Bilanzspiele mit dem „Humankapital“
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In Krisenzeiten greifen immer mehr Unternehmen auf Leiharbeiter zurück. Diese „flexiblen“ Arbeitskräfte sind ein zentrales Beispiel für die Verwandlung von Dienstnehmern in so genanntes Humankapital.
Die Krise, auch wenn sie von Wirtschaftslenkern bereits als quasi überwunden dargestellt wird, hat Österreich voll im Griff. Anfang September wartete der Arbeitsmarkt mit einer neuen Hiobsbotschaft auf: Die Lage ist dramatisch wie schon lange nicht. Österreichweit waren Anfang September knapp 240.000 Personen arbeitslos gemeldet. Rechnet man jene, die in Schulungen sitzen (rund 57.000), dazu, liegt die Arbeitslosenquote bei einem Rekordhoch von rund 300.000 oder 6,5 Prozent. Allein in Wien ist die Zahl der Nicht-Erwerbstätigen im August um fast 15 Prozent gestiegen, sagt Hans-Paul Nosko vom AMS Wien. Und es ist keine Entspannung abzusehen: Im Herbst, einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit bei den Saisonberufen zunimmt, dürfte die Zahl weiter ansteigen, befürchten Arbeitsmarktexperten.
Was dagegen tun? Es gibt eine Anzahl von Betrieben, die sich über die Krisenzeit mit flexiblen Leiharbeiterverhältnissen retten, so etwa Infineon oder Magna. Das lässt sich natürlich politisch ausschlachten, wenn etwa Infineon-Chefin Monika Kircher-Kohl kürzlich verkündete, ihr Unternehmen stelle nun wieder 100 Leiharbeiter ein, da Infineon in Kärnten „alle Hände voll zu tun“ habe.
Keine Nachhaltigkeit
Dabei geht es allerdings bloß um das Abdecken von Auftragsspitzen und keine nachhaltigen Arbeitsplätze. Für die fixen Beschäftigten steht Infineon die Maßnahme der Kurzarbeit zur Verfügung, die auch im Sommer für 1400 der 2300 Beschäftigen in Anspruch genommen wurde. Leiharbeiter können dagegen jederzeit an den Arbeitskräfteüberlasser „zurückgegeben“ werden und kommen hinsichtlich der Lohnnebenkosten deutlich günstiger.
Diese Maßnahme mag in Krisenzeiten legitim sein, die mediale Ausschlachtung ist
allerdings nicht anderes als ein PR-Gag. Leiharbeiter oder Zeitarbeiter erledigen die gleiche Arbeit, ohne dass sich das Unternehmen auf die üblichen Verpflichtungen einlassen muss. Leiharbeiter sind billiger und leichter zu entlassen, haben in den seltensten Fällen eine Chance auf einen fixen Vertrag und leben in einem konstanten Zustand der Unsicherheit – also Humankapital, das man je nach Bedarf auf dem Arbeitsmarkt herumschiebt.
Es existiert zwar für Leih- und Zeitarbeiter ein Kollektivvertrag („Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlasser“), der auch Weihnachtsremuneration, Urlaubszuschuss, Krankengeld und Abfertigung vorsieht, allerdings in einem weit weniger für die einstellenden Unternehmen belastenden Maße als für eine Vollarbeitskraft. Dazu kommt die fehlende betriebsrätliche Vertretung am Arbeitsplatz, da Leiharbeiter ja beim Arbeitskräfteüberlasser angestellt sind. Leiharbeiter sind ein klassisches Beispiel für „Humankapital“ und die daraus folgenden Nachteile für persönliche Lebensläufe. So brachte die bisher umfangreichste Studie zur Situation der Leiharbeiter in Österreich, die die Arbeiterkammer (AK) Salzburg Anfang 2008 veröffentlichte, ein verheerendes Selbstbild derselben zu Tage.
In gleichem Maße, wie die Branche der Arbeitskräfteüberlasser in den letzten Jahren boomte und sich die Zahl der Leiharbeiter mehr als verzehnfachte, stieg der Pessimismus in dieser Beschäftigtengruppe. „Leiharbeiter sind zu vergleichen mit Ersatzbankspielern“, sagt Siegfried Pichler, der Präsident der AK Salzburg. „Brennt es, werden sie eingesetzt. Werden sie nicht mehr gebraucht, geht es zurück auf die Ersatzbank. Da Leiharbeitsverhältnisse nicht wirklich auf Dauer angelegt sind, darf sich das aber keinesfalls auf die soziale Absicherung der Arbeitnehmer auswirken.“
Sozial- und Lohndumping
Leiharbeit als Überbrückung oder Wiedereinstiegshilfe sei von Arbeitnehmerseite zu befürworten, aber keinesfalls, wenn damit Sozial- und Lohndumping einhergehen. Die Verdienstmöglichkeiten für Leiharbeiter sind folgerichtig wenig rosig. Der Mindestlohn beginnt beim ungelernten Arbeiter bei 6,70 Euro und endet beim Techniker bei 12,77 Euro brutto pro Stunde. Infineon-Leiharbeiter berichten von Nettolöhnen im Schnitt von rund 900 Euro, was deutlich unter den Löhnen ihrer fest angestellten Kollegen liegt. Dazu kommt, das Leiharbeiter die Ersten sind, die beim Eintritt von Kurzarbeit im Betrieb das rosa Briefchen bekommen, da die Beschäftigungsgarantie bei Kurzarbeit für sie nicht gilt oder von den Betrieben ignoriert wird. Eine Abdeckung von Auftragsspitzen wie im Falle von Infineon als „Mitarbeiterausbau“ zu bezeichnen, entbehrt daher nicht eines gewissen Zynismus.
In Deutschland, wo es ebenfalls zu einem dramatischen Anstieg der Leiharbeit gekommen ist, warnte die Gewerkschaft IG Metall bereits vor einer neuen „Armutsfalle“. Vor allem der Missbrauch von Leiharbeitsverhältnissen habe drastisch zugenommen, wie Detlef Wetzel, Funktionär der deutschen Gewerkschaft IG Metall, kürzlich im Spiegel erklärte. Es sei ein „unverantwortlicher Umgang mit Arbeitnehmern (...), Menschen eine Perspektive auf eine gesicherte Zukunft und ein gutes Leben“ zu verwehren, indem die verschiedensten Branchen Leiharbeitsverhältnisse nützen, um Dumping-Löhne zu etablieren.
Leiharbeiter sind ein klassisches Beispiel für „Humankapital“, ein Begriff, der nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben degradiere, sondern Menschen überhaupt „zu nur noch ökonomisch interessanten Größen“ mache, sagt die Gesellschaft für deutsche Sprache, die „Humankapital“ bereits 2004 zum „Unwort des Jahres“ gekürt hat. Der Gegenvorschlag der Wirtschaft war, das Wort mit „Humanvermögen“ zu ersetzen.