Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

25. Juli 2024

Search form

Search form

Neue Wege für Universitäten

Neue Wege für Universitäten Photos.com

Österreichs Hochschulen sind gefordert, an ihrem Forschungsprofil zu feilen und das auch zu kommunizeren.

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was Universitäten des 21. Jahrhunderts zu leisten hätten: Forschung, Lehre, Bildung, Ausbildung sind in diesem Zusammenhang oft gebrauchte Wörter – so auch anlässlich der Konferenz „Hochschulforschung in Österreich“.

Themen erarbeiten
„Der aktuelle Diskussionsprozess läuft zwischen einem einheitlichen, geschlossenen Bild, das eine Universität bilden soll, und der Vielfalt, die nach wie vor gewürdigt werden muss. Die Universität der Zukunft sollte daher schon selbstständig ihre Themen für die nächsten Jahre auf ihrer Homepage festhalten und könnte damit ein Profil und Image entwickeln, das viele Studentinnen und Studenten anzieht, die an diesen Themen interessiert sind“, erläutert Günter Burkert-Dottolo, Leiter der erst im Vorjahr neu geschaffenen Abteilung für forschungspolitisches Hochschulwesen im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, eine von vielen möglichen Strategien.
Ein wichtiger Aspekt dabei wäre, dass sich Forschung hierzulande verstärkt in den Dienst einer orientierten Grundlagenforschung für gesellschaftlich vorrangige Themen wie etwa Aging, Gesundheit, Migration, Rohstoffe und Ressourcen, Klimawandel oder Finanzkrise stellen sollte. Burkert-Dottolo betont: „Ziel der Forschungspolitik muss es sein, die Profile der einzelnen Universitäten zu schärfen. Nicht jede Universität wird alles haben, können und schon gar nicht müssen. Weiters sollten Überschneidungen bei künftigen Forschungsschwerpunkten vermieden werden, und schlussendlich geht es um eine Sicherung der Bandbreite der Wissenschaften.“ Eine klare Absage erteilte Burkert-Dottolo dem mittlerweile allgegenwärtigen Bedürfnis, Qualität in Forschung und Lehre via Rankings dingfest machen zu können. „Rankings widersprechen dem Aufbau einer nationalen Forschungspolitik, so wie wir diese verstanden haben wollen“, erklärt Burkert-Dottolo.

Stärken sichtbar machen
Grundsätzlich ginge es bei all diesen Fragen vor allem darum, die „Stärke der Universität“ sichtbar zu machen, sprich: die Fächervielfalt, die konsequente Vernetzung der Disziplinen, eine an der Forschung orientierte Lehre und eine die Lehre im Blick behaltende Forschung zu forcieren sowie den Studierenden eine umfassende Bildung zuteilwerden zu lassen, die über die bloße Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte und Methoden hinausgeht.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Austro-Forscher bei EU-Forschung top

Austro-Forscher bei EU-Forschung topESA

Das 7. EU-Rahmenprogramm ist für Österreich ein Gewinn. Der Anteil bewillig­ter EU-Forschungsprojekte mit österreichischer Beteiligung steigt. 98 Projekte laufen im Moment unter österreichischer Führung.

Das 7. Rahmenprogramm (RP7) der EU, das seit rund zwei Jahren läuft (2007 bis 2013) und ein Gesamtbudget von 54 Mrd. Euro umfasst (plus 60 Prozent im Vergleich zum RP6), verläuft bisher aus Sicht der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mehr als zufriedenstellend.
„Wir haben laut Stand vom November 2008 eine Rückflussquote von 232 Millionen Euro. Im ganzen RP6 waren es nur 425 Millionen Euro“, betont Sabine Herlitschka, Bereichsleiterin für europäische und internationale Programme bei der FFG, die das RP7 für Österreich betreut und koordiniert. Prozentuell bedeutet das allerdings aufgrund des gestiegenen Gesamtbudgets einen derzeit genau gleichen Wert von 2,5 Prozent für den Rückflussindikator wie beim RP6.
Ein deutliches Plus zeichnet sich dafür bei den EU-Projekten ab, die unter österreichischer Koordination laufen. Das sind zurzeit genau 98. Damit liegt der Anteil an österreichischen Koordinatoren derzeit bei 3,8 Prozent (RP6: 3,3 Prozent). Insgesamt laufen derzeit 529 Projekte mit österreichischer Beteiligung, 758 Austro-Forschungsteams sind beteiligt. Damit wäre beim RP7 eine Steigerung erstmals in Sichtweite, denn seit dem RP4 (1444 Projekte) ist die Zahl der Projekte mit beteiligtem Austro-Forschungsknow-how von 1384 (RP5) auf 1314 (RP6) gesunken. „Dabei ist die große Ausschreibung für Informations- und Kommunikationstechnologie noch gar nicht eingerechnet. Der Call endet erst Ende April“, so Herlitschka, die 2009 noch mit Zuwachs rechnet. „Österreich profitiert stark vom Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. 50 Prozent der Gesamtrückflüsse kommen aus diesem Bereich.“
Beim EU-Projekt Flexware (Flexible Wireless Automation in Real-Time-Environments) etwa geht es darum, digitale Funktechnologien, insbesondere das WLAN, für die industrielle Produktion einsatzfähig zu machen. Visionäres Ziel ist die Steuerung und Kontrolle von ganzen Fabriken über drahtlose Netzwerke. Koordinator ist Georg Gaderer von der Forschungsstelle für integrierte Sensorsysteme (FISS) der Akademie der Wissenschaften.

IKT treibt Forschung

Ein Beispiel, wo Weltraumforschung mit Know-how hinsichtlich IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) verknüpft wird, ist das EU-Projekt Pro Vis G, das unter Koordination des Instituts für Digitale Bildverarbeitung der Grazer Joanneum Research läuft. Bei Pro Vis G geht es um die Verbesserung des Bildmaterials, das bei unbemannten Missionen im Weltraum gewonnen wird. Projektkoordinator Gerhard Paar ist international anerkannter Experte im Bereich Bildverarbeitung und digitale Fotogrammetrie (Auswerteverfahren zur Fernerkundung von Objekten) und war bereits in den 1990er Jahren für ein Forschungsprojekt für die Europäische Raumfahrtbehörde ESA im Einsatz, bei der die Steuerung des Landeanfluges unbemannter Raumsonden mittels Bildverarbeitung demonstriert wurde.
Ebenfalls unter heimischer Leitung läuft das im September 2008 gestartete EU-Projekt Memfis. Projektkoordinator ist Klaus-Michael Koch vom Kärnt­ner Technikon. Ziel ist die Entwicklung neuer Standards in der Infrarot-Spektroskopie. Ein neues, handliches, robustes und gleichzeitig erschwingliches Messgerät soll künftig erstens die Mobilität erleichtern und zweitens auch schnell und einfach von Laien bedient werden können. Der Einsatzbereich für das neue Mini-Infrarot-Spektrometer ist breit und reicht von der medizinischen Diagnose über die Umweltanalytik bis hin zur Qualitätskontrolle von Lebensmitteln.


27 Forschungschampions

Aber auch im Gesundheits- und Sozialbereich sind österreichische Forscher mit Leitungsaufgaben betraut. So läuft etwa seit vergangenen November das EU-Projekt Interlinks zur Entwicklung von Strategien für leistbare, aber hochqualitative Pflegesysteme von älteren Menschen in ganz Europa. Koordiniert wird Interlinks von Kai Leichsenring vom Europäischen Zentrum für Soziale Wohlfahrtspolitik und Forschung mit Sitz in Wien.
Vergangenen Dezember wurden die Austro-Koordinatoren von 27 europäischen Forschungsprojekten als „Austrian Champions in European Research“ geehrt, sechs davon sind übrigens Frauen. Jüngste Entwicklung in der EU-Forschung ist die Einrichtung des EIT (European Institute of Technology) mit Sitz in Budapest. Ziel ist es, Europas Innovationskraft in den dafür wichtigen Themengebieten zu stärken. Beim EIT geht es um die Bildung von interdisziplinären Teams aus Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen.
Bei der EIT-Konferenz Mitte Februar in Wien standen das Thema nachhaltige Energien sowie die Ausrichtung der künftig geplanten Knowledge and Innovations Communities (KIC) auf dem Programm. Die KIC werden die künftigen operativen Einheiten des EIT darstellen. Der Auswahlprozess wird Anfang April beginnen, die Evaluierung soll dann bis Jänner 2010 abgeschlossen sein.

Programm für KMU
Neu ist auch das Programm Eurostars, das zur Forschungsförderung für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) 2008 eingerichtet wurde. Bei der ersten Ausschreibung wurden 133 Projekte, davon neun aus Österreich, bewilligt. Beim zweiten Call Ende November 2008 gab es 236 gültige Projekteinreichungen, davon 25 mit österreichischer Beteiligung. Die nächste Einreichfrist endet am 24. September 2009. Empfohlen wird, das österreichische Eureka-Büro schon im Vorfeld der Antragstellung zu kontaktieren, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Innerhalb der EU wird bereits über die Zukunft diskutiert. „Das Claim-Abstecken in Richtung RP8 findet jetzt statt, weil die EU-Kommission ja wechseln wird“, erklärt Herlitschka als Fazit einer Expertenrunde Mitte März in Straßburg.

Links

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Ohne Netze gibt es keine Telemedizin

Ohne Netze gibt es keine TelemedizinBMWF

Johannes Hahn: „Die Digitalisierung von Patientendaten ermöglicht einen immer breiteren Einsatz der Telemedizin. Für den Patienten gibt es zwei wesentliche Anwendungsgebiete: die Akut- und Notfallmedizin sowie die Betreuung chronisch Kranker.“ Der Wissenschaftsminister ist vom weitreichenden Nutzen der Telemedizin überzeugt.


Worin liegen Chancen und Risiken der Telemedizin?

Die größte Chance sehe ich in einer besseren Betreuung der Patienten und in der Chancengleichheit. Auf den Punkt gebracht: Telemedizin bringt Spitzenmedizin überall und jederzeit. Durch den Einsatz von Telemedizin kann die Behandlung von Akut- und Notfall­erkrankungen deutlich verbessert werden. Telemedizin kommt weiters bei der Wissensvermittlung für Studierende und/oder Ärzte zum Einsatz. Ein Risiko kann mitunter die komplexere Behandlungslogistik darstellen.

Welchen Stellenwert hat Telemedizin in Österreich, und gibt es eine Alternative dazu?

Telemedizin wird in Österreich mittlerweile routinemäßig genutzt und weiter ausgebaut. Die Synergien und die Möglichkeit zur Einholung einer „Second Opinion“ machen sie gerade für Standorte mit geringeren Personalressourcen interessant, um auf diesem Weg medizinisches Wissen auszutauschen. Alternativen sind in manchen Bereichen denkbar, aber in der Regel mit einem erhöhten Personal- und Budgeteinsatz verbunden.

Können Sie ein praktisches Beispiel für Telemedizin in der Anwendung und Umsetzung nennen?
Als Beispiel fällt mir die Teleradiologie ein: In einigen Krankenhausverbünden ermöglicht sie eine radiologische Versorgung auch an Wochenenden und Nachtzeiten, welche ohne Telemedizin nicht gegeben war beziehungsweise zu aufwendigen Patiententransporten in ein Zentralkrankenhaus geführt haben.

Seit wann widmen sich die Mediziner diesem Thema – und mit welchem Erfolg?
Seit etwa zehn bis 15 Jahren. In manchen Bereichen ist die Telemedizin nicht mehr wegzudenken, da sie eine wesentliche Unterstützung in der Patientenbetreuung bedeutet.

Wie ist Österreich im internationalen Vergleich in puncto „Telemedizin“ positioniert?

Innerhalb Europas haben wir uns sehr gut positioniert. International sind manche Länder wie beispielsweise Australien aufgrund der geringeren Siedlungsdichte und der größeren geografischen Entfernungen noch etwas weiter.

Welche Funktion nimmt das Wissenschaftsministerium bei der Einführung und Forcierung der Telemedizin ein?
Das Wissenschaftsministerium fördert bereits seit Längerem die Forschung im Bereich Telemedizin an den Medizinischen Universitäten. Dort wurden dafür auch eigene Professuren geschaffen, zum Beispiel Neue Medien in der medizinischen Wissensvermittlung und -verarbeitung. Die Medizinischen Universitäten sind eindeutig die innovative Kraft im Bereich der österreichischen Telemedizin. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium haben wir unter Einbeziehung nationaler Experten die Koordinationsplattform für Telemedizin im österreichischen Gesundheitswesen gegründet. Sie berät unter anderem die Bundesregierung und kooperiert mit den entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften.

Wie werden die notwendigen Investitionen in desem Bereich finanziert?
Die Investitionen übernehmen die jeweiligen Krankenanstaltenträger. Im Bereich der Medizinischen Universitäten erfolgt die Finanzierung durch das Globalbudget im Rahmen der Leistungsvereinbarungen.

Was verbessert sich für den Patienten, was für den Arzt, die Spitäler?

Für die Patienten fallen unnötige Transporte weg, was eine Erleichterung bedeutet. Die Ärzte haben durch die Telemedizin besseren Zugang zu Wissen. Und für die Spitäler bringt Telemedizin eine Effizienzsteigerung.

Welche Vor- und Nachteile erwarten die Ärzte durch die Einführung der integrierten Versorgung?

Sie bringt jedenfalls eine bessere Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, die Chance auf bessere Informationen über Vorbefunde und damit auch eine bessere Qualität der Behandlung.

Seit wann gibt es die drei österreichischen telemedizinischen Zentren in Wien, Graz und Innsbruck, und was ist deren Funktion?

Aufgrund der Anschubfinanzierung des BMWF wurden ab 2004 die Telemedizinischen Zentren an den Medizinischen Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck gegründet. Diese sollen als interdisziplinäres Forschungsnetzwerk die beteiligten Kliniken und Institute in Lehre, Forschung und Patientenbetreuung verbinden. Außerdem sollen sie den Grundstein für nationale und vor allem internationale telematische Kommunikation bilden und nationaler Integrationskern für Telemedizin-Forschung auf höchstem internationalem Niveau sein.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

„Im Management braucht man Zeit“

„Im Management braucht man Zeit“Microsoft

Microsoft Österreich steht im Konzern gut da und hat seine Ziele im laufenden Geschäftsjahr übererfüllt. Darauf will die neue Geschäftsführerin aufbauen. Vor allem soll die für das Unternehmen wichtige Partnerlandschaft noch mehr Unterstützung bekommen. Und wieder einmal sind KMU als Wachstumsmarkt identifiziert worden.

Die österreichische IT-Branche kann sich über weiblichen Zuwachs im Top-Management freuen: Mit Februar dieses Jahres hat Petra Jenner (44) die Geschäftsführung der heimischen Microsoft-Niederlassung übernommen. Zuvor war die gebürtige Deutsche bei Check Point in München für den deutschsprachigen Raum verantwortlich. Jenner löste bei Microsoft den Schweizer Peter Waser ab, der die Geschäfte kommissarisch leitete. Bis Jänner 2008 hatte Herbert Schweiger die Leitung von Microsoft Österreich inne. Die neue Microsoft-Österreich-Chefin führt seit Februar 340 Mitarbeiter und ist für das öster­reichische Partner-Wirtschaftssystem verantwortlich, das Angaben zufolge über 5000 Unternehmen und rund zwei Mrd. Euro Wertschöpfung umfasst.

economy: Für die Nachbesetzung des Geschäftsführerpostens für Österreich hat sich Microsoft fast ein Jahr Zeit gelassen. Lag es daran, dass unbedingt eine Frau den Posten besetzen sollte?

Petra Jenner: Bei Microsoft Österreich ist jeder dritte neue Mitarbeiter eine Frau. Die Präferenz war wohl da. Meine stärksten Mitbewerber waren bis auf eine Ausnahme aber allesamt Männer.

Fühlen Sie sich bis jetzt wohl in Ihrer neuen Position?
Es ist besser, als ich erwartet habe. Am Anfang ist es natürlich immer viel. Wer auch immer so eine Position bekleidet, wird merken, dass die ersten Monate nur dem Job gelten. Speziell Microsoft ist zu Beginn schwer zu durchschauen, da wir in fast allen IT-Themenbereichen zu Hause sind.

Konnten Sie bereits die Stärken und auch Schwächen von Microsoft in Österreich orten?

Erst mal muss ich sagen, dass Microsoft in Österreich bei Großkunden sehr gut aufgestellt ist. Hier konnten wir eine recht gute Bindung erreichen. Ähnlich sieht es beim gehobenen Mittelstand aus. Im Behördenbereich und überhaupt im öffentlichen Umfeld können wir noch mehr machen. Hier hat es in der Vergangenheit auch zu oft personelle Veränderungen gegeben. Das sollte nicht passieren. Aber wir sind mit einigen Lösungsanbietern, auch aus Österreich, sehr gut aufgestellt.

Wie sehen Sie die Situation im Partner-Bereich, der für Microsoft immer sehr wichtig war und ist?

Mit der Partner-Landschaft insgesamt bin ich sehr zufrieden. Im Sinne von regionalen Besonderheiten und Lösungs­angeboten müssen wir auf jeden Fall noch etwas tun. Der gesamte Fokus Richtung KMU (kleine und mittlere Unternehmen, Anm. d. Red.) wurde schon gelebt, aber aus meiner Sicht hätte er optimiert werden können. Klar kann man nicht überall gleichzeitig anfangen – das muss man fairerweise sagen. So etwas will gut vorbereitet sein.

Wie sehen Sie das Potenzial bei den österreichischen KMU?
Wir sehen ein riesiges Potenzial. Obwohl Microsoft oft sehr dominant erscheint, haben wir hier noch einen riesigen Markt. Produkttechnisch können wir sicher im CRM-Umfeld (Customer Relationship Management, Kundenbeziehungsmanagement, Anm. d. Red.), auch im ERP-Bereich (Enterprise Resource Planning, Geschäftssoftware, Anm. d. Red.) punkten. Aber auch im Bereich Unified Communication, Collaboration, zum Beispiel Videokonferenzen, sehe ich noch ein weites Feld.

Wenn wir schon bei den Produkten sind: Microsoft versucht, im Bereich Software als Service Fuß zu fassen. Geht das Thema Ihrer Meinung nach nun endlich auf?

Ich denke, wie immer am Anfang bei neuen Dingen wird der Markt eher verhalten reagieren. Aber wenn Sie als kleines Unternehmen mit „keiner“ IT in den Genuss von Software-Lösungen kommen wollen, brauchen Sie einen Weg, mit geringstem Aufwand solche in Anspruch nehmen zu können.

Sehen Sie einen Paradigmenwechsel in der Art, Software zu konsumieren, obwohl das Thema vor Jahren unter dem Begriff Application Service Providing kläglich gescheitert ist?

Richtung Jahresende und vor allem kommendes Jahr sehen wir deutlich eine Verschiebung in diese Richtung, ja. Vor acht Jahren hat es das Thema schon gegeben. Aber da war das Internet noch nicht so weit. Bandbreite und Verfügbarkeit ist heute selbstverständlich.

Wollen Sie das wiederum mit Partnern machen, oder will sich Microsoft als Dienstleister im Outsourcing-Bereich eta­blieren?
Es gibt heute schon Hosting bei Partnern, wie zum Beispiel mit dem E-Mail-Server Exchange. Das ist nichts Neues. Neue Dienste werden wir selbst betreiben, aber unter Berücksichtigung des Partners. Wir werden hier keine Direktgeschäfte machen. Das ist nicht unsere Strategie. Wir halten am Partnermodell fest. Sicher ist, dass wir Rechenzentren, auch in Europa, aufbauen.

Wie sieht es in Österreich derzeit mit der Zielerreichung aus? Zu Zahlen werden Sie ja als US-börsennotiertes Unternehmen keine Stellung nehmen.
Ich kann so viel sagen, dass derzeit Österreich und Portugal die einzigen Länder in Europa sind, die auf Grün zeigen. Das heißt, dass Österreich im laufenden Geschäftsjahr, das mit April endet, derzeit über Budget ist. Das kann sich natürlich in Zeiten wie diesen, wo Prognosen schier unmöglich sind, schnell ändern.

Weg von Geschäft, Produkten und Strategie. Wie würden Sie Ihren Management-Stil beschreiben?
Das ist immer schwierig. „Behandle andere Menschen, wie du selbst behandelt werden willst“, mag ich schon gar nicht mehr sagen, aber es stimmt einfach. Das ist für mich ein Motto, wie ich lebe, aber auch führe. Ich lege großen Wert auf Menschen – egal welchen Ranges. Es ist eine Frage von Respekt im Umgang miteinander. Was nicht heißt, dass es immer gelingt. Ich bin auch nur ein Mensch und fehlbar. Ich weiß aber, dass es so ist, und versuche jeden Tag zu hinterfragen, was ich hätte anders machen können. Ich reflektiere mein Verhalten recht stark. Ich habe auch lernen müssen, mir Freiräume einzuräumen. Wochenenden sind mir zum Beispiel sehr wichtig.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Der Euro beweist Steherqualitäten

Der Euro beweist SteherqualitätenBilderbox.com

Ohne gemeinsame Währung würde die Eurozone durch die harten Attacken der globalen Finanzkrise schwer lädiert in den Seilen hängen. Der Euro vermochte bis jetzt aber Schlimmeres zu verhindern.

Ein Bollwerk gegen die Krise ist er zwar nicht, aber der Euro schlägt sich im Zuge der Finanzkrise im Vergleich zu vielen Einzelwährungen weltweit bisher den Umständen entsprechend gut. Für die gemeinsame europäische Kunstwährung ist die Finanzkrise die bisher größte Bewährungsprobe überhaupt, und sie hat bis zuletzt jedenfalls Schlimmeres verhindert.
Angesichts der Ereignisse auf dem weltweiten Finanzmarkt kann man als Mitglied der Währungsunion zumindest froh sein, dass sie den Einzelstaaten ein Schicksal wie jenes der isländischen Krone, des britischen Pfunds oder des japanischen Yens erspart, lauter Währungen, die vor der Finanzkrise zuletzt in die Knie gingen.

Ungeheure Zerrkräfte
Der Euro, gerade erst zehn Jahre alt geworden, muss allerdings erhebliche Kräfte aufwenden, um seine viel gepriesene Stabilität aufrechtzuerhalten. Die Idee der gemeinsamen Währung ist ja, anders etwa als beim US-Dollar, dass die Staaten sich in Krisenzeiten gegenseitig beistehen. Und hier sind im Moment ungeheure Zerrkräfte am Werk: Nachdem Großbritannien nicht Mitglied im Währungsverbund ist, liegt die Last der Euro-Stabilität derzeit überwiegend auf den beiden größten Volkswirtschaften Europas: Deutschlands und Frankreichs.
Diese tun derzeit ihr Möglichstes, um die Krise in den Griff zu bekommen, und können dabei auf die bisher erstaunliche Binnen- und Außenstabilität des Euros zählen – die sogar weiterbesteht, nachdem der Stabilitätspakt durch fiskalische Undiszipliniertheit einzelner Mitgliedstaaten und die individuellen Auswirkungen der Finanzkrise auf einzelne Länder bereits sprichwörtlich auf tönernen Füßen steht. Doch die Eurozone sieht sich dafür stark genug. Der Euro hat laut den Worten von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquín Almunia die Möglichkeit, Mitgliedern im Fall einer ernsten Krise unter die Arme zu greifen. Es gebe Lösungen, bevor sich ein Land als letztem Ausweg dem Internationalen Währungsfonds zuwenden müsse, sagte Almunia. „Wir sind politisch und wirtschaftlich darauf eingerichtet, uns diesem Krisenszenario zu stellen.“
Almunia spielt dabei vor allem auf die „Sorgenkinder“ in der Währungsunion an, die Länder Irland, Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Diese Länder hat die Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen, und die Stabilitätskriterien können mehrheitlich nicht mehr eingehalten werden. Das Beruhigende an der Eurozone sei, dass kein Land mehr auf seinen Schulden sitzen bleibe, sondern die gesamte Gemeinschaft einspringe, meint Almunia. Die Kosten, die liquiden Ländern beziehungsweise deren Steuerzahlern dabei entstehen, sind zwar kurzfristig spürbar, längerfristig aber argumentierbar, wenn man damit verhindert, dass die Eurozone auseinanderfällt und damit jedes einzelne Mitgliedsland unweigerlich in den Abgrund reißt.
Aus diesem Grund wird es auch keinen Staatsbankrott von Irland oder Griechenland geben, sofern sich diese Länder nicht von selbst dazu entschließen, aus dem Euro auszutreten. Die Folge wäre ein massiver Verfall der wieder eingeführten Eigenwährung, was zwar kurzfristig die Exporte beleben, längerfristig aber massiven volkswirtschaftlichen Schaden anrichten würde. Denn die Abwertung der eigenen Währung ist dabei gleichzeitig das größte Risiko, da die meisten Staatsschulden in Euro aufgenommen worden sind und folglich auch in dieser Hartwährung zurückgezahlt werden müssten; eine verheerende Spirale würde ihren Verlauf nehmen.

Euro-Muffel unter Druck

So gesehen ist also die Euro-Mitgliedschaft für alle Beteiligten ein Segen, und die bisherigen Euro-Muffel Großbritannien, Schweiz, Schweden und sogar Norwegen (Dänemark und das Baltikum haben sich für den fixen Wechselkurs nach dem Wechselkursmechanismus-Abkommen entschieden) überlegen lautstark einen Beitritt.
Doch die rasante Erweiterung der Europäischen Union in den letzten Jahren zeigt der Gemeinschaftswährung auch ihre Grenzen auf. Jene ost­europäischen Mitgliedsstaaten, die noch nicht der Eurozone angehören, haben in der jetzigen Phase massive Probleme mit ihren Staatsfinanzen, allen voran Ungarn.
Und das strahlt massiv auf Länder wie Österreich aus, das sich in dieser Region stark engagiert. Schon hat sich die heimische Regierung an die EU um Finanzspritzen für den Osten gewandt, ohne viel Erfolg allerdings. Man wolle keine Hilfspakete schnüren, hieß es aus Brüssel, sondern die Euro-Länder sollen den Oststaaten mit „schon verfügbaren Instrumenten“ beistehen. Diese bestehen vor allem in der Nutzung der diversen Strukturfonds sowie der Mittel der Europäischen Investitionsbank und der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Die einzige finanzielle Hilfsmaßnahme bisher war eine Beteiligung der EU an IWF-Hilfspaketen für Ungarn und Lettland im Ausmaß von 9,6 Mrd. Euro, weitere 15 Mrd. könnten an Tschechien und die Ukraine fließen. Für Österreichs Geschmack viel zu wenig, schließlich steht für heimische Unternehmen, allen voran die Banken, viel auf dem Spiel. Allerdings war auch das Risiko recht hoch, sich seinerzeit derart massiv im Osten zu engagieren.
„Die Euro-Gruppe ist handlungsfähig, falls es nötig ist“, erklärte kürzlich der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück auf die Frage, ob es Rettungsmaßnahmen für einzelne Mitgliedsländer geben werde. Es gehe vor allem darum, die Finanzmärkte zu beruhigen. Gemeinsame Milliardenanleihen zahlungskräftiger Länder zugunsten solcher mit Zahlungsproblemen schloss er aber aus.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Bald gibt Nabucco Vollgas

Bald gibt Nabucco VollgasPhotos.com

Alle Jahre wieder dreht Russland den Gashahn zu. Europa reicht’s. Noch vor dem Sommer soll der politische Startschuss für die Nabucco-Pipeline – vorbei an Russland – fallen. Doch aus Moskau und sogar Berlin kommen Störfeuer, und die Krise bringt die Finanzierung des Milliardenprojekts vorzeitig ins Wanken.

Russland hat in diesem Winter wohl einmal zu oft am Gashahn gedreht: Noch diesen Frühling könnten die Transitländer den politischen Startschuss für die Nabucco-Gaspipeline geben, meint Nabucco-Geschäftsführer Reinhard Mitschek. Die über 3000 Kilometer lange Pipeline soll ab 2013 Gas vom Schwarzen Meer über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich und ganz Europa liefern. Die österreichische OMV ist als Konsortialführer Hauptdarsteller Nabuccos.
Warum eine Gaspipeline den Namen einer Verdi-Oper trägt, ist schnell erklärt: Türkische und österreichische Spitzenmanager hatten 2002 kurz vor
ihrem Besuch der Wiener Oper über das Pipeline-Projekt sinniert und tauften ihre Vision kurzerhand nach ihrem Abendprogramm. Nicht unpassend, geht es auch bei „Nabucco“ um einen Freiheitskampf (jenem des jüdischen Volks gegen die babylonischen Unterdrücker).
Ein wichtiger Akt war die Konferenz in Budapest Ende Jänner, bei der die Europäische Investmentbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD ihre Finanzierung zusagten. Eine noch konkrete Zusage kam von der EU, die 200 Mio. Euro zum insgesamt sieben Mrd. Euro schweren Projekt zuschießen will.

Viele Knoten in der Pipeline

Bei aller Dynamik durch Gaskrise und Budapest-Konferenz: Bis zur Verlegung der ersten Rohre ist es noch ein weiter Weg. Mit der Finanzkrise stellt sich die Frage, wie viel finanzielle Versprechen wert sind, wenn EIB, EBRD und EU in Osteuropa ganze Länder vor dem Kollaps retten müssen. Nächster Unsicherheitsfaktor ist die Türkei. Nabucco ist das ideale Druckmittel bei den stockenden Verhandlungen über den Beitritt des Landes zur EU. Zwar hat der türkische Premierminister Erdogan jegliches Junktim bestritten. Doch die Versuchung am Bosporus, Nabucco als Trumpf einzusetzen, bleibt groß.
Nächster Stolperstein: Der Kreml duldet keine Pipelines außerhalb seiner Einflusssphäre und tut alles, um die künftigen Lieferländer für Nabucco, Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan, durch Exklusivverträge auf seine Seite zu ziehen. Und sogar Berlin macht einen Knoten in die Pipeline: Auf Drängen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde Nabucco im Energiestrategie-Papier der EU nicht explizit genannt, nur vom „Südkorridor“ ist die Rede. Sie will, dass das Nordsee-Pipeline-Projekt von Ex-Kanzler Schröder Priorität erhält. Russland freut’s – Gazprom ist mit 51 Prozent Mehrheitsaktionär an Nord Stream, die Pipeline wird ab 2011 russisches Gas über die Ostsee nach Deutschland liefern.
Bei all den Stolpersteinen stellen die Betreiber Nabuccos die heikelste Frage hintan: Soll im Vollausbau auch iranisches Gas zum Einsatz kommen? Ener­gieanalysten halten das Projekt ohne diese Option für sinnlos und nicht rentabel, doch für die Vereinigten Staaten wäre der Deal Europas mit ihrem Erzfeind eine diplomatische Kriegserklärung.
Mitschek ist trotz aller Stolpersteine zuversichtlich, dass Nabucco schon ab 2013 nicht-russisches Gas nach Europa liefern wird. Zur wackligen Finanzierung meint er im Gespräch mit economy: „In Zeiten größerer Vorsicht auf dem Finanzsektor haben Projekte wie Nabucco den entscheidenden Vorteil, dass sie durch ihre Rohstoffbasierung attraktiv sind. Aus zahlreichen Vorgesprächen wissen wir, dass Finanzinstitutionen wie EIB und EBRD diese Bereiche bevorzugen, weil Langzeitverträge Sicherheiten bieten und durch die Errichtung auch andere Wirtschaftsbereiche wie Bau- und Stahlindustrie angekurbelt werden.“
In der Türkeifrage vertraut Mitschek auf den Partner, die türkische Botas, die wie alle anderen Partner einen Anteil von 16,67 Prozent am Nabucco-Projekt halte. Die heikle Frage im Hinblick auf iranisches Gas ist für ihn nicht entscheidend: „In Turkmenistan wurde ein einziges Gasfeld, das Yolatan-Feld, von internationalen Experten mit dem Ergebnis untersucht, dass allein damit drei Nabucco-Pipelines zu füllen wären.“ Jetzt schon sehr interessiert, Gas über Nabucco zu liefern, sei der Irak, fügt Mitschek hinzu.

Gefahr durch Abwerbung

Die Gefahr einer Abwerbung der Lieferländer am Schwarzen Meer durch Russland sieht der Nabucco-Geschäftsführer nicht. Sowohl Aserbaidschan als auch Turkmenistan seien daran interessiert, ihr Kundenportfolio zu erweitern und neue Absatzmärkte in Europa zu erschließen. Die Signale aus Kasachstan nähren diesen Optimismus nicht gerade. Sein Land müsse bei der Vergabe seiner Energiereserven auch die Interessen Moskaus beachten, meinte der kasachische Regierungschef Karim Massimow Anfang Februar. Ein Ärgernis für die Europäer.
Bei allen Störfeuern, auch jenen aus Berlin, ist Reinhard Mitschek überzeugt, dass unser Kontinent jegliche neue Erdgasquelle brauchen wird. „In Europa besteht in den nächsten zehn bis 20 Jahren zusätzlicher Importbedarf für 150 Milliarden Kubikmeter Gas. Daher werden mehrere Infrastrukturprojekte nötig sein, um diese Menge an Gas zu transportieren.“ Na­bucco und die parallel dazu geplante South Stream im „Südkorridor“ sollen im Vollausbau je 30 Mrd. Kubikmeter, Nord Stream 55 Mrd. Kubikmeter liefern.
Über Sein oder Nichtsein von Nabucco entscheidet nicht zuletzt der Zeitfaktor: Neben Russ­land stehen auch Länder wie China, Pakistan und Indien um Gas aus Zentralasien Schlange. Beschleunigen die Europäer ihre bekannt trägen Entscheidungsstrukturen nicht, könnte der Vorhang für Nabucco ohne Happy End fallen. Dann bleibt nur noch ein wehmütiger Blick zurück zum Besuch von Verdis Oper. Dort glückt der Freiheitskampf.

Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Die Aktie des kleinen Mannes

Die Aktie des kleinen MannesGoller

Egal ob „o’gschleckt“ oder selbstklebend, Briefmarken eignen sich nur selten als Spekulationsobjekt.

Eigentlich hat man sie schon längst abgestempelt und dem Untergang geweiht. Denn bereits lange vor dem E-Mail-Zeitalter glaubte man, mit der Einführung der Frankiermaschine Anfang des 20. Jahrhunderts der Briefmarke den Todesstoß zu versetzen.
Doch trotz E-Mail-Flut und Verwendung von Poststampiglien erfreut sich die Briefmarke auch heute noch ihres bunten Lebens. Vier bis fünf Mio. Briefsendungen werden täglich per Post verschickt. Zwar ziert nicht mehr jedes einzelne Poststück eine Marke, doch es wandern immer noch pro Tag bis zu einer Mio. Briefmarken über den Ladentisch, verrät Erich Haas, der Leiter der Philatelie der Österreichischen Post.
Die hübschen kleinen Bildchen erfüllen also nach wie vor ihren Dienst als Zahlungsmittel für den Posttransport. Die entfremdete Nutzung als Sammelobjekt lässt jedoch spürbar nach, so die Erfahrungen österreichischer Philatelisten. „Die Kriegsgeneration, die alles gesammelt hat, stirbt langsam aus“, begründet der Kärnt­ner Briefmarkenhändler und gerichtlich zertifizierte Sachverständige Arnold Goller das Schwinden der Sammlergemeinde. „Die Boomzeit der 60er Jahre hat zu einem starken Preisverfall geführt. Es wurde viel gesammelt. Die Erben interessieren sich aber nicht mehr für die Sammlungen und werfen sie auf den Markt. Das Angebot ist groß und drückt die Preise.“

Raritäten noch hoch im Kurs
„Der Preisverfall betrifft aber nur Marken jüngeren Datums und Massenware“, versichert Tatjana Slavicek-Westermayr, die Präsidentin des Österreichischen Briefhändlerverbandes. Denn für Raritäten gibt es nach wie vor große Erlöse. So wurden erst kürzlich auf einer internationalen Auktion in der Schweiz Marken im Wert von bis zu 20 Mio. Franken ersteigert. Auch die Erlöse des weltweit größten Briefmarkensammlers und Anleihenfondsmanagers Bill Gross können sich sehen lassen: Unglaubliche neun Mio. Dollar erhielt der Chefstratege des Vermögensverwalters Pimco für seine Sammlung britischer Briefmarken, für die er sieben Jahre davor „nur“ zwei Mio. Dollar hatte investieren müssen – eine durchschnittliche Rendite von 27,6 Prozent jährlich. Davon könne man heute nur träumen, sagt Slavicek-Westermayr.
„Solche Traumerlöse sind allerdings seltene Ausreißer“, betont Erich Haas, der Oberphilatelist der Post, und warnt vor unbedachten größeren Investitionen in die „Aktie der kleinen Leute“, wie sie früher genannt wurde. „Briefmarkensammeln nicht nur als Hobby, sondern als Geldanlage zu sehen, ist deppert“, poltert er.
Seine Begründung: Der Phila­telie-Markt sei nicht liquid, er beschränke sich auf einige wenige Sammler und Experten. „Eine echte Wertsteigerung kann nur erzielt werden, wenn man Gustostückerln ergattert und ins Top-Segment investiert. Da bewegt man sich allerdings im fünfstelligen Eurobereich.“
Auch wenn eine mögliche Wertsteigerung nicht der Hauptzweck einer Briefmarkensammlung sein sollte, so ist und bleibt sie ein willkommener Nebeneffekt des „alten“ Hobbys“, hält Slavicek-Westermayr den Warnungen des Postfuches entgegen. „Und wenn man bedenkt, dass Gross derzeit mit seinen Anleihenfonds nur Verluste einfährt, dann wäre das Geld der Anleger in Briefmarken zumindest wertgesichert.“
Um die Zukunft der Briefmarke machen sich die Philatelisten jedenfalls keine großen Sorgen. „Sammler werden nie aussterben, denn der Sammeltrieb ist dem Menschen angeboren“, so ihr Fazit.

Astrid Kasparek, Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Kontinent in Bewegung

Kontinent  in BewegungPhotos.com

Kulturen sind dynamische Einheiten, die sich immer wieder verändern. Der Versuch, eine „Festung Europa“ zu errichten, verkennt die evolutorischen Kräfte, die in der Geschichte dieses Erdteils gewirkt haben.

Die Katalanen sind ein stolzes Volk. Ginge es nach ihnen, gäbe es im Nordosten der Iberischen Halbinsel einen eigenen Staat Catalunya. Irgendwie fühlen sich die Katalanen nicht als „normale“ Spanier – und das zu Recht. Sie stammen nämlich von den Schweden ab; genauer gesagt: von den südschwedischen Westgoten. Als diese um das Jahr 400 auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten aus dem kalten Norden in den klimatisch günstigen Süden kamen, ließen sich Teile von ihnen an der nordwestlichen Küste des Mittelmeeres nieder. Sie gaben ihrer neuen Heimat den Namen „Gotalandia“, der später zu Catalunya romanisiert wurde.
Wenn heute die Europäische Union (EU) den Versuch unternimmt, sich in der „Festung Europa“ einzubunkern, dann verkennt sie die Lehren der Geschichte dieses Kontinents. Nicht erst seit der Völkerwanderung ist Europa ständig in Bewegung. Ströme von Menschen kamen, Ströme von Menschen gingen, und zu allen Zeiten waren Volksstämme, ja ganze Völker zwischen Ostsee und Mittelmeer, zwischen Atlantik und Schwarzem Meer unterwegs.
Das landläufige Bild des Alten Europa prägen die Schrecken verbreitenden Barbarenstämme. Doch waren das wirklich Europäer? Wie die Prähistorikerin Marija Gimbutas nachwies, existierte zwischen 7000 und 4000 vor unserer Zeitrechnung im Alten Europa eine hochstehende friedliche Zivilisation, die durch die Errungenschaften der Sesshaftigkeit das waren, was man heute „sozioökonomisch gut aufgestellt“ nennen würde: Ackerbau und Viehzucht warfen beste Erträge ab; es gab Töpferei, Weberei und Metallurgie; der Handel mit Obsidian, Marmor und Kupfer florierte über ein weitläufiges Netz von Handelsstraßen. Die Bauwerke der ersten entstehenden Städte stellen die Wiege der Architektur und bewusster Stadtplanung dar.

Eroberung und Kolonisierung

Zwischen 4300 und 2800 vor unserer Zeitrechnung wurde diese friedfertige Kultur von indogermanischen Reiterhorden, die aus den Steppen nördlich und östlich des Schwarzen Meeres kamen, in mehreren Invasionswellen überrannt und zerstört. Gimbutas nennt sie die „Kurgan-Völker“, weil sie große runde Grabhügel, russisch „Kurgan“ genannt, errichteten, in denen sie ihre Anführer bestatteten. Die „moderne“ indogermanisch-europäische Zivilisation, wie wir sie aus den Geschichtsbüchern kennen, war demnach die Folge von kriegerischer Eroberung und Kolonisierung.
Auch wer sich auf die Hochblüte des alten Griechenland als den europäischen Ursprung unserer Kultur berufen will, liegt damit falsch. Zum einen übernahmen die Griechen viele ihrer Ideen direkt von den Arabern, zum anderen brachten gerade die Araber erst im Mittelalter radikal neues Wissen und verfeinerte Lebensart (Stoffe, Gewürze, Düfte) nach Europa. Würden wir unser arabisches Erbe aus der europäischen Kultur tilgen, würde unser ganzes Weltbild zusammenbrechen.
Zwar stammen die „arabischen“ Zahlen aus Indien, aber wir rechnen damit. So mancher Schüler würde gern auf die Algebra (al-gabr) verzichten, doch wie funktionieren Computer ohne Algorithmen (al-Chwarizmi), wie das binäre System ohne die Zahl Null? Dieses ominöse Zeichen 0, das arabisch „sifr“ (leer) heißt und von dem unser Wort „Ziffer“ stammt. Alles arabische Importware, wie so vieles in der Mathematik, Chemie, Medizin, Astronomie und Philosophie. Selbst für manche unserer Genüsse hätten wir keine Namen und oft keine Rohstoffe: vom Kaffee (qahwa) über das Kiffen (kaif) bis zum Alkohol (al-kuhul).
Eindringlich erinnert auch der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo in seinem Werk daran, dass die europäische Kulturgeschichte ohne das arabische Erbe einfach nicht zu erklären ist. Kultur kann für Goytisolo „heute nicht ausschließlich spanisch oder französisch oder deutsch sein, nicht einmal europäisch, sondern allein mestizisch, ein Bastard, ein Mischling, befruchtet von den Kulturen, die unserem abwegigen Ethnozentrismus zum Opfer gefallen sind“.
Stillstand ist das Gegenteil von Evolution. Auch Gesellschaften, Völker und Zivilisationen sind dynamische Organismen und keine statischen Gebilde. Sie sind in ständiger Bewegung, auch wenn der einzelne Mensch das in seiner kurzen Lebensspanne nicht so wahrnimmt. Seit vielen Jahrtausenden muss die politische Landkarte Europas immer wieder neu gezeichnet werden, denn Leben ist Bewegung. Oder wie uns der Literat Erich Fried wissen lässt: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“
DEinen neuen Zugang zur Geschichte dieses Kontinents hat auch der Münchner Evolutionsbiologe Josef Reichholf in seinem Buch Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends vorgelegt, in dem er die in Europa immer wieder ausgelösten Migrationen vor dem Hintergrund der wechselnden klimatischen Lebensbedingungen für die Menschen beschreibt. economy sprach mit Reichholf über seinen naturgeschichtlichen Ansatz.

economy: Sie beschäftigen sich mit den Wechselwirkungen von Naturgeschichte und Geschichte. Welche Erkenntnisse bringt das?
Josef Reichholf: Da die Naturgeschichte meist nicht in die historische Betrachtung einbezogen wird, werden rückblickend oft Folgen und Ursachen verwechselt. Historische Vorgänge werden immer auch von den äußeren Lebensbedingungen mitverursacht. Die Menschenströme quer durch Europa, wie es sie zu vielen Zeiten gab, waren keineswegs nur politisch oder sozialpolitisch bestimmt. Sie waren auch das Ergebnis von natürlichen Rahmenbedingungen: was die Landwirtschaft produzieren konnte, ob es Hunger gab, welche Chancen bestanden, existenziell ein Auskommen zu finden. Die Evolution ergibt sich aus historischen Prozessen, die äußeren Zwängen, eben den Rahmenbedingungen, unterliegen und sich nicht beliebig entfalten können. Das ist für Menschen genauso gültig wie für Tiere und Pflanzen.

Um nicht zu weit zurückzugreifen: Lassen Sie uns beim Römischen Reich beginnen.

Die nördliche Grenze des Römischen Reiches, die durch den Limes markiert war, war auch die klimatische Grenze des Weinbaus. Etwas salopp formuliert: Jenseits dieser Grenze, wo kein Wein mehr gedieh, lohnte es sich aus Sicht der Römer nicht, zu leben. Sie rückten nur so weit vor, wie mediterrane Bedingungen gegeben waren. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass es zu jener Zeit wesentlich wärmer war als heute und Wein bis Mittelengland kultiviert werden konnte, wo dann der Limes die Grenze gegen Schottland bildete. Klarerweise spielten auch strategische Überlegungen eine Rolle, aber die natürlichen klimatischen Grenzen der mediterranen Lebensweise waren auch die Grenzen des
Römischen Reiches.

Auch der Machtverlust Roms lässt sich Ihrer Ansicht nach zum Teil auf klimatische Veränderungen zurückführen.
Ja, denn in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten trat eine massive Klimaverschlechterung ein. Es kam zu einem deutlichen Temperatur­abfall, die Niederschläge nahmen stark zu, vor allem auch im Winter, was verkürzte Vegetationsperioden zur Folge hatte. In Zentralasien gab es lang anhaltende Trockenzeiten, die Weidegründe wurden immer karger. Halbnomadische Völker wie die Hunnen, die dort lebten, konnten in dieser Region nicht mehr überleben und mussten sich mit Sack und Pack aufmachen, neue Lebensräume zu finden. Durch diesen Ansturm kamen die germanischen Stämme in Nord- und Mitteleuropa in Bewegung. Die große Völkerwanderung brach los, die in der Hauptrichtung von Nordosten nach Südwesten ging. Diesem Druck der Menschenmassen und nicht dem der Heere musste das Römische Reich weichen. Es war keine militärische Niederlage Roms, sondern eine Niederlage, die verursacht war durch die Bevölkerungsmassen, die sich plötzlich in Europa verschoben haben.

Zwischen 800 und 1300 rückten vom Norden Europas immer wieder die Wikinger aus. Waren sie nur Seeräuber oder auch Siedler?

Auch da müssen wir die klimatischen Gegebenheiten beachten. Das Klima war in dieser Zeit wesentlich besser als heute; Wein gedieh sogar noch im Süden Norwegens, die landwirtschaftlichen Erträge in Skandinavien waren sehr gut. Die Bevölkerung wuchs, aber das Land konnte sich ja nicht vermehren. Daher gab es zwei Strategien. Zum einen gingen die Wikinger als Seeräuber auf Beutezüge nach Süden. Sie fuhren Flüsse wie die Seine und die Oder hoch, andere kamen bis ins Mittelmeer. Ein Teil des Bevölkerungsüberschusses wurde aber auch durch Auswanderer abgebaut, die mit Schiffen nach Island und später nach Grönland und Nordamerika kamen. Aber auch im Osten Europas bauten sie Reiche auf, wie das der Rus am Dnjepr, die heutige Ukraine. Ukraine bedeutet „das Land an der Grenze“, das stammt von dem Wort „Rain“, also der Ackergrenze. Das passt auch zum Selbstverständnis der Ukrainer, die sich nicht dem Osten, sondern dem Westen zugehörig fühlen. Der Korri­dor, den Nordgermanen in dieser Zeit von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer schufen, wirkt de facto noch heute als die geistige, kulturgeschichtliche Grenze zwischen Europa und Asien.

Sie sehen auch die Kreuzzüge des 12. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung.
Im hohen Mittelalter herrschten äußerst günstige klimatische Bedingungen, sodass die Bevölkerung stark anwachsen konnte. Die mittelalterlichen Klöster waren in doppelter Hinsicht ein gro­ßer Erfolg: zum einen durch die Kultivierung der Moore, wodurch ansehnliche Flächen an Neuland für die landwirtschaftliche Nutzung gewonnen wurden, zum anderen weil sie viele junge Männer und in den Nonnenklöstern auch Frauen aufnahmen. Das Kloster war das Auffangbecken für jene jungen Männer, die keine Chance auf Haus und Hof hatten. Dieser Bevölkerungsüberschuss wurde durch die Kreuzzüge in einem erheblichen Maß entlastet; denn die meisten Kreuzfahrer kamen ja nicht wieder zurück, weil sie entweder im Kampf gefallen waren oder sich in der Fremde ansiedelten.

Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert war dann die Zeit der Katastrophen.
Ja, denn in dieser Zeit kam es zu einem massiven Temperatur­abfall im Winter und zu einer Verschlechterung der Sommerwitterung. Im Winter nahm die Kälte extrem zu. Wir sprechen auch von der kleinen Eiszeit. Oft waren die großen Alpenseen, ja sogar der Bodensee, komplett zugefroren. Abwechselnd gab es völlig verregnete, dann wieder extrem heiße, trockene Sommer, was beides zu Missernten führte. Sturmfluten an den Küsten im Norden, Überschwemmungen in Mitteleuropa und soziale Unruhen kennzeichnen das Spätmittelalter. Das hatte zur Folge, dass sich ganze Volksstämme wie die Flamen, Friesen und Sachsen auf den Weg nach Südwesten machten.

Die kleine Eiszeit führte auch zu neuen politischen Konstellationen.
Genau, denn das wirtschaftliche und politische Zentrum Europas verlagerte sich nach Südwesten. Spanien und Portugal wurden in der Folge so mächtig, dass sie sich im Vertrag von Tordesillas 1494 erlauben konnten, die ganze Welt untereinander aufzuteilen. Ein unerhörter Vorgang! So haben sie sich auch die Neue Welt aufgeteilt und im Zuge einer massiven Kolonisierung enorme Menschenmengen nach Süd- und Mittelamerika verfrachtet.

Woher nahm Iberien all die Menschen, gab es da auch Zuzug aus Mitteleuropa?
Offenbar fand damals innerhalb Europas eine neue Völkerwanderung statt, eine Massenverlagerung von Menschen in weitaus größerem Ausmaß, als das historisch bisher realisiert wurde. Man kann sich ja ausrechnen, was aus Spanien und Portugal geworden wäre, wenn alle Menschen, die damals nach Süd- und Mittelamerika ausgewandert sind, nur aus diesen beiden Ländern gekommen wären; die hätten ja einen immensen Bevölkerungsschwund gehabt. Aber um die neuen Gebiete besiedeln zu können, war eine unglaubliche Menge von Menschen nötig.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Warum Slowaken in Ungarn shoppen

Warum Slowaken in Ungarn shoppenBilderbox.com

Während Ungarn am Rande des Staatsbankrotts taumelt, ist der nördliche Nachbar Slowakei wirtschaftlich Spitzenreiter in der Region. In den 1990er Jahren war das Verhältnis umgekehrt. Was seither geschah.

DVD-Player, Strümpfe, Bohrmaschinen: Was Slowaken bei ihrem Ungarntrip in den Kofferraum packen, beschränkt sich längst nicht mehr auf Salami und Paprika. Denn der Preis ist heiß für die Slowaken, die seit Anfang des Jahres Euroland sind.
Seit Mitte 2008 ist der ungarische Forint gegenüber dem Euro um 24 Prozent abgestürzt. Wie ein eisiger Sturm, der über die Puszta fegt, erwischte die Finanzkrise die Magyaren frontal und ungeschützt. Die Slowaken haben rechtzeitig unter dem Dach des Euros Schutz gefunden. Um eingelassen zu werden, hatten die Slowaken zuvor Inflation, Budgetdefizit und Verschuldung brav gezähmt. Welch Unterschied zum südlichen Nachbarn, der 2006 ein Budgetdefizit von zehn Prozent auswies und im Oktober 2008 kurz vor dem Staatsbankrott stand.
25 Mrd. Euro von Währungsfonds, Weltbank und EU konnten das Ärgste abwenden, doch der ungarische Patient kommt seitdem nicht auf die Beine. Ungarn und die Slowakei: Die jüngere Geschichte der beiden Nachbarn ist die Geschichte eines Rollentauschs, der sich schon lang vor dem EU-Beitritt der beiden Länder im Jahr 2004 abzeichnete.

Unerwarteter Rollentausch
Noch Ende der 1990er Jahre galt Ungarn als Vorzeigestaat im ehemaligen Ostblock. Die Tore waren schon weit für westliche Investoren geöffnet worden, als in der Slowakei noch der polternde Ministerpräsident Vladimír Meciar die Geschäftswelt verschreckte. Nach dem Abgang Meciars 1998 musste sich das Land erst von dessen Eskapaden erholen, während sich Ungarn mit Volldampf zu einer robusten und stabilen Wirtschaft entwickelte. 2000 wendete sich das Blatt.
„In der ungarischen Wirtschaftspolitik machte sich ein beispielloser Populismus breit. Kein anderes Land hat seine Chancen so verspielt wie Ungarn“, meint Sandor Richter. Der Ungarn-Experte des Wiener Osteuropainstitutes WIIW ortet die größten Fehler in der Zeit von Mitte 2001 bis 2006. Nach den mageren Jahren der 1990er Jahre sei, so der Experte, die Versuchung für die Politiker zu groß gewesen, die fetten Jahre auszurufen. Die ersten Wahlzuckerl warf der konservative Premier Viktor Orbán von der Fidesz-Partei ins Volk. Vor den Wahlen 2002 erhöhte er Beamtengehälter und Pensionen massiv. Gewählt wurden die Sozialisten, und die machten weiter. Doch anstatt als Opposition langsam wieder auf die Bremse zu steigen, heizte Orbán den Wettlauf um mehr Staatsausgaben noch an. „Fidesz gibt euch noch mehr“, lautete die Parole. „Es war ein Spiel zwischen zwei Piloten, die aufeinander zusteuern und schauen, wer früher ausweicht“, umschreibt Richter das Duell Orbáns mit Péter Medgyessy und ab 2004 mit Ferenc Gyurcsány.
Den Steuerknüppel nach oben riss schließlich Gyurcsány Ende 2006 mit seiner berühmten „Lügenrede“. Er gestand darin ein, dass Ungarn auch unter seiner Führung über seine Verhältnisse gelebt hätte, und forderte einschneidende Reformen. Trotz empörter Proteste der Bürger gelang eine Reduktion des Budgetdefizits von zehn auf vier Prozent. Doch beim Ausbruch der globalen Finanzkrise hingen die Kondensstreifen vergangener Ausgabenduelle noch zu dick über dem Land. Die Staatsschulden sind erdrückend. Die Folge: Trotz zwölfprozentiger Zinsen kaufte niemand Forint-Anleihen, das Land blieb nur dank der Finanzspritze von IWF, Weltbank und EU liquide.
In Brüssel tritt das einstige Vorzeigeland als Wortführer für ein 180 Mrd. Euro schweres Hilfspaket für Osteuropa auf. Die Slowakei will mit Gyurcsánys Appellen nichts zu tun haben. Premier Robert Fico lässt keine Gelegenheit aus, um sein Land von Ungarn abzugrenzen. „Es gibt keine einheitliche Problemzone Mittel- und Osteuropa, das ist einfach nicht wahr.“
Um das slowakische Selbstbewusstsein hinter Ficos Aussage zu ergründen, noch einmal zurück in die späten 90er Jahre: Nach Jahren der Misswirtschaft unter Meciar verpasste sein Nachfolger, der konservative Mikuláš Dzurinda, dem Karpatenland ein beispielloses Reformprogramm. Die Bürger bezahlten es mit Selbstbehalten beim Arzt, eingefrorenen Gehältern im Staatsdienst und Pensionskürzungen; Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer emigrierten in Scharen nach England, weil sie dort als Putzkraft mehr verdienten. Trotzdem ratterte der Reformmotor bis 2006 weiter, denn die Reformsaat ging auf und brachte Arbeitsplätze – vor allem in der Autoindustrie.

Wachstum in der Slowakei

Vom Land ohne nennenswerte Autoproduktion entwickelte sich die Slowakei zum „De­troit Europas“. Kia, Peugeot/Citroën, Volkswagen: Nirgendwo auf der Welt werden pro Kopf mehr Autos produziert. Doch 2006 ging den Slowaken die Luft aus – im selben Jahr, in dem die Kaufkraft der Slowaken erstmals jene der Ungarn überstieg. Sie wählten Dzurinda ab und hoben den Sozialisten Robert Fico ins Amt. Er zog den Reformen die Zähne und versucht seither, die gewachsene soziale Kluft – vor allem zwischen dem reichen Westen und dem armen Osten des Landes – zu kitten. Der boomenden Wirtschaft tat die soziale Wende keinen Abbruch. Mit über zehn Prozent erreichte das Wirtschaftswachstum 2007 Ausmaße wie sonst nur in China. Damit ist es vorbei, denn die Einbrüche auf dem Automarkt treffen die Slowakei ins Mark. Die Kofferräume werden sich trotzdem nicht leeren, im Gegenteil. Während die ungarische Wirtschaft 2009 schrumpft, wird der kleine Nachbar im Norden mit dem regionalen Spitzenwert von zwei Prozent wachsen.

Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

In den Hinterhöfen Europas

In den Hinterhöfen EuropasAPA/David Kriegleder

Wo viel Licht, da viel Schatten: Im reichen Europa finden sich nach wie vor Regionen, an denen der Aufschwung vorbei gegangen ist. Zu den Hinterhöfen des Kontinents zählen Albanien, ein ewiger Paria, und Transnistrien, quasi ein geschichtlicher Kollateralschaden der Wende.

Es liegt nur ein paar Autostunden von der österreichischen Grenze entfernt, doch ferner konnte ein Land kaum je sein: Albanien, jener merkwürdige Staat, der bis in die 1980er Jahre abgeschottet am Rande der Adria lag und den man danach hauptsächlich mit Chaos und Konflikten in Zusammenhang brachte.
Mit der Zeit dürften sich die Dinge zwar beruhigt haben. Staatschef Sali Berisha hat angekündigt, noch heuer einen Antrag auf EU-Beitritt zu stellen, und die Nationalitätskonflikte auf dem Balkan scheinen endgültig Geschichte zu sein.
Doch was Albanien vom Rest Europas unterscheidet, ist – neben seinen stolzen, störrischen Bewohnern, den Skipetaren – seine überaus wechselhafte Geschichte und seine gelinde gesagt interessante Rolle in der kommunistischen Ära. Zur vorigen Jahrhundertwende noch ein Fürstentum, ver­schwand Albanien bis zum Zweiten Weltkrieg abwechselnd von der Landkarte und erschien darauf wieder unter anderem als Republik und als Königreich, bis 1944 eine kommunistische Diktatur unter Enver Hoxha etabliert wurde. Das Problem: Bei der Konferenz von Jalta, wo die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die Nachkriegsordnung in Europa festlegten, wurde Albanien schlicht vergessen. So blieb Hoxha nicht viel mehr übrig, als sich an das damalige Jugoslawien anzulehnen und Titos Vergesellschaftungen und Bodenreformen zu übernehmen. Tito hatte damals von Stalin sogar freie Hand, Albanien zu „schlucken“, schreibt der Balkan-Historiker und Schriftsteller Milovan Djilas.

Chinas Außenposten
Doch dazu kam es nicht, vielmehr folgte nach Stalins Tod der Bruch Hoxhas mit Chruschtschow und die Anlehnung an China mit dem denkwürdigen Effekt, dass Peking Albanien als seinen Außenposten in Europa aufbaute. Albanien begriff sich nun als maoistisch und wurde überdies 1967 zum ersten atheistischen Staat der Welt.
Das alles passierte vor der Nase des Westens, was heute kaum mehr vorstellbar ist. Durch die extreme Abschottung des Landes waren die Effekte aber denkbar gering, und in den Balkankriegen der 1990er Jahre ging alles sprichwörtlich in Rauch auf.
Heute ist Albanien noch immer eines der ärmsten und politisch instabilsten Länder Europas. Eine Tatsache, durch die die EU-Beitrittsbestrebungen Berishas in der restlichen EU eher „zurückhaltend“ aufgenommen wurden. Er hoffe allerdings, dass die Bemühungen seines Landes im Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen von den EU-Staaten anerkannt würden, sagte Berisha. Bis 2005 seien in Albanien ganze Städte und Bezirke sowie Grenzübergänge und Häfen von kriminellen Banden kontrolliert worden. Man habe aber bisher „Hunderte Kriminelle“ vor Gericht gestellt.
Erhebliche Probleme mit Kriminalität und noch größere mit internationaler Anerkennung hat auch die Region Transnis­trien, ein Restposten des Zerfalls der Sowjetunion, etwas „wohlhabender“ als das äußerst arme Moldawien, in dessen östlichem Teil es liegt. Transnis­trien, das sich selbst als unabhängige Transnistrische Moldauische Republik sieht, verfügt über einen eigenen Präsidenten, eine eigene Währung und stellt eigene Pässe aus, wird aber von keinem Staat der Welt anerkannt. Als solches hat es immerhin die Mitgliedschaft in der „Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten“ inne, eine Vereinigung ehemaliger UdSSR-Regionen, in der sich auch Abchasien, Bergkarabach und Südossetien befinden.
Die Autonomiebestrebungen Transnistriens gehen vor allem auf die geschichtlich starke Anlehnung an Moskau zurück, die im Transnistrien-Konflikt der 1990er Jahre aufbrach. Transnistrien wollte vor allem seine großen Industriebetriebe, ein Erbe der Sowjetzeit, nicht an die Zentralregierung im mehrheitlich landwirtschaftlich geprägten Moldawien abtreten.

Unklare Zukunft
Trotz der ausgeprägten Industrie liegt die Wirtschaft des Landes heute allerdings am Boden, da eine anarchische Verwaltung, enorme Korruption und „Privatisierungen“ durch Oligarchen die Entwicklung hemmen. Dazu kommt der florierende Schmuggel an der ukrainischen Grenze, der die Staatseinnahmen zusätzlich stark belastet.
Die Zukunft der Region ist unklar. Nachdem das Land zwar weiterhin auf seiner Unabhängigkeit beharrt, es aber auch nicht sehr von seinem ehemaligen Verbündeten Russland unterstützt wird, sind weitere Konflikte programmiert. Als nicht anerkannter Staat fließen auch keine offiziellen Investitionshilfen des Westens ins Land, die allesamt die Zentralregierung in Moldawien passieren müssen.
Die „Regierung“ in Transnis­trien weist Züge einer autoritären Führung auf, da die letzten Wahlen nach Urteilen von Beobachtern nicht internationalen Standards entsprachen und es noch dazu weitreichende Probleme mit der Achtung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit gibt.
Da ein eigenständiges Überleben für die 500.000-Einwohner-Region eher unwahrscheinlich ist, befürwortet der transnistrische Präsident Igor Smirnow einen Beitritt zur Russischen Föderation. Für Russland ist Transnistrien noch am ehesten wegen seiner (allerdings überalteten) Rüstungsbetriebe und der Stationierung von Truppen als Nato-Gegenpol interessant.

Economy Ausgabe 71-03-2009, 27.03.2009

Pages