebnisse und Studienleistungen werden zahlenmäßig erfasst, gerankt und vergleichbar gemacht. Auch die Uni wird von Wettbewerbsdenken und Konkurrenzlogik durchdrungen. Die Höhe der Drittmittelzuwendungen – das heißt: wie viel Geld ein Professor beschaffen kann – ist eines der wichtigsten Kriterien bei der Bemessung von „Leistung“ und viel entscheidender bei der Vergabe von Professuren und damit der Gestaltung von Lehre.
Konkurrenz, Wettbewerb, Verwertlichung, Verwertbarkeit und Ressourcenbeschränkung sind Grundlagen, auf denen das Hochschulwesen fußt. Doch wo das Prinzip der Wissensvermittlung – und das Prinzip der Wissenserschließung – auf marktförmigen Ordnungsgrundlagen beruht, geht das eigentlich Wissenswerte verloren: die fundierten, reflektierten, unabhängigen Antworten auf unabhängige Fragen. Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Bildungsressourcen ist immer die Grundlage ihrer eigenen Perspektive. Wenn jedoch die sozial- und naturwissenschaftlichen Kenntniswelten ihren Wert nur noch aufgrund ihrer Verwertbarkeit erhalten, werden einer Auseinandersetzung mit sich selbst die Grundlagen entzogen. Weil unbequeme Antworten ausbleiben. Die sogenannten Reformen schreiten genau dieser Richtung entgegen.
Bildung ist grundlegendes Moment der Daseinsvorsorge des Individuums. In den kapitalistischen Industrieländern des 19. und 20. Jahrhunderts galt Bildung – zumindest der Idee nach – überdies als elementares Menschen- und Bürgerrecht und als Bedingung der persönlichen Entfaltung des Einzelnen. Bildung ist heute durch ihre Privatisierung weltweit warenförmig geworden.

Elite heißt Auswahl
Der Begriff „Elite“ stammt vom lateinischen Wort „eligere“ für „auswählen“. Noble britische Unis wollen ihre Auswahlkriterien verschärfen – und noch elitärer werden. Einsen reichen nicht, Einsen mit Plus davor müssen es sein. Für 20-jährige Elite-Anwärter, die Talkshow-Auftritte trainieren und Karriereberatungen buchen, sind Menschen, die weniger als 70 Stunden pro Woche arbeiten, „Minderleister“.
Mit besonderer Sorgfalt auswählen können sich auch in Österreich sowohl etablierte als auch neu geschaffene Institutionen ihre „Kunden“, ob – „Voll-Uni“ oder nicht – Donau-Universität Krems, Fachhochschule (FH) St. Pölten oder die 2006 per Gesetz geschaffene „Flaggschifforganisation“ Institute of Science and Technology Aus­tria (IST Austria), die, so Sprecher Oliver Lehmann, entgegen anderslautender, häufig kolportierter Meinung, sich zu keiner Zeit selbst den Titel „Elite-Universität“ verliehen habe.
Ab Herbst werden die ersten Wissenschaftler am IST Austria tätig sein, bis 2016 sollen 40 bis 50 Forschungsgruppen mit rund 400 bis 500 Forschern arbeiten. „Die PhD-Studenten werden sorgfältig nach fairen und transparenten Regeln, auf Grundlage des hohen Qualitätsanspruchs von IST Austria, ausgewählt“, heißt es. Zu welchem Preis, darüber konnte man indes (noch) keine Angaben machen.
Die etablierte FH St. Pölten, die mit ihren derzeit rund 1700 Studenten im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz einnimmt, forciert die interdisziplinäre Ausrichtung zur „unternehmerischen Hochschule“ und bietet exzellente Rahmenbedingungen zu Schnäppchengebühren von 360 Euro pro Semester. Bildung? In St. Pölten keine Preisfrage.

Links

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Blitzlicht im Gehirn

Blitzlicht im GehirnPhotos.com

Die Hirnforschung widerlegt ihre eigenen Dogmen. Bisher galt, das Gehirn könne keine neuen Nervenzellen bilden. Der altersbedingte Verfall des Gehirns schien unumgänglich. Alles falsch. Das Gehirn kann doch Neuronen bilden. Wer Sport betreibt, fördert die Neurogenese. Wer ständig Neues lernt, erhält die kostbaren Zellen länger am Leben.

Hundert Milliarden Neuronen, die das Gehirn eines erwachsenen Menschen enthält, sind ab dem Ende der Lern- und Ausbildungsphase unterbeschäftigt. Wenn der Mensch seinen täglichen Tätigkeiten wie Aufstehen, Autofahren, Arbeiten und Ausruhen nachgeht, aber nichts Neues dazulernt, verkümmern die Nervenzellen im Gehirn. Selbst wenn dieser Mensch ein hyperaktiver Manager ist, aber im Wesentlichen nur das macht, was er bereits kann, atrophieren die Neuronen im Laufe der Zeit wie ein nicht gebrauchter Muskel. Bis am Ende die altersbedingte Vergesslichkeit oder gar Alzheimer einsetzt.
Dass Bewegung und richtige Ernährung den Alterungsprozess des Körpers verlangsamen können, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Die Verkäufer diverser Zusatzstoffe, die Pharmabranche, die Kosmetik­industrie und die Schönheitschirurgen verdienen gut am Nicht-faltig-werden-Wollen.

Anti-Aging im Kopf
Dass wir ständig Neues lernen müssen, um unser Gehirn fit zu halten, ist relativ neu. Erst im vergangenen Jahrzehnt haben Neurowissenschaftler das bisherige Wissen über das Gehirn auf den Kopf gestellt und die Dogmen ihres Fachs zertrümmert.
Bis vor Kurzem galt, dass der Mensch mit einer bestimmten Menge an Neuronen auf die Welt kommt, die im Laufe des Lebens abgebaut werden. Die Neuronen vernetzen sich zwar über Milliarden von Synapsen miteinander, doch die Nervenzellen selber können keine neuen Zellen bilden. Ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Organen. Die Haut bildet nach einer Verletzung neue Hautzellen, die Knochen Knochenzellen, die Leber Leberzellen. Nur das Gehirn könne sich nicht regenerieren, glaubte man. „Im erwachsenen Gehirn sind die Nervenstränge fix und unbeweglich“, schrieb 1913 der auf das Nervensystem spezialisierte Mediziner und Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal. Er suchte jahrelang nach Anzeichen, dass sich Gehirn oder Rückenmark nach einer Verletzung regenerieren könnten. Vergeblich.
So blieben die Dinge fast ein Jahrhundert lang. Bis der Vogelkundler Fernando Nottebohm bemerkte, dass Singvögel jedes Jahr ein neues Lied zwitschern. Bei einer Untersuchung ihrer Gehirne entdeckte er, dass die Vögel im fürs Liederlernen zuständigen Areal neue Gehirnzellen entwickelt hatten. 1984 präsentierte er seine Ergebnisse einer skeptischen Forscher­gemeinde.

Am Dogma gekratzt
Man glaubte ihm nicht, und selbst wenn – es waren ja nur Vögel. 1989 entdeckte die junge Verhaltenspsychologin Elizabeth Gould, dass Ratten im Hippocampus neue Neuronen produzierten. Doch sie konnte ihre vom Mainstream weit abweichende Entdeckung ein Jahrzehnt lang nicht in den besten Wissenschaftsjournalen publizieren. 1997, mittlerweile Professorin an der Princeton University, entdeckte Gould neue Neuronen in Affenhirnen.
Zur ungefähr selben Zeit gelang dem schwedischen Neurowissenschaftler Peter Eriksson und dem US-Amerikaner Fred H. Gage, einem der Größten der Zunft, der erste Beweis, dass Neurogenese auch im Gehirn von Menschen stattfindet. Die Forscher analysierten die Gehirne von fünf an Krebs verstorbenen Patienten – mit Einverständnis der Familien. Den Patienten war ein Marker injiziert worden, der alle neu gebildeten Zellen sichtbar machte. Der Marker war Teil der Krebsbehandlung, um das Zellenwachstum des Tumors zu kontrollieren. Eriksson und Gage entdeckten tatsächlich neue Stammzellen im Hippocampus, die mithilfe der Marker sichtbar wurden. Das Paper wurde 1998 in Nature Medicine publiziert. Als führende Wissenschaftler, die die Neurogenese-Hypothese lang bekämpft hatten, die Methode selber anwendeten und ebenfalls neue Neuronen entdeckten, wurde die bahnbrechende Erkenntnis endlich akzeptiert.

Laufen tut Mäusehirnen gut
Unter welchen Bedingungen besonders viele Neuronen gebildet werden, haben Gage und sein Team an älteren Mäusen erforscht. Eine Mäusegruppe durfte sich mit Bällen, Laufrädern und anderem Spielzeug vergnügen, die zweite Gruppe hingegen lebte im Käfig. Nach 45 Tagen wurden die Mäuse getötet und ihre Gehirne untersucht. Die in anregender Umgebung lebenden Mäuse hatten 40.000 neue Neuronen gebildet – und um 15 Prozent mehr Neuronen als die Kontrollgruppe. Bei einem anderen Experiment durften Mäuse, die eine Lebenserwartung von zwei Jahren haben, in ihrer zweiten Lebenshälfte zehn Monate lang lernen. Nachher hatten sie fünfmal so viele neue Neuronen wie die Kontrollgruppe.
Die Wirkung des Mäuseklugheitsprogramms wurde genau untersucht: Mäuse, die viel Bewegung am Laufrad machten, bildeten überwiegend neue Neuronen aus. Bei Mäusen, die hauptsächlich das Spielzeug nutzten, blieben die im Gehirn bereits bestehenden Neuronen am längsten am Leben.

Gehirnjogging für Menschen
Auch für Menschen gibt es Spielzeug, um das Gedächtnis anzuregen. Eine ganze Kreuzworträtsel- und Sudokukultur soll nicht nur der Zerstreuung dienen, sondern Jogging fürs Gehirn sein.
Der Neurowissenschaftler Ryuta Kawashima veröffentlichte 2005 in Japan das Buch Train Your Brain und erlaubte Nintendo, eine Version für seine Spielkonsole herauszugeben. Beide Versionen wurden im Land, in dem es mehr als 40.000 über Hundertjährige gibt, Bestseller und bereits ins Englische übersetzt. Buch und Spiel bieten eine Mischung aus Rechenaufgaben, Geschichten-Nacherzählen und Sudoku.
Ob diese Art von Gehirnjogging sinnvoll ist, wird heftig diskutiert und wissenschaftlich erforscht. Als erwiesen gilt bisher nur eines: Nach eifrigem Sudoku-Lösen wird man tatsächlich schneller und besser – im Sudoku-Lösen. Essenziell wäre aber, die allgemeine Merkfähigkeit sowie alle für ein selbstständiges Leben wichtigen Gehirnfunktionen zu trainieren.

Der US-Neurowissenschaftler Michael Merzenich hat mehrere Computerprogramme kre­iert, mit denen ältere Menschen ihre Hör- und Sehfähigkeit verbessern können. Mit dem neuesten Produkt „Drive Sharp“ soll die Fähigkeit trainiert werden, mehrere Objekte gleichzeitig wahrzunehmen und das altersbedingt eingeschränkte Gesichtsfeld wieder zu erweitern. Die Programme sind Folgeprodukte eines aufwendigen Computerspiels, das Merzenich und seine Kollegin Paula Tallal 1996 für legasthenische Kinder herausgebracht haben.
Rund fünf Prozent der Volksschulkinder haben Lese- und Rechtschreibprobleme, die als Legasthenie diagnostiziert werden. Tallal fand heraus, dass die Kinder Probleme haben, schnell ausgesprochene Konsonanten wie b, d, g, p, t und k zu unterscheiden. Sie vermutete, dass sich bei den Kindern das Hirnareal, das für die Verarbeitung der schnellen Laute zuständig ist, unvollständig entwickelt hatte.

Erfolg auch bei Autismus
Das unordentliche Hören der Konsonanten, so Tallals Vermutung, führe zu Schwächen in der gesamten Sprachentwicklung, beim Sprechen, Lesen und Schreiben. Merzenich und Tallal entwickelten das Computerprogramm Fast For Word, mit dem man Hören trainieren kann. Die Töne werden zuerst in die Länge gezogen und so lange abgespielt, bis das Gehirn die Unterscheidung gelernt hat. Dann werden die Töne immer schneller. Wer die lustig aufbereiteten Spiele – mit muhenden, fliegenden Kühen – täglich mehrere Wochen lang durchführte, reduzierte seine Sprachprobleme signifikant. Das ist das Ergebnis mehrerer, aber nicht aller, wissenschaftlichen Studien.
Das Programm hatte Nebenwirkungen. Eltern und Betreuer von autistischen Kindern ließen die Kinder damit üben, weil auch sie Sprachprobleme haben. Die unerwartete Folge: Nicht nur die Sprachprobleme der Kinder verringerten sich, sondern die autistischen Symptome überhaupt. Nun werden eigene Programme für autistische Menschen konzipiert.
Lange Zeit dachten Neurowissenschaftler, das Gehirn sei fest verdrahtet und unveränderbar. Jede Funktion wie Sprechen, Hören oder Motorik habe einen festen Platz im Gehirn. Sollte dieses Areal durch einen Unfall oder Schlaganfall beschädigt werden, sei auch die davon betroffene Funktion verloren. Das ist widerlegt. Das Gehirn ist plastisch. Es ist formbar. Mit dem richtigen Training können Schlaganfallpatienten wieder sprechen und gehen lernen. Dabei übernehmen gesunde Gehirnareale die Funktionen der geschädigten Areale. Diese umstürzlerischen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse über die Formbarkeit des Gehirns und die Bildung von Neuronen ein ganzes Leben lang sollten eigentlich die gesamte Einstellung zum Lernen und zum Leben verändern.
Lernen, so dachte man früher, falle Kindern und Jugendlichen leicht. Je älter ein Erwachsener, desto schwerer falle ihm das Lernen, weil das Gehirn schließlich kontinuierlich Neuronen abbaue. Tatsächlich lässt die Merkfähigkeit mit zunehmendem Alter nach, und die Vergesslichkeit nimmt zu. Ganz falsch, meint Merzenich. Auf die wahre Ursache der schwindenden Leistungsfähigkeit des Gehirns werde nämlich vergessen: Wir lernen zu wenig substanziell Neues. Wir fordern das Gehirn nicht mehr heraus. In der Kindheit lernen wir jeden Tag etwas Neues. Davon zehrt der Erwachsene ein Leben lang. Die Zeitung lesen, den Beruf ausüben, die Muttersprache sprechen – das ist nur die ständige Wiederholung von früher erlernten Kenntnissen und Fähigkeiten. Wenn man dann 70 Jahre alt wird, hat man ein halbes Jahrhundert lang sein Gehirn unterfordert.

Lernen wie ein Baby
Das wirksamste Rezept gegen mentalen Verfall stellt das Lernen dar: etwa das Erlernen einer neuen Sprache, eines Musikinstruments oder neuer Tänze. „Alles, was in einem jungen Gehirn passiert, kann auch in älteren Gehirnen passieren“, sagt Merzenich. „Die Veränderungen können genauso groß sein wie bei Neugeborenen.“
Die wichtigsten Voraussetzungen für Lernen sind Enthusiasmus und Geduld. Als Vorbild sollten wir uns kleine Kinder nehmen. „Beobachten Sie ein Baby, wenn es lernt zu essen“, sagt die Lernpädagogin Ingrid Niehsner. „Das Baby versucht, einen Löffel Brei in den Mund zu schieben. Der Brei landet auf der Wange, auf der Nase. Doch das Baby gibt nicht auf. Wenn es dann endlich den Löffel in den Mund bekommt, strahlt es über das ganze Gesicht.“
Niehsner arbeitet als Lerntrainerin am Wifi und an Fachhochschulen. Sie berät Menschen, die oft nach langer Lernabstinenz etwas Neues lernen. Ihr Tipp: den Lernstoff in kleine Einheiten einteilen und sich selber viel loben. „Man muss sich realistische Ziele setzen und jeden kleinen Erfolg würdigen.“ Der Unterschied zwischen Gelingen und Versagen liege in der Einschätzung der eigenen Leistung. „Erfolgsorientierte Menschen nehmen sich nicht vor, 30 Seiten eines schwierigen Skripts in einem Zug zu lernen. Sie nehmen sich realistische zehn Seiten vor.“ Wer sich zu hohe Ziele setzt und scheitert, wird entmutigt und läuft Gefahr, die Sache insgesamt aufzugeben.
Lerntrainer schöpfen aus einer Vielzahl von Methoden, die in den vergangenen Jahrzehnten – oft mit dem Anspruch des Alleinseligmachens – entwickelt worden sind. Etwa die „rational-emotive Therapie“, mit der man sich seiner – oft schädlichen – Glaubenssätze bewusst werden kann und so die Möglichkeit erhält, sie einfach zu ändern.
Oder die Suggestopädie des bulgarischen Neurologen Georgi Lozanov. Für das Sprachenlernen schlug Lozanov vor, zur Entspannung vor und während des Lernens Barockmusik zu spielen und den Unterricht mit Rollenspielen kreativ zu gestalten. Zwei US-Amerikanerinnen entwickelten die Methode zum „Superlearning“ weiter, was wiederum Lozanov nicht gefiel.
Wichtig ist jedenfalls eine das Gehirn optimal versorgende Ernährung. Und natürlich Sport. „Das Allerwichtigste aber ist die Begeisterung“, sagt Niehsner. „Sie trägt einen über die unvermeidlichen Hürden und Einbrüche hinweg.“

Buchtipp
Mit Neustart im Kopf hat der kanadische Psychoanalytiker Norman Doidge einen Sachbuchthriller geschrieben. Er erzählt von Neurowissenschaftlern wie Michael Merzenich, die in den vergangenen Jahren das Dogma, wonach das Gehirn nicht veränderbar sei, zerstört haben. So schildert er das Leiden einer Frau, die durch Überdosierung eines Antibiotikums ihren Gleichgewichtssinn verloren hatte. Sie lebte im Gefühl, immer zu fallen – selbst wenn sie bereits auf dem Boden lag. Bis der Rehabilitationsmediziner Paul Bach-y-Rita eine Vorrichtung für sie baute, mit der ihr Gehirn einen neuen Gleichgewichtssinn entwickelte.
Bach-y-Rita wiederum entdeckte die Plastizität des Gehirns durch seinen Vater, der einen Schlaganfall erlitten hatte. Er überwand seine Lähmung, indem er wie ein Baby das Krabbeln und dann das Gehen lernte. Nach dem Tod des Vaters erfuhr Bach-y-Rita, was für eine medizinische Sensation er geschafft hatte – weite Teile des Gehirns waren zerstört gewesen.
Norman Doidge: Neustart im Kopf. Wie sich unser Gehirn selbst repariert
Campus Verlag 2008, 22 Euro
ISBN: 978-3593385341

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Warum gibt es überhaupt Männer?

Warum gibt es überhaupt Männer? Photos.com

Joachim Hermisson: „Phylogenetisch betrachtet gab es ursprünglich nur klonale Fortpflanzung eines einzigen Geschlechts. Der Schritt, von einem Geschlecht auf zwei überzugehen, hat sich erst später entwickelt“, erklärt der Professor für Mathematik und Biowissenschaften und Keynote Speaker des IBM-Symposiums 2009.

economy: Sie sind Mathematiker und Lebenswissenschaftler, wie geht das zusammen?
Joachim Hermisson: Ich sehe mich als mathematischer Evolutionsbiologe. Die Fragen ergeben sich aus der Evolutionsbiologie, die Methoden kommen aus der Mathematik: Das kann Stochastik sein, wenn man Evolution als Zufallsprozess modellieren möchte, das können aber auch Differentialgleichungen oder Statistik sein.

Was kann man sich unter theoretischer Populations­genetik vorstellen?

Die Evolutionsforschung gliedert sich in die Phylogenetik, die versucht, den Baum des Lebens zu rekonstruieren, und die Populationsgenetik, die Evolutionsprozesse innerhalb einzelner Populationen und Spezies beschreibt – wie sich also die genetische Zusammensetzung einer Population unter den evolutionären Grundkräften der Mutation und der natürlichen Selektion verändert. Es geht folglich um wesentlich kürzere evolutionäre Zeiträume innerhalb einer einzigen Spezies.

Gilt Richard Dawkins’ Aussage noch, dass ein Gen egoistisch sei?
Manchmal ist es, um Evolutionsprozesse zu verstehen, ganz hilfreich, von den Einzelbestandteilen, also den Genen, auszugehen. Doch die Sichtweise, dass wir von diesen einzelnen egoistischen Genen bestimmt würden, hat für sehr viele Fragestellungen eine extreme Schlagseite. Weil es völlig chancenlos ist, von Einzelgenen ausgehend äußerst komplexe Phänomene zu verstehen, an denen sehr viele Einzelgene im Kontext beteiligt sind. Für solche Fragestellungen ist es wissenschaftlich oft sehr viel fruchtbarer zu sagen: Die Einheit, über die sich sinnvoll reden lässt, ist zum Beispiel der Organismus, in dem Fall das Individuum. Die Forschung geht heute ganz stark in die Richtung, sich nicht Gen für Gen, sondern ganze Netzwerke von Genen anzuschauen.

Beim IBM-Symposium werden Sie darüber sprechen, warum die Evolution Männer erschaffen hat. Was war zuerst: der Mann oder die Frau?
Die Frau bringt den Nachwuchs, die Kinder, durch Geburt hervor; insofern ist das zweite Geschlecht, über dessen evolutionäre Rolle wir reden müssen, dann doch immer der Mann. Was trägt er zur Evolution bei, warum muss es ihn überhaupt geben? Anders gefragt: Warum pflanzt sich menschliches Leben nicht einfach klonal oder vegetativ fort, wofür man keinen Partner braucht?

Wie aber ergibt der Mann außer für die Fortpflanzung evolutionär sonst noch Sinn?
Es gibt viele sinnvolle Dinge, für die Männer sich im Nachhinein nützlich machen, aber zum einen ist das bei vielen Spezies nicht so. Dort passiert die Besamung – und tschüss. Zum anderen nützen diese ganzen Funktionen „im Nachhinein“ nicht viel, um die Entstehung eines zweiten Geschlechts zu erklären. Das ist wichtig zu beachten, denn die Evolution denkt nicht voraus. Sie denkt nicht: Irgendwann wird der Mann sich schon als nützlich erweisen. Im Gegenteil: Er muss einen sofortigen Nutzen haben.

Und hat er den?
Phylogenetisch betrachtet, also weit zurück in der Zeit, gab es ursprünglich nur klonale Fortpflanzung eines einzigen Geschlechts. Der Schritt, von einem Geschlecht auf zwei überzugehen, hat sich erst später entwickelt. Und das muss, wie gesagt, einen sofortigen Nutzen gehabt haben. Nun, es geht vor allem darum, dass man über sexuelle Reproduktion eine bessere Durchmischung des genetischen Materials bekommt. Wenn zwei Menschen zusammenwirken, um Nachwuchs zu erzeugen, durchmischt sich das genetische Material. Das ist kurzfristig wirksam und populationsgenetisch betrachtet der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Reproduktionsmechanismen.

Können Sie, ohne zu viel von Ihrem Vortrag vorwegzunehmen, noch einen Vorteil nennen?
Sein genetisches Material zu mischen und immer wieder neu zu strukturieren ist vor allem gut, wenn die Umwelt sich stark verändert. Eine Idee ist, dass für eine solch massive Veränderung Bakterien, Viren und Parasiten, die in allen höheren Lebensformen vorkommen, verantwortlich sind. Während der Lebensspanne eines Menschen haben sie Zeit genug, sich an diesen optimal anzupassen. Sind die Nachkommen dieses Menschen genauso beschaffen, freut das nur die Bakterien und Konsorten, die dann leichtes Spiel haben und das Kommando übernehmen. Sexuelle Reproduktion könnte dazu dienen, dass es die­se Lebewesen nicht so einfach haben, weil ihre Lebensbedingungen in jeder Generation anders aussehen und sie ihren Anpassungsprozess immer wieder neu starten müssen.

Anderes Thema: Welche Art von technologischer Intelligenz ist heute gefragt?
Gegenwärtig ruht der Fokus vor allem auf der Software. Es geht nicht mehr so sehr darum, die Hardware schneller zu machen, sondern darum, was auf den Maschinen läuft, wie man Maschinen vernetzt. Da gibt es Analogien zwischen dem Stand der Evolutionsbiologie und technologisch orientierten Unternehmen. Wie wir gesprochen haben: Es geht nicht so sehr darum, wie sich das einzelne Gen verhält, sondern wir müssen ganze Netzwerke von Genen und ihre Funktion für den Gesamtorganismus betrachten. Genauso geht die Entwicklung weg vom Einzelcomputer hin zu intelligenten Netzwerken innerhalb von Unternehmen und darüber hinaus. Es geht also darum, wie man in Kooperation etwas Nützliches erzeugen kann. Ob in der Evolutionsbiologie oder in der modernen Computertechnologie: Der Kontext muss Sinn ergeben.

Links

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Buchtipp

Buchtipp

Sozialer Konstruktivismus: Chance der Krise

Im Zentrum dieser Anthologie steht die Finanzkrise. Ursachen werden analysiert, neuartige Anforderungen an Kommunikationsmodelle postuliert und die langfristige Entwicklung von Schulden und Einkommen prognostiziert. In der Zusammenschau aus wirtschaftlicher, wissenschaftstheoretischer, philosophischer, mathematischer und psychologischer Sicht wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine „unvorhersehbare Katastrophe“, sondern um einen, so Mitherausgeber H. R. Haeseler, „mehrdimensionalen“ Designfehler des kapitalistischen Geldsystems handelt.
Für Franz Hörmann von der Wirtschaftsuniversität Wien, gleichermaßen wegen seiner Brillanz wie Exzentrik zum „Enfant terrible“ der eigenen Wissenschaft geworden, stellt die Krise die Chance zum unvermeidlichen Multiparadigmenwechsel dar, dem die freie Marktwirtschaft entgegengehe. Der Ansatz des Sozialen Konstruktivismus könne zur Überwindung der geistigen Barrieren beitragen, welche durch interessengeleitete Politik, dogmatische und instrumentalisierte Wissenschaft, starre und veraltete Gesetze sowie traditionell überlieferte gesellschaftliche Abgrenzungsrituale errichtet wurden. Den Abschluss bildet ein „Leitfaden für Verantwortungsträger“, der den Mitgliedern heutiger Eliten (unter anderen Politiker und Top-Manager) eine Orientierungshilfe sein soll, sich in der Gesellschaft des Dritten Jahrtausends zurechtzufinden.
Hörmann/Haeseler (Hg.):
Die Finanzkrise als Chance, Orac Wirtschaftspraxis,
Lexis Nexis 2009, ca. 48 Euro, ISBN 978-3-7007-4356-9

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Das Handwerk des Krisenmanagers

Das Handwerk des KrisenmanagersNeumann International

Für die einen sind es übermenschliche Helden und Retter, für die anderen Zerstörer und Totengräber von Existenzen. Wer sind, was machen Krisenmanager? Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Krise, nämlich Beurteilung, Meinung, Entscheidung, klingt wenig erschreckend. Krise als Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung entspricht schon eher der heute gängigen Form des lustvollen Spielens mit Extremen, mit Ängsten und Untergangsszenarien. Durch den inflationären Missbrauch solcher Termini und die damit einhergehende Abstumpfung wurden auch die Helden der Wirtschaft, die Krisenmanager, vom Status des Übermenschlichen wieder auf den Boden nüchterner Expertise zurückgeführt.
Ein Großteil von Insolvenzen ist auf kaufmännische Unwissenheit, mangelnde Erfahrung, abenteuerliche Finanzierung und ähnliche banale Managementfehler zurückzuführen; gerade das sollte die Erfolge von Krisenmanagern nicht schmälern. Im Gegenteil: Ihre ureigenste Aufgabe ist es, innerhalb kürzester Fristen jahrelange Versäumnisse anderer zu kompensieren. Oftmals unter verschärften Bedingungen – wenn zu den hausgemachten Problemen auch noch Finanz- und Wirtschaftskrisen kommen. Das Beherrschen des betriebswirtschaftlichen, finanztechnischen und rechtlichen Handwerkszeugs zählt zu den Mindestanforderungen. Aber wie hat der Manager, der ein Unternehmen aus der Krise führen soll, zu agieren? Welche Rollen hat er auszufüllen?
Er solle führen, wünschen die Orientierungslosen; aber nicht sprunghaft sein, meinen die Bedächtigen. Man wolle einen Macher, drängen die Aktiven; aber keinen Aktionisten, bremsen die Skeptiker. Einen Prüfer, fordern die Genauen; aber keinen Kontrollfreak, fürchten die Flexiblen. Einen Helfer, erhoffen die Teamfans; aber keinen entmündigenden, bangen die Einzelkämpfer. Einen Berater, verlangen die Weitblickenden; aber keinen Maulhelden, argwöhnen die Tatendurstigen. Einen Organisator, begehren die nach Ordnung Dürstenden; aber keinen von Regeln Besessenen, zögern die Individualisten. Einen Künstler, träumen die Innovativen; aber keinen Träumer, warnen die Bodenständigen.
Also doch jemanden mit leicht überirdischem Flair? Nein, nicht überirdisch, aber überdurchschnittlich – in Hinblick auf Auffassungsgabe, strukturelles Denken, Kommunikations- und Verhandlungsstärke, Entscheidungswillen und vor allem nachprüfbarer Erfahrung. Sie/Ihn gilt es zu suchen, zu finden, deren Referenzen zu prüfen. Und für eine oftmals riskante, herausfordernde, aber befriedigende Aufgabe zu motivieren. Kein Job für Glücksritter, aber für Könner mit glücklichem Händchen.

Peter Gusmits, Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Forschung im Herzen Europas

Forschung im Herzen Europaswww.foto-julius.at

Mit einer breit angelegten Forschungs- und Technologiestrategie hat sich Niederösterreich zu einem international anerkannten Standort entwickelt; das K2-Zentrum für Tribologie „XTribology“ und das K1-Zentrum für Medizinische Innovation und Technology ACMIT am Technopol Wiener Neustadt wären weitere Meilensteine.

Vor fünf Jahren startete das Land Niederösterreich im Rahmen seiner „Technologie-Offensive“ das Technopol-Programm und betraute mit der Umsetzung die niederösterreichische Wirtschaftsagentur Ecoplus. An den drei Technopolen Krems, Tulln und Wiener Neustadt wird praktiziert, was im Wettbewerb der Regionen immer wichtiger wird: die Bündelung und Vernetzung anwendungs­orientierter Forschung mit der Hightech-Industrie. Die unternehmerische Dynamik steht dabei im Vordergrund: Die Ergebnisse technologischer Forschung und Entwicklung werden direkt in wirtschaftliche Anwendungen umgesetzt.

Anträge für die Elite-Liga
An den Technopolen sind Kompetenzzentren angesiedelt, die ein von Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam definiertes Forschungsprogramm auf hohem Niveau verfolgen; sie sind wichtige Säulen der niederösterreichischen Technologiestrategie. Zwei dieser Kompetenzzentren am Technologie- und Forschungszentrum Wiener Neustadt haben derzeit beste Aussichten, in die Elite-Liga der europäischen Forschungsszene aufzusteigen.
Das Spitzenforschungsprogramm Comet (Competence Centers of Excellent Technologies) wurde vom Infrastrukturministerium (BMVIT) und vom Wirtschaftsministerium (BMWFJ) initiiert und wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft abgewickelt. Zur Vollantragstellung im Rahmen des Comet-Programms wurden nun das Zentrum für Tribologie AC²T für ein K2-Zentrum und das Zentrum für Medizintechnik IMA für ein K1-Zentrum eingeladen.

Einzigartiger Cluster
In den letzten sieben Jahren wurde das Kplus-Kompetenzzentrum für Tribologie AC²T (Austrian Center of Competence for Tribology) aufgebaut. Tribologie beschäftigt sich mit Reibungs- und Verschleißeffekten von technischen Systemen und den dafür notwendigen Schmierstoffen. Die Anwendung tribologischen Wissens findet man überall: von der Schuhsohle bis zu künstlichen Hüftgelenken, zwischen Reifen und Fahrbahn, im CD-Player und ebenso beim Walzen von Stahl. Überall ist Bewegung – und oftmals zu viel Verschleiß.
Andreas Pauschitz, Geschäftsführer von AC²T Research, unterstreicht die am Technopol Wiener Neustadt zu diesem Thema gebündelte Expertise: „Forscher aus den Bereichen Physik, Chemie, Werkstoffwissenschaften, Maschinenbau, Elektrotechnik/Elektronik und Informationstechnologie bilden hier einen interdisziplinären Wissenscluster, wie er europaweit wohl einzigartig ist.“
Als K2-Zentrum (dabei handelt es sich um besonders ambitionierte Forschungsprogramme, die in einem hohen Ausmaß international sichtbar und international vernetzt sind) unter dem Namen „XTribology“ könnten die derzeit laufenden Aktivitäten enorm ausgeweitet werden. Allein für die ersten fünf Jahre würde sich das Comet-Projektvolumen auf rund 61 Mio. Euro belaufen. Zusätzlich ist, bei einer positiven Evaluierung im fünften Jahr, eine weitere Fünf-Jahres-Periode mit einem ähnlich hohen Budget vorgesehen. Diese rund zwölf Mio. Euro pro Jahr würden die Forschungsquote in Nieder­österreich äußerst günstig beeinflussen.
Ziel des „XTribology“-Forschungsprogramms ist die Realisierung von neuartigen Werk- und Schmierstoffen zur Optimierung des Reibungsniveaus und zur Reduktion von Verschleiß, Materialeinsatz und Energiebedarf. Andreas Pauschitz weiß: „Als K2-Zentrum würden wir auf europäischer Ebene in der absoluten Top-Liga mitspielen. Ähnliche Zentren in Deutschland und England sind erst seit Kurzem im Aufbau. Gerade für Niederösterreich mit seinen vielen produzierenden Betrieben ist das Know-how zur tribologischen Produktverbesserung essenziell, um auch in Zukunft durch Innovation und Technologie auf dem Weltmarkt bestehen zu können.“

Bündelung der Kräfte
Um das K1-Zentrum ACMIT (Austrian Center for Medical Innovation and Technology) mit einem Projektvolumen von knapp 18 Mio. Euro bemüht sich mit Integrated Microsystems Austria (IMA) – gemeinsam mit Profactor – ein weiteres Kompetenzzentrum des Technopols Wiener Neustadt.
Dieses in Österreich einmalige Forschungszentrum wird vor allem neue, verbesserte Technologien für minimal-invasive chirurgische Operationsmethoden erforschen. Bei diesen zukünftig verstärkt eingesetzten Methoden werden Eingriffe durch kleine Zugänge im Körper vorgenommen, wodurch die Belastung für den Patienten verringert und die Rehabilitationsdauer nach Operationen wesentlich verkürzt werden können. Durch die bei diesen Methoden notwendige, immer exaktere Präzision der Navigation ist die Verbindung mit Robotik ein nächster logischer Schritt. Der zweite Forschungsschwerpunkt der ACMIT-Aktivitäten wird im Bereich der Medizinrobotik für patientensichere medizinische Therapie und Diagnostik liegen.
IMA-Geschäftsführer Martin Gaggl hebt vor allem die Bündelung der Kräfte hervor: „Durch die direkte Nachbarschaft zu dem zukünftigen Therapie- und Behandlungszentrum Med Austron, dem Landeskrankenhaus Wiener Neustadt, der Gruppe Medizintechnik des Austrian Institute for Technology und den involvierten internationalen Spitzenforschungsinstituten entsteht in Wiener Neustadt eine für Österreich einzigartige Konzentration für zukunftsträchtige medizinische Technologien, die verstärkt auch von österreichischen Unternehmen vermarktet werden sollen.“

Internationale Top-Region
Niederösterreich hat sich als Forschungs- und Technologiestandort internationalen Formats im Herzen Europas etabliert. Durch zielgerichtete Förderungen sorgt die Wirtschaftspolitik für ein innovationsfreundliches Klima, das die Forschung und Entwicklung neuer Technologie massiv unterstützt.
Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav sieht den eingeschlagenen Weg voll bestätigt: „Die niederösterreichischen Kompetenzzentren haben in den vergangenen Jahren Hervorragendes geleistet und verfügen somit über eine sehr gute Basis für den Sprung in die Comet-Klasse. Mit diesen Zentren soll der Forschungsstandort Niederösterreich noch weiter ausgebaut und damit seine internatio-nale Position als eine der Top-Regionen gefestigt werden.“

Links

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Zeit für radikalen Wandel

Zeit für radikalen WandelBilderbox.com

Der größte Paradigmenwechsel in der Geschichte der Print-Medien steht bevor. Verliert die „vierte Macht im Staate“ ihre Stellung an das Internet? Und wie sieht der Journalismus der Zukunft aus?

Vorweg: Journalismus hat Zukunft. Die Frage ist nur, wie diese Zukunft aussieht. Es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass Print-Medien die größten Verlierer sein werden. Mittlerweile haben auch die hartnäckigsten Apologeten des „raschelnden Papiers“ verstanden, dass sich im Hintergrund des Verlagswesens ein dramatischer Paradigmenwechsel abspielt, der einer ganzen Reihe von Faktoren zu schulden ist.
Zuallererst, aber nicht ausschließlich, ist dieser Paradigmenwechsel natürlich dem Internet zu verdanken. Die Übermittlung von Nachrichten, die Schnelligkeit der Verbreitung von Berichten, die neuen Rezeptionsgewohnheiten der Internet-Generation und die allgemein wesentlich billigere Übermittlung von Inhalten bilden die technischen Grundlagen dieses Wandels.

Gesellschaftliche Prozesse
Dazu kommen gesellschaftliche Prozesse. Früher war der Erzeuger von Presseprodukten derjenige, der die Druckerpresse beziehungsweise das Kapital besaß, um drucken zu lassen. Heute ist das kein Hindernis mehr für Millionen von Menschen rund um den Globus, selbst Nachrichten zu verfassen und zu verbreiten und sich dabei den entsprechenden Möglichkeiten des Internets zu bedienen.
Es gehört mittlerweile zum Common Sense, dass Zeitungen weltweit unter enormem Druck stehen. In den USA ist seit Ausbruch der Finanzkrise kein Monat vergangen, in dem nicht irgendeine Zeitung Bankrott anmelden musste. Auch in Europa ist Downsizing an der Tagesordnung – mit Entlassungswellen von Journalisten in Deutschland und entsprechenden Sparmaßnahmen wie versuchten Kollektivvertragsunterwanderungen in Österreich. All das sind Zeichen dafür, dass es dem Publikum offenbar nicht mehr wert ist, für Journalismus im herkömmlichen Sinne zu bezahlen. Doch was ist die Alternative?
Der Medienexperte Mario García, der von Zeitungen rund um den Globus als Consulter für die Bewältigung dieser Probleme angeheuert wird, hat immerhin vielen seiner Kunden nahegebracht, dass sie schleunigst Verfahren entwickeln müssen, Print- und Online-Journalismus zu fusionieren. Die einen sind dabei flexibler als die anderen. Doch es zeigt sich, dass die Rezepte von García und anderen auch nicht der Weisheit letzter Schluss sind, wie er selbst sagt: „Es gibt hier einige große Tiere zu zähmen.“
Zum einen fehlt es an tragbaren Geschäftsmodellen, die über Google Ads und dergleichen hinausgehen, zum anderen offenbart Online-Journalismus auch gnadenlos die Schwächen des bisherigen Print-Journalismus, nämlich die Abhängigkeit von Agenturen, die Beliebigkeit in der Themenwahl, die Abhängigkeit von PR-Interessen und dergleichen. Überdies schaffen es viele Journalisten nach wie vor nicht, der neuen Geschwindigkeit von Online-Medien zu begegnen, und sehen sich einer Konkurrenz ausgesetzt, mit der sie oft nicht umgehen können.
Der Paradigmenwechsel für die Print-Medien setzt einen weiteren schmerzhaften Einschnitt voraus: Die Strukturen in den Verlagen selbst müssen sich radikal umstellen. Von der bisherigen Hierarchie, in der der Chefredakteur und mit ihm der Herausgeber die Linie bestimmen, muss sich ein Verlag in Binnenstrukturen zu gliedern beginnen. Das heißt: Weg vom hierarchischen Chefredakteurskonzept, hin zu selbst organisierenden Teams, weg vom Terminjournalismus, der von Pressekonferenzen bestimmt wird, hin zu organischen Arbeitsgruppen, die den News-Flow ohne bremsende Einwirkungen und Entscheidungswege bewältigen. Im Internet-Zeitalter kann es sich kein Verlag mehr leisten, auf Themenentscheidungen in Konferenzsitzungen zu warten. Oftmals besteht die Reaktionszeit auf News in nur wenigen Minuten.
Auch die klassische Ressort­einteilung muss neu überdacht werden. Die Inhalte müssen sich viel stärker an den Topic-Gruppen, die sich im Internet etablieren, ausrichten, statt dem klassischen Muster Innen-/Außenpolitik/Wirtschaft/Kultur/Sport/Beilagen zu folgen. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Interaktion mit dem Publikum als die gängige Auffassung von Tagesjournalismus, der nicht mehr mit dem Internet-Speed mithalten kann.
Man wird nicht darum herumkommen, die Leser mehr als bisher einzubinden, da die Vorinformation von Internet-Nutzern weitaus größer ist und die reine Nachricht auf vielen möglichen Wegen zu bekommen ist. Zeitung-Leser-Interaktion ist sogar eine der zentralen Herausforderungen für künftige Business-Modelle der Medien, die darin bestehen, aus ihrem Zeitungs-Internet-Auftritt ein Online-Gesamtangebot zu machen: angefangen von Content- über Access- und Service-Provider-Funktion bis hin zu Sonderleistungen wie Archivrecherche, Sonderprojekten zu bestimmten Events und vielem mehr. Das ist eine Chance für Zeitungen, aus ihrem wichtigsten verbliebenen Asset, der Marke, noch etwas zu machen.

Veraltete Strukturen
Einen Großteil der Hindernisse für einen nachhaltigen Wandel im Pressewesen sehen Experten einerseits in den bereits erwähnten veralteten Strukturen der Zeitungen, andererseits auch in der geringen Wandlungsfähigkeit der Journalisten und nicht zuletzt in einem grundfalschen Ausbildungsangebot. Ein Ausbau der journalistischen Flexibilität setzt nämlich immer das Vorhandensein von Kompetenzen voraus, die diesem Ausbau gewachsen sind. Zuallererst sind also Journalisten im Hinblick auf ihre technische Kompetenz zu trainieren, die mit der Bewältigung des Internet-Nachrichtenflusses an sich und der Nutzung der neuen technischen und inhaltlichen Möglichkeiten zu tun hat. Community-Journalisten etwa ziehen nicht mehr nur mit Schreibblock und Fotografen ins Feld, sondern mit Videokamera, Aufnahmegerät, Wireless-Data-Verbindung, Twitter-Account und dergleichen, um immer und überall online zu sein. Dieses Beispiel lässt sich nahtlos auf andere Ressorts übertragen.
Die Grenzen der bisherigen Berufsrollen werden bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Denn was der Journalismus dem Internet voraus hat, ist noch immer das Erkennen und Sammeln berichtenswerter Nachrichten, das Arbeiten im Feld und das Netzwerken mit Informanten. Das kann dem Journalisten kein Blogger daheim am Schreibtisch streitig machen. Und das ist auch der Grund, warum der Paradigmenwechsel die Rolle der Nachrichtenagenturen immens aufwerten wird – wenigstens eine Entwicklung mit Nachhaltigkeit.

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Baustelle Schule

Baustelle SchuleArkitema/David Trood

Offenes Lernen, fachübergreifender Unterricht, Ganztagsunterricht – Anforderungen, denen Österreichs Schulen mit den bestehenden Räumlichkeiten nicht gewachsen sind. Pisa-Sieger sehen anders aus.

Die Zeit ist reif für Schulreformen. Darüber herrscht seit dem katastrophalen Abschneiden von Österreichs Schülern bei der Pisa-Studie großkoalitionäre Eintracht. Im Hinblick auf das Wie und Wieviel an Reform klaffen die Meinungen jedoch auseinander. Bei allen Debatten über „Gesamtschule: ja oder nein“ oder Erhöhung der Lehrerarbeitszeit wird auf eine Frage völlig vergessen: Sind moderne Schulformen und innovative pädagogische Konzepte in den üblichen Schulräumen überhaupt umsetzbar?
Dieser Frage sind die in Slowenien geborene Architekturforscherin Maja Lorbek, der Wiener Architekt Robert Temel sowie die Projektpartnerinnen Edeltraud Haselsteiner und Gerhild Stosch nachgegangen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Moderne Unterrichtsmethoden wie offenes Lernen oder fachübergreifende Projektarbeit können ohne architektonische Anpassung des Schulbaus nur begrenzt praktiziert werden.
Eine Erkenntnis, die Christian Kühn, dem Dekan der Studienrichtung Architektur der Technischen Universität (TU) Wien, nicht fremd ist, und der bereits zahlreiche Publikationen über „nicht ganz zeitgemäße“ Schulbauten verfasst hat. „Das Ausbildungsziel hat sich seit Einführung der Schulpflicht gravierend verändert“, betont Kühn. „Die Institution Schule wird nicht mehr nur als Belehrungs- und Disziplinierungsanstalt gesehen. Schule heute hat den Auftrag, junge Menschen zu fördern statt zu selektieren. Ihnen nicht nur Wissen einzutrichtern, sondern sie für die globalisierte Arbeitswelt fit zu machen.“ Dass Frontalunterricht nicht zeitgemäß ist, werde heute kaum mehr bestritten. Das Problem sei jedoch, dass ein großer Teil der Schulgebäude aus der Gründerzeit stamme. Charakteristisch dafür sind lange, dunkle Gänge, wo sich Klasse an Klasse reiht, unterbrochen von Sonderräumen für den Turn- oder Chemieunterricht. Größe, Möblierung und Mindestfläche pro Schüler wurden am Ende des 19. Jahrhunderts definiert und streng genormt. „Diese Planungsnormen gelten zum Teil heute noch“, kritisieren die Architekten unisono.

Kein Platz für Freiräume
Das österreichische Klassenzimmer ist nach wie vor standardmäßig sieben Meter breit, neun Meter lang, 3,20 Meter hoch, ausgestattet mit 15 Doppeltischen und 30 Stühlen, einer Tafel an der Vorderseite und einem Waschbecken. So wird der sogenannte „nutzungsneutrale Klassenraum“ in den Schulbaurichtlinien festgeschrieben. Nur die Mindestfläche pro Schüler hat sich seit der Gründerzeit fast verdreifacht. Steckten damals 70 und mehr Schüler in einem ungefähr 60 Quadratmeter großen Raum, so ist die Schülerzahl heute auf 25 begrenzt. „Mit diesem völlig veralteten Schul- und Klassenmodell wird allerdings der Frontalunterricht in Österreichs Schulen einzementiert“, warnt Kühn und bemängelt, dass sich das durchschnittliche heimische Klassenzimmer nur als Vortragsraum, in dem Schüler zuhören und mitschreiben können, eignet. Raum für selbstständiges Lernen oder Gruppenarbeiten fehlt in den klassischen Gangschulen. Ein Ausweichen auf nutzbare Lern- oder Pausennischen in den weitläufigen Schulgängen verbieten strenge Brandschutzbestimmungen, die eine Nutzung von Fluchtwegen verunmöglichen.
Dass es sehr wohl möglich ist, moderne pädagogische Konzepte auch räumlich umzusetzen, veranschaulicht Robert Temel, der über Österreichs Grenzen hinausgeblickt hat. Wenig erstaunlich finden sich zahlreiche Best-Practice-Modelle im hohen Norden. Die skandinavischen Pisa-Sieger sind nicht nur Musterschüler im fachlichen Bereich, auch in puncto Schularchitektur haben sie die Nase vorne. „Der Trend geht klar in Richtung dezentralisierte Schule und Großraumschule“, erklärt Temel. „In Skandinavien sind sie auf dem besten Weg zur klassenlosen Gesellschaft“, meint er und erzählt von großen, offenen Räumen, die bloß durch Paravents und Regale Struktur erhalten und Klassenzimmer ersetzen.
Große, helle Räume, Lerninseln fürs konzentrierte Zuhören. Kunterbunte Lernlandschaften, in denen sich Schüler frei bewegen können, gehören zum Standard. In Skandinavien hat der Raum als dritter Pädagoge (neben Lehrer und Mitschüler) einen großen Stellenwert im Schulwesen eingenommen. Raum beeinflusst durch seine Eigenschaften Wohlbefinden und Konzentrationsfähigkeit der Schüler – eine Tatsache, die bereits mehrfach durch Studien bewiesen wurde.
Eines der anschaulichsten Beispiele für modernen, innovativen Schulbau ist die Futurum Skola in Balsta nahe Stockholm. Dort hat man eine Grund- und eine Mittelschule, die in den 1970er Jahren erbaut wurden, in eine gemeinsame Schule für alle Fünf- bis 16-Jährigen zusammengelegt. Unter dem Schlagwort „Kleine Schule in der gro­ßen Schule“ ist eine völlig neue räumliche und organisatorische Schulstruktur entstanden.
Sechs kleine Schulen bilden eine große Schule, die abgesehen von Sonderunterrichtsräumen wie Turn- oder Chemiesaal, dem Schulrestaurant und der Direktion keine zentralen Strukturen haben. Jede kleine Schule besteht aus einem 220 Quadratmeter großen, zentralen Lernraum, an den rundherum kleinere Unterrichtsräume, Teeküche, Lehrerzimmer und Garderoben angeschlossen sind. 160 Schüler werden von einem 16-köpfigen Lehrerteam betreut, das über die gesamte Schulzeit von zehn Jahren gleich bleibt. Die Schüler der verschiedenen Altersgruppen lernen zum Teil gemeinsam in unterschiedlichen, nicht abgeschlossenen Lernräumen, die durch Verglasungen miteinander verbunden sind und rund um ein Atrium angeordnet sind. Die Räume sind flexibel möbliert, die Arbeitsplätze frei wählbar. Durch höhenverstellbare Stühle und Tische können die Möbel von unterschiedlichen Altersstufen benutzt werden.
„Der Schüler kann frei wählen, wo und mit wem er arbeiten will. Er kann Einfluss nehmen, flexibel und selbstverantwortlich sein“, beschreibt Temel die Eindrücke seiner Besuche in Stockholm. „Das räumliche Umfeld wird dort ganz gezielt als pädagogisches Arbeitswerkzeug eingesetzt – eben als dritter Pädagoge.“

Klassenlose Schule
Ebenfalls nach dem Vorbild Futurum errichtet wurde die Hellerup-Schule in Kopenhagen. Sie wurde neu gebaut, und so gab es bei der architektonischen Gestaltung mehr Spielraum als bei der Zusammenlegung bestehenden Baubestandes. Die Hellerup-Schule zählt zur radikalsten Form des neuen Schultyps. Diese ganztägige Gesamtschule ist eine Großraumschule, in der es keine Klassenzimmer mehr gibt. Offene Geschoßebenen wurden nur durch Raumeinbauten wie Regale oder Paravents strukturiert. In kleinen, sechseckigen Raumzellen können Schüler konzentriert lernen und sich vorbereiten. Danach verteilen sie sich je nach Bedarf im Großraum Schule und arbeiten allein oder in Kleingruppen – wo immer sie wollen.
Schulen wie das Futurum oder Hellerup sind für Öster­reich Zukunftsmusik. Der Dschungel aus Baurichtlinien, Bauordnungen und Brandschutzbestimmungen lässt keinen großen architektonischen Spielraum. Aber auch hierzulande gibt es erste Anzeichen für bauliche Sanierungen, die eine funktionale Veränderung miteinbeziehen. Aktuelles Beispiel: die HTL Polgarstraße (Business Academy Donaustadt) in Wien 22. Aufgrund des starken Familienzuzugs in der Donaustadt war es höchste Zeit, die Schule zu erweitern. Erstmals wurde auf Initiative des Bildungsministeriums und des Stadtschulrates auch das Schulkollegium in die Planung miteinbezogen. „Ein einmaliges Pilotprojekt in Wien, das hoffentlich Nachahmung finden wird“, gibt sich Schuldirektor Christian Posad optimistisch. Er erstellte gemeinsam mit seinem Pädagogenteam ein Pflichtenheft, das in die Wettbewerbsrichtlinien integriert wurde.
Der rote Faden, der sich durch die gesamte Raumplanung zieht, ist das sogenannte Atrium- oder Cluster-Prinzip. Mehrere Räume unterschiedlicher Größe umschließen einen Zentralraum (Lerninseln). Das Atrium ist gleichzeitig Gangfläche, aber auch als Raum für Unterricht oder Freizeit nutzbar. Klassen im Erdgeschoß sollten auch einen Ausgang zu Freiflächen haben.

Auch Lehrer brauchen Raum
„Im Hinblick auf die zu erwartende längere Verweildauer der Pädagogen in der Schule haben wir auch Arbeitsplätze für Lehrer eingeplant. Anstelle des großen zentralen Lehrerzimmers wollen wir Arbeitszimmer für je zwölf Lehrer“, verrät der Schulchef Details aus dem Pflichtenheft. Jeder Lehrer bekommt einen Schreibtisch. Die Lehrerzimmer münden in einen großen Kommunikationsraum, der luftig, hell und oben offen sein soll. „Wenn wir schon länger in der Schule bleiben müssen, so wie die Bildungsministerin das fordert, dann wollen wir uns auch wohlfühlen“, so die Intention hinter den (Bau-)­ Plänen.
Schulneu- und zubauten bilden aber eher ein Minderheitenprogramm in Österreich. Denn angesichts der demografischen Entwicklung und des relativ großen alten Schulbestandes wird das vorhandene Budget schwerpunktmäßig in Sanierungen gesteckt. Im Zuge des jüngsten Konjunkturpakets wurden für das laufende Schuljahr 600 Mio. Euro für die Sanierung von 71 Schulen bereitgestellt. „Dabei steht allerdings mehr die Energieeffizienz und weniger die funktionale Sanierung im Vordergrund“, stellt Lorbek fest. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Baustelle Schule“, das das Ministerium beim FFG in Auftrag gegeben hat, erarbeitet die Architekturforscherin im Team modellhafte Umstrukturierungs-, Erweiterungs- und Sanierungskonzepte für den aktuellen Schulbestand. Aufgrund des knappen Budgets werden jedoch keine großen funktionalen Änderungen möglich sein. „Wir werden uns auf eine funktionale Reorganisa­tion der Strukturen und Möblierungsvorschläge zur besseren Raumeinteilung beschränken müssen“, bedauert Lorbek.
Die Zeit für neue Schulen ist jedenfalls mehr als reif. Jährlich scheitern Tausende Jugendliche (42.000 Sitzenbleiber 2008/09) in Österreichs Schulen, die didaktisch wie räumlich ins 19. Jahrhundert passen. „Seit damals sind aber einige Revolutionen passiert, die uns von der Industrie- in die Wissens- und Technologiegesellschaft katapultiert haben“, resümiert Architektur-Studiendekan Christian Kühn von der TU. Diesen Weg sollten doch auch endlich unsere Schulen einschlagen.

Astrid Kasparek, Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Karriere-Netzwerken

Karriere-Netzwerken XING

Weltweit nutzen laut einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Comscore rund 740 Mio. Menschen soziale Netzwerke. Um Berufliches vom Privatleben zu trennen, sind auch bereits viele Millionen Geschäftsleute in Business Networks wie Xing aktiv. Während andere Netzwerke auf Freizeit und Spaß fokussiert sind, nutzen unsere Mitglieder Xing über das gesamte Geschäfts- und Berufsleben hinweg. Damit unterscheiden wir uns nicht nur wesentlich im Ansatz, sondern auch in der Art und Weise des Netzwerkens.
Auch immer mehr Österreicherinnen und Österreicher machen von derartigen Plattformen Gebrauch.
Allein in Wien ist jeder sechste Erwerbstätige bei Xing angemeldet. Weltweit zählt das Unternehmen mit Sitz in Hamburg bereits mehr als acht Mio. Mitglieder. Im deutschen Sprachraum ist Xing mit mehr als 3,4 Mio. Fach- und Führungskräften klarer Marktführer.
Immer mehr Menschen erkennen, dass ein gut funktionierendes Netzwerk entscheidend für die berufliche Karriere ist. Auf Xing können sie ihr berufliches Netzwerk kostenlos aufbauen und pflegen. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten stellen direkte Kontakte – und auch Kontakte zweiten Grades – ein enormes Potenzial dar. Das Internet vereinfacht die Kontaktaufnahme mit potenziellen neuen Geschäftspartnern erheblich. Über Xing kann man die relevanten beruflichen Kontakte finden – und auch von ihnen gefunden werden: sei es von Dienstleistern, neuen Vertriebspartnern oder auch Arbeitgebern; und das nicht nur regional, sondern weltweit. Interessant ist, dass immer mehr Personalentscheider berufliche Netzwerke nutzen, um auf Fach- und Führungskräfte aufmerksam zu werden, die zwar nicht aktiv nach einem neuen Arbeitgeber suchen, aber langfristig offen für neue berufliche Herausforderungen sind.
Ein Tipp: Um Xing optimal zu nutzen, sollten einige wesentliche Grundregeln beachtet werden. Erfolgreiches Networking ist keine Einbahnstraße – es funktioniert nach dem Prinzip „Geben und Nehmen“. Je mehr man in seine Kontakte investiert, desto mehr profitiert man von ihnen. Einfach nur Kontakte zu sammeln, reicht nicht aus. Es geht vielmehr darum, aktiv zu sein, sich auf der Plattform in branchenrelevanten Themengruppen auszutauschen oder auf Events, wie sie auch von der offiziellen Gruppe „Xing: Wien“ organisiert werden, Geschäftsleute aus der eigenen Region vor Ort zu treffen. Dann kann Xing, zusätzlich zum Business-Werkzeug im Beruf, zu einem hilfreichen Begleiter auf dem persönlichen Karriereweg werden.
Stefan Schmidt-Grell ist Director Xing Jobs beim Social Network Xing.

Links

Stefan Schmidt-Grell, Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009

Pages