Neue Abstimmung über Atomkraft?
Andy Urban 30 Jahre nach dem Nein zur Kernenergie glaubt „Mr. Zwentendorf“ Walter Fremuth, dass sich die Frage in Österreich wieder stellen wird. Für rot-weiß-roten Atommüll gebe es einen gültigen Vertrag mit China.
„Leicht oder stark?“, fragt Walter Fremuth zu Anfang des Interviews Rauchware anbietend und zieht genüsslich an seiner Zigarette. Der 77-Jährige bevorzugt starke Dunhill. Ebenso entspannt, wie der Langzeit-Chef des Verbunds daran zieht, spricht er über die in Österreich verpönte Atomkraft und schildert seine brisanten Versuche, das Kraftwerk Zwentendorf in den frühen 1980er Jahren doch noch hochzufahren.
economy: Herr Fremuth, was sagen Sie zur Renaissance der Atomkraft in Europa?
Walter Fremuth: Die Frage wird sich auch in Österreich wieder stellen.
In Österreich ist in den letzten 30 Jahren das Licht nicht ausgegangen – ohne Zwentendorf. Warum soll sich die Frage jetzt stellen?
Mit dem jetzigen Kraftwerkspark kann der Energiebedarf unter keinen Umständen gedeckt werden. Es werden schon zehn bis zwölf Prozent der Energie importiert. (Rund ein Drittel ist Atomstrom, Anm. d. Red.)
Dann wird halt noch mehr importiert.
Der Energiebedarf steigt konstant an. Wir können nicht uferlos zum Stromimportland werden. Das ist eine Frage der Versorgungssicherheit, der Zahlungsbilanz und der Kapazität der Stromleitungen.
Der Ausbau der Wasserkraft und anderer erneuerbarer Energien genügt für Österreich nicht?
Langfristig nicht. Damit können wir die Atomfrage nur um wenige Jahre hinausschieben.
Um wie viele?
Vielleicht um sechs bis sieben. Dann stellt sich die Frage erneut, ob wir neben der Wasserkraft bei der klassischen thermischen Energie aus Kohle, Öl und Gas bleiben oder unserem Volk neuerlich die Frage der Kernenergie stellen sollen. Zu den Grenzen der Wind- und Sonnenenergie: Die Windkraft erzeugt Lärm und bedeutet den Vogeltod. Und wir leben nicht an der windigen Nordsee. Auch die Sonnenstunden sind begrenzt. Ökonomisch rechnet sich Sonnenenergie derzeit nur für Heißwasser. Damit wir was zum Lachen haben: Einmal hat man mich gedrängt, ein Sonnenkraftwerk zu bauen. Mit 40 Kilowatt. Also bitte. Zur Eröffnung kam ich eine Stunde früher: Diesigstes Wetter, es hat geschüttet. Was zeigt mir der Leistungsmesser? Vier Kilowatt. Ich dachte mir: Mar’a ’nd Josef, die Journalisten kommen. Ich hab Strom aus dem Netz dazugegeben und 37 Kilowatt ausweisen lassen.
Wäre Zwentendorf reaktivierbar?
Nein, absolut nein. Aber ein Detail zur Geschichte: Anfang der 1980er Jahre habe ich Signale von der regierenden SPÖ und der oppositionellen ÖVP bekommen: Wenn ich die Frage der Atommüll-Endlagerung löse, würde man eine neue Volksabstimmung durchführen.
Warum das Ganze?
Es war eine Deckungslücke bei der Energie da, außerdem war der Verbund konkursreif. Das Eigenkapital betrug 3,8 Mrd. Schilling, der Buchverlust durch Zwentendorf 4,4 Mrd. Schilling. Ich habe in ganz Europa meine Fühler nach Endlagern ausgestreckt, in der DDR hätte ich fast Erfolg gehabt. Später gaben mir amerikanische Freunde den Wink, mich an China zu wenden. Also bin ich auf abenteuerliche Weise über Iran, Bahrain, Pakistan nach Peking.
Wer hat von der heiklen Reise gewusst?
Der Bundeskanzler, der Energieminister und der Aufsichtsrat des Verbunds. Nach zwei Tagen Verhandlung mit dem chinesischen Atomminister hatte ich diesen Vertrag. Er gilt heute noch.
Das heißt, heute könnte Österreich theoretisch Atommüll in China lagern.
Jawohl! Ich bin also mit geschwellter Brust heim zu meinem Freund, Bundeskanzler Fred Sinowatz, wir haben uns brüderlich umarmt. Nur meinte er: „Das mit den Chinesen, das nimmt uns die Bevölkerung nicht ab.“ Also hin bin ich nach Moskau und zeigte dort den Vertrag mit den Chinesen. Ich spekulierte auf einen sowjetischen Vertrag – und bekam ihn. Wieder ging ich zu Sinowatz. Er hat mich abgebusselt. Im Parlament wurde mit 51 zu 50 für eine Änderung des Atomsperrgesetzes entschieden. Aber es hätte eine Zweidrittelmehrheit sein müssen. Daraufhin ging ich zu Sinowatz, dem ÖGB-Chef Benya und meinem Aufsichtsratspräsidenten Krejci und hab höflich das Götz-Zitat vorgetragen. Ich hatte ja auch anderes zu tun.
Sie kennen das Atomkraftwerk Mochovce, das jetzt ausgebaut wird, gut. Wie sicher ist es Ihrer Meinung nach?
Schauen Sie, auch die Slowaken wollen überleben. Die sowjetischen Kraftwerkstypen sind besser als ihr Ruf. In Tschernobyl – ich war ein Jahr danach direkt am Sarkophag – wurde unerlaubterweise experimentiert.
Wie ist Ihre Einstellung zur Atomenergie heute?
Ich war als Parteiredner eingesetzt und habe vor der Volksabstimmung 1978 pro Kernenergie gepredigt. Es war trotzdem nie eine Glaubensfrage. Auch Kreisky war kein Atom-Fanatiker, er war leicht skeptisch. Aber er hat das Erbe von der ÖVP angetreten. Die war radikal pro Atomenergie. Es waren ja zwei Atomkraftwerke geplant, das zweite in St. Pantaleon an der Ennsmündung. Das war damals gar nicht notwendig. Es ist nur vorbereitet worden, weil die schwarzen Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich radikal um den Standort gekämpft haben, positiv, nicht negativ.
Zur Person
Walter Fremuth (77) ist einer der schillerndsten Wirtschaftslenker der Nachkriegszeit. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Wien begann er 1956 als Beamter und leitete später die Budgetabteilung der Postzentrale. 1970 wurde er Vize der Österreichischen Postsparkasse, 1975 bis 1979 war er stv. Generaldirektor der Girozentrale, 1979 übernahm er den Chefsessel des Verbunds, den er bis 1993 behielt. Fremuth setzte sich vehement für das fertiggestellte Atomkraftwerk Zwentendorf ein, dessen Inbetriebnahme die Österreicher 1978 abgelehnt hatten. Seit 1981 ist der pragmatische Sozialdemokrat Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009