„Suchen Sie sich eine andere Bank“
Andy Urban Die aktuelle Finanzkrise, die Rolle von Politik und Banken, eine drohende Konkurs- und Übernahmewelle bei österreichischen Unternehmen und das späte „Outing“ der österreichischen Banken: Klaus Perfall, Experte für Unternehmenssanierungen und -finanzierungen im Gespräch mit economy.
Internationale Ökonomen fantasieren über den Konkurs Österreichs. Heimische Ökonomen verweisen auf einen angespannten, aber grundsätzlich gesunden Staatshaushalt. Banken beteuern, es gebe keinen Rückgang bei Krediten. Unternehmen beklagen eine zunehmende Kreditklemme. economy holte die Erfahrungen von zahlreichen Unternehmen aus verschiedenen Branchen sowie die Sichtweisen der Banken ein und sprach mit Klaus Perfall, der als langjähriger Experte für Unternehmenssanierungen und -finanzierungen beide Seiten kennt.
economy: Herr Perfall, wo sehen Sie die Ursachen für die Finanzkrise?
Klaus Perfall: Ich habe es miterlebt, wie vor einigen Jahren ein hoher Politiker einem Bankvorstand fast wöchentlich vorgab, in den Osten zu investieren, um die einmalige Chance zu nutzen, dort als Erster möglichst viel Geschäft zu binden. Dies geschah so, dass die Kreditvergaben dieser Bank für österreichische Klein- und Mittelbetriebe geringer wurden und man auch die Bemühungen um einen Business-Kunden zurückschraubte. Die Gier im Osten war wichtiger, als die eigenen österreichischen Unternehmen mit deutlich kleineren Renditen ausreichend zu finanzieren. Einige Unternehmen mussten nach 20 Jahren Bankbeziehung ihre Projektkredite eben bei anderen Banken suchen oder konnten Projekte nicht durchführen.
Wie ist die aktuelle Entwicklung?
Jetzt ist Krise. Selbst einem Nichtbanker ist klar, dass das Islandfinanzdesaster viel weniger dramatisch für Banken war als das Ostengagement der Banken. Die Gefahr ist im Osten größer, das wurde aber heruntergespielt und mit der 50 Mrd.- Euro-Geldspritze gelindert.
Und durch die Staatsgarantien?
Ja, die Banken haben natürlich auch die von der Politik zur Verfügung gestellte Staatsgarantie in Anspruch genommen, damit das österreichische Bankensystem nicht instabil wird. Das ist auch für den Wirtschaftsstandort wichtig. Nebenbei sei bemerkt, dass die Staatsgarantie nicht von der Politik, sondern letztendlich von den Österreicherinnen und Österreichern selbst ist und natürlich auch von den Firmen, die aber trotzdem keine Kredite bekommen und weiterhin Arbeitsplätze in Österreich erhalten sollen.
Wie sollten die Bankgarantien gehandhabt werden?
Interessant ist die Frage, warum Banken Staatsgarantien aus Steuergeld erhalten und gleichzeitig Hunderte Beteiligungen halten, die mit dem Bankenwesen so gut wie nichts zu tun haben. Ein Unternehmen, das Liquidität benötigt und Beteiligungen besitzt, wird gezwungen, seine Beteiligungen außerhalb des Kerngeschäfts zu verkaufen. Bei den Banken passiert dies nicht. Es gibt auch keine Forderungen vonseiten der Politik. Steuergelder werden verwendet, noch bevor Banken den Verkauf dieser Beteiligungen heranziehen. Es stellt sich die Frage, ob Banken und Politik einander näher stehen als Banken zu ihren Kunden.
Kommen wir zur Problematik der Kreditklemme. Viele Unternehmen beklagen, dass die Banken trotz Staatsgarantien immer noch kein Geld geben. Die Banken behaupten das Gegenteil. Wer sagt nun die Wahrheit?
Anfangs hat die Politik noch geglaubt, dass mit dem ersten Bankenpaket die erste Kreditklemme im vierten Quartal 2008 gelöst würde – weit gefehlt. Die Kreditklemme ist bis heute nicht gelöst, sie hat sich noch verstärkt.
Aufgrund der Garantien sollte aber das Gegenteil der Fall sein. Also, warum?
Erstens benötigen die Banken die Garantien und die Liquidität selbst. Zweitens hat sich die Krise vom Bankensektor auf viele Wirtschaftssektoren verteilt. Eine Kreditprüfung bei einem durchschnittlichen mittelständischen Unternehmen stellt auf die Höhe des Eigenkapitals und auf die aktuelle und zukünftige Geschäftsentwicklung ab. Bei einer wirtschaftlichen Entwicklung wie in den letzten sechs Monaten ist bei gleichbleibendem Bewertungsmaßstab – zum Beispiel Basel II – automatisch die Konsequenz, dass oft kein Kredit mehr gegeben werden kann. Drittens sind die Risiken von Projektverkäufen gestiegen, weil einfach zu wenig Geld im Markt ist. Viertens ist es für eine österreichische Bank besser, die Moskauer Niederlassung eines österreichischen Unternehmens über ihre russische Banktochter mit 27 Prozent Zinsen zu finanzieren als von Österreich aus mit 8,5 Prozent.
Wie können sich Unternehmen dann helfen?
Wenn Unternehmen mit 30 Prozent Umsatzeinbrüchen kämpfen, ist das Risiko bei der Bewertung so hoch, dass dieses mit dem Eigenkapital des Unternehmens nicht immer abgedeckt werden kann. In der Krise sind Unternehmen zudem Restrukturierungen unter hohem Zeitdruck ausgesetzt, Kapazitäten- und Personalabbau sind Zusatzbelastungen, die neben den teilweise drastisch sinkenden Umsätzen bei sinkenden Margen zu bewältigen sind.
Dann bleibt also nur Konkurs oder die Suche nach privaten Investoren?
Es ist klar, dass nicht jedes Unternehmen diese Bewältigung alleine schaffen wird, die Mitarbeit der Betriebsräte und ein Investor werden dann zum Erhalt des Unternehmens benötigt. Ein Investor hat in Krisenzeiten eine Menge guter Möglichkeiten und kann sich seine Projekte aussuchen. Das Angebot ist sehr hoch, und es gibt nun interessante Unternehmensbeteiligungen zu kaufen, die vorher nie zur Disposition standen.
Übernehmen Investoren somit die Rolle von Banken?
Der Investor wird nur dann investieren, wenn das notwendige Sanierungskonzept und die Redimensionierung machbar sind und die Betriebsräte keine Forderungen stellen, die das Investment infrage stellen. Am Ende ist es doch besser, 70 Prozent des Personals weiterzubeschäftigen, als ein Konkurs des Unternehmens mit Totalverlust der Arbeitsplätze. Solche Investitionen sind deshalb interessant, weil Unternehmen aktuell bis zu 80 Prozent des Vorjahreswertes eingebüßt haben und daher sehr billig sind. Da die Krise nicht ewig dauern wird, ist im Weg aus der Krise eine hohe Unternehmenswertsteigerung mit der damit verbundenen Rendite zu erreichen.
Wie lange dauert die Krise noch?
Ich glaube, dass die Talsohle noch nicht erreicht ist. Die Bilanzen 2008 sind ja nur mit dem letzten Krisenquartal belastet, das 1. Halbjahr 2009 wird hier mehr und genauere Aussage bringen, und genau diese Information warten Investoren ab. Urlaubsgeld und Sommerloch werden ab August noch höheren Druck auf die Unternehmen bringen, sodass ab September 2009 mit einer Konkurs- und Übernahmewelle zu rechnen ist. Hier wird aus meiner Sicht auch der Tiefpunkt der Krise sein.
Kommen wir zurück zu den Banken: Sollte es im Gegenzug zu den Staatshaftungen stärkere Auflagen seitens der Politik geben?
Banken sollten nicht gezwungen werden, Projekte zu finanzieren, die mäßige Erfolgsaussichten zeigen. Es gibt eben in einer Krise in der Anzahl weniger gute Projekte. Es ist aber umso wichtiger, dass Projekte mit hoher Erfolgsaussicht finanziert werden müssen, denn diese Projekte dienen der Stützung der österreichischen Wirtschaft und der Arbeitsplatzsicherung.
Dann passt also doch alles?
Nein. Allen Beteuerungen zum Trotz ist Geld für Unternehmen immer schwieriger zu bekommen. Wenn es gelingt, die Bank zu überzeugen, müssen für Kredite immer höhere Zinsen bezahlt werden. Das geht wiederum auf das Unternehmensergebnis. Die Unternehmen müssen durchwegs mit stark gestiegenen Kreditmargen bei sämtlichen Finanzierungen, mit höheren Erfordernissen für Sicherheiten und mit Druck in Richtung kürzere Laufzeiten kämpfen. Die Konsequenzen sind teils dramatisch: Projekte sind nur bedingt und, wenn überhaupt, mit geringerem Gewinn möglich, geplante Investitionen müssen aufgeschoben werden. Manche Unternehmen haben Aufschläge auf den Marktleitzins Euribor von bis zu fünf Prozentpunkten. Mangels fehlender Alternativen werden dann oft härtere Konditionen akzeptiert, um Projekte überhaupt durchführen zu können.
Wie sollten Staatsgarantien Ihrer Meinung nach gehandhabt werden?
Weitere Garantiepakete des Staates sind unter besonderer Behutsamkeit zu managen. Die Garantien dürfen nicht versickern und zum Löcherstopfen verwendet werden, sondern vorwiegend denen zugutekommen, die Ideen gegen die Krise liefern und umsetzen. Es wäre besser, das 100 Mrd.-Euro-Bankenpaket und das darin enthaltene Zehn-Mrd.-Euro-Industriepaket in eine Staatsholding einfließen und durch unabhängige Prüfer verwalten zu lassen, nicht von derselben Institution, die auch die Banken prüft. Dies würde dem Garantiepaket höhere Symmetrie zwischen Industrie und Banken bringen und für einen effizienten Weg aus der Krise führen. Man soll sich halt neben dem Gedanken der Bankenrettung auch mit dem Gedanken tragen, wer Beschäftigung bringt und die vielen Arbeitslosen wiederbeschäftigen wird oder die, die jetzt noch einen Job haben, weiterbeschäftigt.
Nicht kreditwürdig
Aus Gesprächen mit Unternehmen, mit deren Steuerberatern, mit Bankmitarbeitern und mit der Grünen Wirtschaft sind die folgenden Beispiele ausgewählt. Die angeführten Fälle spiegeln ausnahmslos die in allen Gesprächen geschilderte Situation wider. economy hat bewusst Unternehmen ausgewählt, die nicht aus den Risikobranchen (laut Banken Autoindustrie, Zulieferindustrie und Baubranche) kommen. Jeder Fall betrifft eine inländische Bank, welche die Staatsgarantien in Anspruch genommen hat. Um die Situation für die betroffenen Unternehmen nicht zu verschärfen, führen wir keine Namen an.
• Anna B., freiberufliche Grafikerin
Die Kleinstunternehmerin ist seit 21 Jahren Kundin bei ihrer Bank und seit vier Jahren erfolgreich selbstständig. „Als ich fix angestellt war, hatte ich einen Finanzierungsrahmen von 6000 Euro. Obwohl ich als Unternehmerin von Anfang an deutlich mehr verdient habe und das kontinuierlich steigern konnte, wurde mir der Rahmen nun auf 1500 gekürzt. Begründung sind die schwankenden Eingänge und die Wirtschaftskrise. Manche Kunden zahlen nach zwei Wochen, manche aber erst nach zwei Monaten. Wie ich neue Arbeitsgeräte anschaffen soll oder Vorauszahlungen an Sozialversicherungsanstalt und Finanzamt leisten soll, weiß ich nicht. Mein Bankbetreuer meint, ich sei derzeit nicht kreditwürdig.“
• Modegeschäft mit zwei Mitarbeitern
Der Kleinbetrieb in Salzburg hat einen Jahresumsatz von 250.000 Euro. Zweimal pro Jahr erfolgt der Wareneinkauf, wofür das Unternehmen jeweils rund 40.000 Euro benötigt. Um die Waren fristgerecht bezahlen zu können, wurde von der Hausbank bis dato immer ein Kontokorrentkredit gewährt. Nun wurde der Kreditrahmen um zwei Drittel gekürzt. Die Bank ist der Meinung, dass die Eigenkapitaldecke zu gering ist. Eine unbelastete Eigentumswohnung spielt keine Rolle. Ergebnis: große Probleme bei der Zwischenfinanzierung der Wareneinkäufe.
• Tischlerei mit acht Mitarbeitern
Der Familienbetrieb in zweiter Generation lebt von vielen kleineren Aufträgen und macht seit Jahren Gewinne. Vor drei Jahren wurde modernisiert und neue Maschinen angeschafft. Seitdem läuft ein großer Investitionskredit neben einem Kontokorrentkredit und zwischendurch nötigen Bankgarantien für Lieferanten. Nun wurde das Unternehmen aufgefordert, „das Risiko zu reduzieren“ und sich „zu entscheiden, was am wichtigsten ist.“ Man „könne ja Geld auch bei Verwandten leihen oder diese ersuchen, bei der raschen Rückzahlung des Kredites zu helfen.“ Auch die Kreditversicherung der Tischlerei hat unlängst mitgeteilt, dass das Volumen für die Versicherung größerer Aufträge im Vergleich zum Vorjahr reduziert werden muss.
• Dachspenglerei mit 60 Mitarbeitern
Das mittelständische Unternehmen ist ein Familienbetrieb in zweiter Generation in Wien mit einem Jahresumsatz von 4,5 Mio. Euro und seit 30 Jahren Kunde bei ein und derselben Bank. Auftraggeber sind unter anderem große Gemeinden und Kommunen. Aufgrund sehr langer Zahlungsfristen im öffentlichen Bereich benötigt das Unternehmen regelmäßige Zwischenfinanzierungen. Trotz vorliegender Auftragsbestätigungen wurden nun keine neuen Kreditrahmen gewährt. Die Begründung der Bank: zu geringe Eigenkapitalausstattung, auch öffentliche Auftraggeber können von der Krise betroffen sein, und interne Vorgaben bezüglich Rating und Bewertung im Zusammenhang mit Basel II.
• Franchisebetrieb mit 80 Mitarbeitern
Das mittelständische Unternehmen im Weinviertel ist seit sechs Jahren erfolgreich als Franchisenehmer im Gastronomie- und Restaurantbereich mit einem Jahresumsatz von 4,1 Mio. Euro tätig. Für Umbau und Ausweitung eines bereits eingeführten Standortes wurde von der langjährigen Hausbank nun kein Kredit gewährt, obwohl vom Franchisegeber eine (zeitlich befristete) Förderung für die anteilige Übernahme der Kreditzinsen vorliegt. Begründung: mangelnde Besicherung und Vorgaben der Kreditabteilung.
Banken
In dieser Geschichte war selbstverständlich auch Platz für Reaktionen und Sichtweisen der Banken vorgesehen. Nach Anfragen bei den Pressestellen von Bawag, Bank Austria, Erste, Raiffeisen und Volksbank zeigt sich aber die platzsparende, weil einstimmige Antwort: „Es gibt keine restriktive Kreditvergabe und schon gar keine Kreditklemme.“
Economy Ausgabe 72-04-2009, 24.04.2009