Katalonien – Region in Selbst(er)findung
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Die Vorstellung, dass sich ein Staat nur durch Krisen oder gar Kriege umformen lässt, wird derzeit von Katalonien herausgefordert. Spaniens Vorzeigeregion ist drauf und dran, sich zu verselbstständigen.
Das etwa 32.000 Quadratkilometer umfassende Katalonien (in etwa so groß wie Ober- und Niederösterreich zusammen) liegt im Nordosten Spaniens, wo es an Frankreich und Andorra grenzt. Etwa ein Viertel aller spanischen Exporte kommt aus dieser – Spaniens wirtschaftlich stärkster –
Region. Wirtschaftskraft und Stabilität stärken das Selbstbewusstsein und folglich die separatistischen Ambitionen des Landes.
Den diesbezüglich größten Erfolg stellt bisher das als „historisch“ begrüßte Autonomiestatut aus dem Jahr 2006 dar. Es räumt der gut sieben Mio. Einwohner zählenden Region weitreichende Selbstbestimmung hinsichtlich Bildung, Gesundheitswesen, Handel und Tourismus ein. Auch fließen mehr Steuergelder zurück nach Katalonien, das sich zudem nun offiziell „Nation“ nennen darf.
Der Kompromiss besteht darin, dass sich diese Nation immer noch im Rahmen der spanischen Verfassung von 1978 bewegt. Folglich gibt es teils scharfe Kritik von beiden Seiten. Die spanische Opposition bezichtigt Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, den Zerfall Spaniens zu verschulden. Dieser rechtfertigt seine Politik: „Spanien ist eine Gemeinschaft, die das Andere integriert sowie Vielseitigkeit anerkennt.“ Katalanischen Nationalisten widerum geht der Kompromiss nicht weit genug. Sie verlangen eine vollständige Loslösung von Spanien. Auch Kataloniens Republikanische Linke (ERC), die selbst am ersten Entwurf des Statuts mitarbeitete, kritisierte die endgültige Version: „Das Statut ist unzureichend für Kataloniens Bestrebungen.“
Selbst wenn diese separatistischen Ambitionen schon Jahrhunderte zurückreichen, so steht ein Großteil der aktuellen Polemik in starkem Zusammenhang mit der Repression durch den Franquismus. Während der Jahre unter Francos Diktatur (1939 bis 1977) wurde jeglicher Regionalismus stark unterdrückt. Der Diktator hatte die Vision von einem einigen Spanien und duldete keine Abweichungen. So musste beispielsweise die katalanische Regierung ins Exil flüchten. Die katalanische Sprache und Bräuche wie der klassische Volkstanz, die Sardana, wurden verboten.
Sprache als Identitätsstifter
Die Jahre der Unterdrückung haben im katalanischen Selbstbewusstsein ihre Spuren hinterlassen. Regionalismus beziehungsweise katalanischer Nationalismus sind die natürliche Reaktion auf das franquistische Unterdrückungsregime. Nationalisten finden sich nicht nur im rechten Flügel, sondern auch links außen. Seit dem Tod des Diktators werden regionale Brauchtümer, eigene Sprachen und regionale Dialekte in ganz Spanien richtiggehend zelebriert. Es herrscht ein kulturelles Aufatmen, das regionale Identität geradezu mit Demokratie gleichsetzt und als Antithese zum faschistischen Franco-Regime versteht. Katalonien identifizierte sich dabei seit jeher vor allem über seine eigene Sprache.
Bis zum 12. Jahrhundert entwickelte sich das Katalanische aus dem Lateinischen heraus zu einer eigenen Sprache mit eigener Literatur. Seit Barcelonas Fall im Erbfolgekrieg 1714 wurde die Sprache wiederholt verboten. Diese Verbote hatten starken Einfluss auf die Intellektuellenkreise in Barcelona und anderen Städten. Mit Anfang der Renaissance, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, richtete sich die intellektuelle Aufmerksamkeit verstärkt nach innen – auf das Heimatland und die Muttersprache. Folglich kristallisierten sich nicht nur nationalistische Strömungen, sondern auch ein neues Sprachselbstbewusstsein heraus.
Sprache und Nation stehen auch heute noch in direktem Zusammenhang miteinander. Katalonien lehnt sich dabei im Wesentlichen an den Nationsbegriff des deutschen Philosophen Johann Gottfried von Herder an. Stark vereinfacht heißt das, dass eine Nation aus einem Volk mit einer gemeinsamen Sprache und Kultur besteht.
Das katalanische Sprachgebiet umfasst dabei mit 68.000 Quadratkilometern doppelt so viel Fläche wie Katalonien selbst. Andorra sowie der angrenzende Teil Frankreichs, Valencia und die Balearen gehören ebenso dazu wie vereinzelte kleine Sprachinseln in Marokko und Italien. 13,5 Mio. Einwohner leben hier, von denen neun Mio. aktive beziehungsweise elf Mio. passive Sprachkompetenz besitzen.
Ein nicht unwesentliches Problem bestand nach der jahrzehntelangen Unterdrückung darin, dass die Sprache, die als Hauptidentitätsmerkmal der katalanischen Nation gedacht war, oft nicht mehr fehlerfrei benutzt werden konnte. Während der Diktatur wurde Katalanisch oft versteckt weiterverwendet, und so wurde die Sprache nach Franco zwar noch weitestgehend verstanden und in vielen Fällen auch gesprochen, jedoch bestanden teils große Defizite im korrekten Gebrauch. Bis vor Kurzem schätzte man die Anzahl der Sprecher, die Katalanisch auch ausreichend korrekt schreiben können, nicht höher als etwa 40 Prozent.
Millionen für eigene Sprache
Da die Sprache Hauptbestandteil der katalanischen Identität ist, investiert die Generalitat, Kataloniens autonome Regierung, jährlich Millionen in deren Verbreitung und Verwendung. 2007 beliefen sich die Gesamtausgaben auf über 156 Mio. Euro. Das Jahresbudget des Sprachministeriums ist seit seiner Gründung im Jahr 2000 um über 300 Prozent von 12,5 Mio. auf etwa 38,6 Mio. Euro für 2009 gestiegen. Dabei fließen die Mittel in verschiedenartigste Projekte wie die Erstellung von Wörterbüchern, Sprachkurse oder die Übersetzung von Kinofilmen und anderen Medien sowie in die Verwendung des Katalanischen in der Bildung, die mittlerweile fast ausschließlich in der Landessprache durchgeführt wird.
Die Unterstützung und Vorantreibung der Sprache sowie der nationalistischen Interessen stehen also an vorderster Stelle. So reagierte Präsident José Montilla auf Kritik an der katalanischen Sprachpolitik mit der Aussage: „Wir werden es nicht zulassen, dass Interessen politischer oder sonstiger Art unser Modell des linguistischen Zusammenlebens oder der Verteidigung unserer Sprache zerstören.“ Zudem wird auch längst laut über eine Weiterverhandlung des Statuts nachgedacht. Schon Pasqual Maragall, der damalige Präsident, versprach kurz nach Inkrafttreten des Autonomiestatuts, „all seine Kraft dafür einzusetzen“, dieses weiterzuentwickeln. Bleibt also abzuwarten, wie sich die politische Situation weiterentwickelt. Wer aber dieses strebsame – ja, manchmal beinahe etwas sture – Völkchen kennt, kommt nicht umhin, ihm Großes zuzutrauen.