Tanken mit altem Fett, Holz und Algen
EEE Bei aller Liebe zu Elektroautos – die Welt wird künftig auch flüssige Treibstoffe brauchen, die CO2-neutral sind. Biotreibstoffe aus Nahrungsmitteln und Altfetten sind im Augenblick eine Lösung. An Treibstoffen aus Holz und landwirtschaftlichen Abfällen wird geforscht. Güssing und die Technische Universität Wien sind Vorreiter.
1989 war das Jahr, in dem Kolonnen von Trabis vom Osten in den Westen fuhren. Eine Mauer fiel. Der Stacheldrahtzaun quer durch Europa wurde abgerissen. Ein politisches System zerbröselte. Die Zeitenwende passierte vor 20 Jahren. Der Wurm war allerdings schon lange vorher im System. Der Zusammenbruch war fällig.
In jenen Jahren warnten Wissenschaftler erstmals vor einer Klimaerwärmung, die von Menschen verursacht sein soll. Messungen deuteten auf einen dramatischen Anstieg von Kohlendioxid (CO2) und anderen Gasen in der Erdatmosphäre hin, der mit der vor 200 Jahren einsetzenden Industrialisierung korreliert.
Damals stellten noch viele Menschen diese Erkenntnisse infrage. Vor zehn Jahren zweifelten dann nur noch Industrievertreter, die eine Bedrohung ihres Business aufgrund von CO2-Emissionsbeschränkungen befürchteten. Seit die Wissenschaftler des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in ihren 2007 veröffentlichten Berichten den von Menschen verursachten Klimawandel noch einmal penibel dokumentierten und dafür den Friedensnobelpreis erhielten, herrscht weitgehender Konsens über die Analyse. Und die Dringlichkeit des Handelns wird immer atemberaubender.
Mobilität beruht auf Erdöl
Das zeigen Polarforscher, die nach jeder Sommerexpedition ihre Prognosen revidieren müssen, weil das Eis in der Arktis schneller wegschmilzt als erwartet. Der britische Polarforscher Pen Hadow und sein Team haben heuer für den Catlin Arctic Survey 450 Kilometer schwer zugängliches Eis vermessen. „Die Daten des Catlin Arctic Survey untermauern den neuen Konsens (...), dass die Arktis innerhalb von 20 Jahren im Sommer eisfrei sein wird“, analysierte Peter Wadhams, Professor für Ozeanphysik an der Universität Cambridge.
Die Klimaerwärmung kann nur noch abgeschwächt werden. In den vergangenen 200 Jahren ist durch das Verbrennen von fossilen Treibstoffen so viel zusätzliches CO2 in die Atmosphäre gelangt, dass der natürlich vorhandene Treibhauseffekt verstärkt und die Temperatur auf der Erde langsam hochgetrieben wird – selbst wenn es ab sofort keine weiteren Emissionen mehr gäbe. Nun geht es darum, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Prozent zu begrenzen. Dafür ist es notwendig, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen möglichst ganz zu eliminieren. Das bedeutet einen radikalen Umbau der gesamten Energiegewinnung, der industriellen Produktion, des Verkehrs, des Heizens und Kühlens von Häusern und Wohnungen.
Unsere Mobilität basiert großteils auf der Verbrennung von fossilen Treibstoffen – außer wir gehen zu Fuß oder fahren mit dem Rad oder mit durch Strom aus Wasser- oder Windkraft betriebenen Straßenbahnen und Zügen. Transport verursacht laut IPCC weltweit 23 Prozent aller CO2-Emissionen und hat die höchste Zuwachsrate. Hierzulande stiegen die CO2-Emissionen aus dem Verkehr von 1990 bis 2007 um 73 Prozent, von 14 auf 24 Mio. Tonnen.
Erst Klimasorge lässt handeln
In den 1970er Jahren war die Endlichkeit der Ressourcen und die Abhängigkeit von erdölexportierenden Staaten die treibende Kraft, um nach Alternativen zu suchen. Doch der Druck auf die Forschung war nicht allzu groß – es schien ja noch reichlich Erdöl zu geben. Seit die Klimagefahr durch CO2-Emissionen endlich ernst genommen wird, werden viel Geld und Mühe in Forschung und Entwicklung von alternativen Treibstoffen investiert. Elektrisch betriebene Autos gelten als ökologisch gute Lösung, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Flüssige Treibstoffe sind dennoch notwendig: für Lkws und Flugzeuge. Alternative Treibstoffe sind Biodiesel, Bioethanol, synthethische Biotreibstoffe, Wasserstoff, Biogas und Erdgas. Zwar setzen auch Biotreibstoffe bei der Verbrennung Kohlendioxid frei, doch die Pflanzen absorbieren während ihres Wachstums CO2 aus der Luft und werden deshalb als CO2-neutral betrachtet.
Biodiesel und -ethanol sind bereits Treibstoffe der Gegenwart. Die EU hat festgelegt, dass Biokraftstoffe bis 2010 im Ausmaß von 5,75 Prozent und bis 2020 von zehn Prozent den fossilen Treibstoffen beizumischen sind. Österreich ist neben Deutschland, Frankreich und Schweden Vorreiter bei Biotreibstoffen in der EU. In Österreich wird seit Februar 2009 dem Diesel zu sieben Prozent Biodiesel beigemischt, dem Benzin wird zu 5,75 Prozent Ethanol beigefügt. Doch nach einer Euphorie in den ersten Jahren ist zuletzt wegen gestiegener Nahrungsmittelpreise die Sinnhaftigkeit dieser Energieerzeugung massiv infrage gestellt worden.
Für Biotreibstoffe der zweiten Generation sollen nicht mehr Nahrungsmittel verwendet werden, sondern Holz und landwirtschaftliche Abfallprodukte wie Stroh oder spezielle Energiepflanzen. Die feste Biomasse wird erst einem Vergasungsprozess zugeführt und dann zu Treibstoff verflüssigt. Man spricht deshalb von Biomass-to-Liquid-Treibstoffen.
Energieautark als Ziel
An führender Stelle forscht hierzu das Institut für Verfahrenstechnik der Technischen Universität (TU) Wien gemeinsam mit Bioenergy 2020 und dem Europäischen Zentrum für erneuerbare Energien in Güssing. Die südburgenländische Gemeinde hatte sich Anfang der 1990er Jahre das verwegene Ziel gesetzt, energieautark zu werden. Güssing ist eine waldreiche Gegend. Neben genossenschaftlichen Heizanlagen in Dörfern wurde ein großes Biomassekraftwerk gebaut. TU-Wien-Professor Hermann Hofbauer griff das in den 1920er Jahren für Kohle entwickelte Fischer-Tropsch-Verfahren wieder auf und nahm als Rohstoff Holz statt Kohle.
Holzschnitzel werden mit Wasserdampf auf ungefähr 850 Grad Celsius erhitzt. Dabei entsteht ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff sowie Wärme, die als Fernwärme genutzt wird. Das Gasgemisch betreibt einen Gasmotor zur Stromerzeugung. Aus dem Monoxid/Wasserstoff-Gemisch kann auch Methan, also synthethisches Erdgas, oder synthethischer Diesel erzeugt werden. „2004 haben wir begonnen, in der Anlage versuchsweise flüssigen Treibstoff zu gewinnen“, sagt Reinhard Rauch, Chemiker an der TU Wien.
In einem EU-Projekt wurde von 2004 bis 2007 erforscht, wie aus Holz Treibstoff erzeugt werden kann. Unter den Forschungspartnern waren neben Güssing, der TU Wien und anderen Universitäten auch Volkswagen, Daimler, Volvo und BP. Seit dem Ende des EU-Projekts arbeitet Rauch mit nationalen Forschungsgeldern weiter. Derzeit gibt es in Güssing eine Versuchsanlage, mit der zwei bis drei Kilo Diesel pro Tag erzeugt und getestet werden. Jetzt geht es darum, eine größere Demonstrationsanlage zu bauen – und dafür Investoren zu finden.
Eine solche hat das deutsche Unternehmen Choren bereits in Freiberg bei Dresden auf die grüne Wiese gestellt. Auch dort wird aus Holz Diesel erzeugt. „Sie nehmen zwar Holz, und am Ende kommt Diesel raus, aber die Verfahrensschritte sind komplett anders“, sagt Rauch. Choren verwendet eine eigene Vergasungstechnologie und kombiniert diese mit einem Fischer-Tropsch-Verfahren, das Shell entwickelt hat. Güssing hat eine Polygenerationsanlage, die Strom, Wärme und Kraftstoff gleichzeitig erzeugt und einen Gesamtwirkungsgrad von 85 Prozent hat. Choren erreicht einen wesentlich geringeren Wirkungsgrad.
Bei Biodiesel seien Choren und Güssing am weitesten fortgeschritten, sagt Rauch. In den USA konzentriert man sich darauf, aus Holz Ethanol für Benzinersatz herzustellen. Dabei ist GTI in Chicago führend.
Schlechte Energiebilanz
Wie viel Energie auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen produziert werden kann – und ob das überhaupt sinnvoll ist –, daran scheiden sich die Geister. Der Zug ist erst einmal abgefahren. Die EU setzt ihre begonnene Politik fort und weitet den erforderlichen Anteil an Zumischung von Biokraftstoffen auf zehn Prozent bis 2020 aus. Bauern haben sich auf das Zusatzeinkommen eingestellt, und die Biodiesel- und Ethanolanlagen sind gebaut.
Der deutsche Chemienobelpreisträger Hartmut Michel, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main, stellte eine ernüchternde Energierechnung für Biotreibstoffe auf: Bei der Produktion von Rapsöl in Deutschland sei die Ausbeute etwa 1200 Liter Öl pro Hektar, die einen Energiegehalt von 11.000 Kilowattstunden haben. Der Biodiesel enthalte nur 0,11 Prozent der Energie des Sonnenlichts, die auf das Land einstrahlte. Für Rapsanbau und Dieselherstellung gehen mindestens 50 Prozent der Energie drauf, die im Biodiesel steckt.
Ähnlich ist die Rechnung bei Bioethanol, das in Europa aus Getreide oder Zuckerrüben, in den USA aus Mais gewonnen wird. 80 bis 90 Prozent der im Bioethanol enthaltenen Energie müssen eingesetzt werden, um es überhaupt zu gewinnen. Auch wenn aus Mais Biogas erzeugt wird, um daraus elektrischen Strom zu erzeugen, ist die Bilanz ähnlich. Was Michel zu einer interessanten Rechnung verleitet: Würde der Landwirt auf nur einem Prozent der Anbaufläche Fotovoltaikanlagen installieren, so würde er mehr Energie produzieren und bräuchte nicht einmal zu arbeiten (siehe dazu Die Zukunft der Energie. Die Antwort der Wissenschaft. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft, C. H. Beck Verlag, 2008).
Optimistischer sehen Autoren einer Studie der Internationalen Energieagentur die Bioenergiezukunft. Biomasse könnte bis 2050 rund ein Drittel zum globalen Energiemix beitragen. Dabei haben auch Rest- und Problemstoffe Potenzial zur Energiegewinnung, etwa Stallmist und Klärschlämme.
Auf die Verwertung solcher Problemstoffe hat sich der Grazer Anlagenbauer Biodiesel International (BDI) spezialisiert. BDI konzipiert und baut Multi-Feedstock-Anlagen, die neben Pflanzenölen alle möglichen Rohstoffe einsetzen können, etwa Altspeiseöle oder Tierfette. Zwei Anlagen werden gerade gebaut. Eine Anlage in Amsterdam verwertet Tierfette. Eine Anlage in Hongkong verwertet Fette und Öle, die aus dem Abwasser der Restaurantküchen über Fettabscheider ausgefiltert werden. Diese Fette werden bisher auf einer Deponie entsorgt oder landen illegal im Meer.
BDI machte in den vergangenen Jahren eine Berg- und Talfahrt durch, die den Hype um Biodiesel widerspiegelt. Von 14 Mio. Umsatz 2005 schnellte man auf 88 Mio. 2006 und ging 2008 auf 62 Mio. zurück. „Es hat eine Goldgräberzeit gegeben, und die Banken haben auf Teufel komm raus finanziert“, sagt BDI-Chef Wilhelm Hammer. Dann besteuerte Deutschland den Biodiesel, die Produzenten kämpften mit steigenden Rohstoffpreisen, und durch die Finanzkrise brach die Anlagenfinanzierung ein.
Auch die Forschung und Entwicklung hinsichtlich einzelner alternativer Treibstoffe ist nicht krisensicher. Es gibt Moden, was gerade „hot“ ist und was nicht. Vor zehn, 15 Jahren waren Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie hot. Das sind sie im Augenblick nicht, da sich bisher kein durchschlagender Erfolg abgezeichnet hat.
Dies wurde sichtbar, als US-Energieminister Steven Chu im Mai dieses Jahres das Budget für Wasserstoffforschung auf die Hälfte kürzen wollte. Daraufhin hat die Wasserstoff-Lobby, zu der die drei großen US-Autohersteller gehören, zurückgeschlagen. Der Kongress hat dem unwilligen Energieminister nun sogar eine Erhöhung der Wasserstoffförderung auf 190 Mio. Dollar beschert.
Hot sind im Augenblick vor allem ölproduzierende Algen. „Bestimmte Algen enthalten bis zu 30 Prozent Lipide“, sagt die Verfahrenstechnikerin Heike Frühwirth von BDI. Seit drei Jahren forscht der Anlagenbauer an Algen. Es geht darum, die richtigen Algen unter den besten Bedingungen zu züchten und das Herstellungsverfahren zu optimieren. Passende Algen werden von Biologen der Universität Wien gefunden. Kommerzielle Algenzüchtung zur Erzeugung von ungesättigten Fettsäuren und Pigmente gibt es bereits. Algen zur Treibstofferzeugung sind ein neues Gebiet, an dem sich die Forscher weltweit abstrudeln. „Ich könnte jeden Monat auf eine wissenschaftliche Konferenz zu Algen fahren“, so Frühwirth. Das US-Energieministerium hat 85 Mio. Dollar für Algenforschung bereitgestellt, und der Ölkonzern Exxon Mobil steckt 600 Mio. Dollar in ein Algen-Joint-Venture mit dem Genom-Pionier J. Craig Venter.
Politik muss Anreize setzen
Jahrzehntelang hat der niedrige Ölpreis Energieforschung quasi verhindert, nun fließen die Gelder. Reichen sie aus? „Forscher wollen immer mehr Geld, eh klar“, sagt Gerfried Jungmeier von Joanneum Research. „Doch viele Umweltprobleme könnten wir bereits lösen, ohne zu forschen. Man kann mit kleinen, sparsamen Autos oder mit der Straßenbahn fahren, die gibt es schon.“
Forschung könne für die Zukunft Technologien entwickeln. Doch die Politik müsse Anreize setzen, um eine CO2-arme Wirtschaft zu realisieren. SUVs im Stadtverkehr mit Biodiesel zu füttern gehöre nicht dazu.
Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009