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26. Juli 2024

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„Trotzdem“ – Die Oscar Bronner Story

„Er hat Dinge getan, mit denen er dazu beigetragen hat, ein Land und seine Gesellschaft zu verändern. Er ist Wagnisse eingegangen, für die ihn andere, auch seine Freunde, stets für verrückt erklärt haben. Und auf Grund dessen er am Ende dann ebenso verlässlich alle eines Besseren belehrt hat.“ So weit der Prolog zur Oscar-Bronner-Biografie Trotzdem. Die Journalisten Klaus Stimeder (Datum) und Eva Weissenberger (Kleine Zeitung) haben Oscar Bronner zum 65. Geburtstag ein Buch über sein berufliches Lebenswerk geschenkt.
„Lebendig erzählte Zeitgeschichte, eine spannende Biografie und ein packender Wirtschaftskrimi“ steht auf dem hinteren Buch-Cover. Vorab einmal: Das stimmt. Das in vier Abschnitte aufgebaute Buch beginnt 1943 mit der Geburt von Oscar in Haifa (Israel), wohin seine Eltern Gerhard und Elisabeth Bronner im Jahre 1939 vor den Nazis geflüchtet waren. 1949 kehren die Eltern mit dem fünfjährigen Bub nach Wien zurück. Der Vater setzt seine künstlerische Karriere fort. Der junge Oscar lernt dadurch Menschen wie Helmut Qualtinger und Friedrich Torberg kennen, die ihm beide lange Jahre nahestehen. Er maturiert 1961 und wird erst beim Express, dann beim Kurier Journalist. In dieser Zeit lernt er den Express-Gründer Fritz Molden und den Aristokraten Karl Schwarzenberg kennen, die ihn beide bei seinen späteren Mediengründungen begleiten werden. Das Café Hawelka ist die Zentrale. Erika Pluhar, André Heller, Heinz Fischer, Heimito von Doderer und viele andere gehören dazu. Auch der Maler und Grafiker Kurt Moldovan, der dem nunmehrigen Wiener Bohemien ein väterlicher Freund wird und ihn mit seiner Radikalität, ausschließlich die Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, begeistert. Sein Meisterstück als Journalist gelingt Bronner mit einer Geschichte über Staatsanwälte, die während der Nazi-Zeit viele österreichische Widerstandskämpfer zum Tode verurteilten – und ihre „Karriere“ nach Kriegs-ende fortsetzten, als ob nichts passiert wäre.
Dann 1968: Unter dem Titel Kunst und Revolution scheißt Günter Brus auf Kommando vor 300 Leuten auf das Professorenpult im Hörsaal 1 der Wiener Uni. Und Oscar Bronner, mittlerweile als zielstrebiger Einzelgänger bekannt, denkt ernsthaft über seine Zukunft nach. Mit der Gründung einer gemeinsamen Werbeagentur mit seinem Freund Jan Mariusz Demner, der baldigen beruflichen Trennung der beiden und den ersten ernsthaften Gedanken, ein 
eigenes Nachrichtenmagazin wie den deutschen Spiegel zu gründen, endet der erste Teil.
Teil zwei erzählt die Gründung von Profil. Teil drei die Jahre als Maler in New York und die Rückkehr nach Wien mit dem schicksalshaften Ende in Form eines Lagerhallenbrandes am Wiener Nordbahnhof, bei dem auch der Container mit all seinen Bildern und damit 13 Jahre seines Lebens vernichtet werden. Teil vier erzählt Gründung und Entwicklung der Tageszeitung Der Standard. Aber das sollten Sie selbst lesen. Das komplette Buch ist kurzweilig, spannend und griffig geschrieben. Interessant auch für Menschen, die sich nicht primär für Medien interessieren. Es zeichnet ein stimmiges Sittenbild von Österreich und den Menschen, die dieses Land politisch und wirtschaftlich geprägt haben und prägen. Den beiden Autoren ist zu ihrem Engagement und ihrer umfangreichen Recherchetätigkeit zu gratulieren. Sie erörtern Dinge, die Bronner nie erzählen würde.

Klaus Stimeder,
Eva Weissenberger: Trotzdem – 
Die Oscar Bronner Story 
Ueberreuter, 2008, 21,95 Euro 
ISBN: 978-3-8000-3888-6

cece, Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

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Das Handy am Handgelenk

•LG hat auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas erstmals seine Vorstellung vom Handy am Handgelenk präsentiert. Das LG-GD910 bietet die volle UMTS-Funktionalität (Videotelefonie), ist mit einer Hand zu bedienen (wie sonst?) und kann auch Musik in Form von MP3 abspielen. Allein der Preis und der genaue Starttermin in Europa stehen noch nicht fest.
http://at.lge.com

• Es grünt. Umweltfreundlich ist nicht ein Attribut, das Batterien zuzuschreiben ist. Im Gegenteil. Fuji präsentierte Batterien, die unter dem Label „eco-friendly“ angepriesen werden. Die nicht aufladbaren Enviromax enthalten laut Fuji kein Quecksilber, Cadmium oder PVC und sollen anscheinend bedenkenlos entsorgt werden können. Das Batteriegehäuse sei aus recyclingfähigem PET-Plastik hergestellt.
www.greenfuji.com

• Netbook-Antithese. Die Antithese zum Netbook ist das Thinkpad W7000DS. Ein 17 Zoll großes Display mit einer Auflösung von 1920 mal 1200 Pixel und ein ausziehbarer Zusatzmonitor mit fast elf Zoll Diagonale und einer Auflösung von 768 mal 1200 Pixel bieten Platz für jedes erdenkliche Window und Werkzeugkästchen. Für die restlichen Eckdaten gibt es nur ein Wort: Highend, wie der Preis von 5390 Euro.
www.lenovo.at

• Schnellschuss. Die Casio EX-FC100 macht 30 Bilder in der Sekunde bei einer Auflösung von sechs Megapixeln oder Videoclips in Zeitlupe mit 1000 Aufnahmen pro Sekunde. Und dann sucht die Kompaktkamera auch noch das schärfste Foto aus einer Serie von selbst aus. Die Kamera gibt es wahlweise in Schwarz oder in Weiß ab März für rund 350 Euro.
www.casio.at

• Breit und bunt. Was aussieht wie ein Malkasten und auch nicht viel größer ist, ist die 640 Gramm leichte Sony-Vaio-P-Serie. Ingredienzien: Acht-Zoll-Bildschirm (1600 mal 768 Pixel), UMTS, GPS, zwei Gigabyte Hauptspeicher und 128 Gigabyte Festspeicher. Auffallend: Die Instant-on-Funktion erleichtert den mobilen Auf- und Zuklappalltag enorm. Preis: ab 1000 Euro.
www.sony.at
Fotos: Hersteller

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Im Test – Das Labormuseum

Im Test – Das LabormuseumAEC/Rubra

Der ältere Herr nimmt die EEG-Haube vom Kopf, streicht sich das Gel aus dem Haar und steht auf. Er hat gerade ein Experiment im Brain-Lab des Ars Electronica Centers (AEC) in Linz gemacht. Mit verkabeltem Kopf, an einen Computer angeschlossen, dachte er an ein Wort – und der Computer schrieb es. Der ältere Herr ist von sich und dem „Brain-Computer-Interface“ beeindruckt. 20 Minuten dauert im Schnitt das Experiment. Nach einer Lernphase können zwei Drittel der Menschen ein Wort mittels Gedankenkraft schreiben.

Die Haube-Computer-Installation ist kein Kunstwerk. Sie ist ein gängiger Test aus dem Bereich der Gehirnforschung, die sich damit beschäftigt, Gedanken und Träume mittels EEG sichtbar zu machen.
Das AEC ist erweitert und komplett umgestaltet worden. Seit Anfang Jänner ist es wieder offen. Man kann natürlich digitale Kunst sehen. Auf mehreren Ebenen sind Arbeiten aus den vergangenen Jahren ausgestellt. Da gibt es Roboter und verspielte Maschinen. Es gibt das Zellstrukturobjekt der Künstlerin Jenny Sabin (siehe Bild), das sie gemeinsam mit dem Zellbiologen Peter Lloyd Jones aus 75.000 Kabelbindern gestaltet hat.

Ariadnes Faden zerstückelt
Da gibt es ein wunderschön anzusehendes „Auge“ von Julius Popp, das bei näherer Betrachtung aus dünnen weißen Schläuchen besteht, durch die unregelmäßig rote Stückchen strömen. Es ist eine Interpretation des roten Fadens der Ariadne aus der griechischen Mythologie. Doch der Faden, mit dem einst Theseus aus dem Labyrinth fand, ist zerstückelt. Ein Symbol für unsere Zeit – im Labyrinth der Gegenwart finden wir uns schwer zurecht.
Für die Gestalter des AEC findet das eigentlich Spannende derzeit in der naturwissenschaftlichen Forschung statt. Sie stellt die Menschheit vor neue ethische Herausforderungen. In den bestens ausgestatteten Labors, in denen Forschung betrieben werden kann, will das AEC eine Diskussion über Ethik starten.
Das Konzept ist ehrgeizig, die Hardware perfekt. Die Ausführung ist aber noch verbesserungswürdig: Einige Infotrainer wirken überfordert. Ein Betreuer im Biolabor schiebt lustlos ein Glasplättchen mit embryonalen Leberzellen in das Elektronenrastermikroskop. Doch ohne biologisches oder medizinisches Wissen können Betreuer und Besucherin mit den Zellen wenig anfangen.
Resümee: Absolut besuchenswert. Am besten vier Stunden dafür reservieren. Sehr kindertauglich. Die köstlichen Speisen im Restaurant schlemmen. Bis zum Abend bleiben und das Farbenspiel des neuen Gebäudes bewundern.
Foto: AEC/Rubra

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Kochen im multimedialen Zeitalter

Kochen im multimedialen ZeitalterPhotos.com

Das Essen zählt zu den elementarsten menschlichen Bedürfnissen. Der Speisenzubereitung wird oftmals höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Neben neuen Sendungsformaten im Fernsehen entwickelt sich auch online eine große Koch-Community, während technische Entwickler ihre eigenen Süppchen kochen.

Jeder kann kochen! Dies behauptet nicht nur die Gerichte zaubernde Ratte Rémy im Trickfilm Ratatouille, sondern es wird auch dem Fernsehvolk tagtäglich auf dem Bildschirm vorexerziert. Sarah Wiener, Tim Mälzer und Co predigen zur besten Sendezeit übers Einkaufen samt gesunder Ernährung mit Vitaminen und Nährstoffen. Sie schneiden, rühren und geben wertvolle Tipps, wenn nicht gerade der wortkarg schnipselnde Silent Cook Patrick Müller televisuell aufkocht.
Dabei werden Kochsendungen bereits seit Beginn des Fernsehens gezeigt. In Deutschland beispielsweise sorgte ein arbeitsloser Schauspieler mit dem Pseudonym Clemens Wilmenrod als erster Fernsehkoch bereits 1953 für Furore, während in Österreich der kürzlich verstorbene Helmuth Misak mit 134 Kochsendungen in 16 Jahren zu den Pionieren unter den Küchenherd-Entertainern zählte.
Zu Zeiten seines medialen Ersteinsatzes (1961) waren die Protagonisten des derzeitigen ORF-Kochduetts Andi und Alex nicht einmal geboren. Dass der heimische Altmeister die Herausgabe von Kochbüchern ablehnte, verwundert vor dem Hintergrund, dass sich etwa die Publikationen eines Jamie Oliver monatelang ganz vorne in den Buchbestsellerlisten wiederfinden. Zudem kann heute ohne personifizierten Online-Auftritt das Interesse an der 
eigenen Person kaum am Köcheln gehalten werden.

Rezept- und Kochseiten
Doch die berühmten Kochlöffelschwinger scheinen nur das Sahnehäubchen darzustellen. Getrieben vom massenmedialen Hype erfreuen sich auch Online-Kochseiten regen Zuspruchs. So berichtet die amerikanische Business Week, dass die lukullischen Portale eine wichtige Funktion im Social Networking übernehmen und mittlerweile zu den größten Kategorien im Internet zählen. Mit der Möglichkeit, Rezepte zu tauschen und auch die eigenen Kochvideos online zu stellen, erhält die Idee des User Generated Content reichlich Nahrung. Allein im November 2007 registrierten sich mehr als 58 Mio. Menschen auf Rezept- beziehungsweise Kochseiten, erhob das Marketing-Informationsunternehmen Nielsen.
Findige Haushaltsgerätehersteller wie LG Electronics oder Samsung versuchen seit gut einem Jahrzehnt, vor allem den Kühlschrank netzwerkfähig zu gestalten und ihn als zentrales Steuerungselement eines vernetzten Haushalts zu positionieren. Mit Touchscreen versehen, findet die Kommunikation via E-Mail oder Bildtelefon statt, wobei sich der Kühlschrank zum Beziehungszentrum innerhalb der Familie entwickelt. Immerhin können die gekauften Lebensmittel (noch) manuell über eine virtuelle Tastatur erfasst werden, womit sich der vorhandene Inhalt samt Haltbarkeitsdatum via Internet oder Handy abfragen lässt. Aber auch als Küchenchef leistet das Kühlgerät gute Dienste. Es schlägt vor, welches Rezept aus der umfangreich vorhandenen Sammlung mit den vorhandenen Lebensmitteln zubereitet werden kann, oder teilt mit, welche Zutaten für das eine oder andere Gericht noch fehlen.

Kochende Computer
Im September letzten Jahres fand im Rahmen einer Tagung zur künstlichen Intelligenz an der Universität Trier ein Computer-Kochwettbewerb statt. Dabei waren Studenten aus ganz Europa aufgerufen, Kochprogramme zu schreiben, die selbstständig Rezepte wählen, Menüs planen und gegebenenfalls einzelne Zutaten tauschen. Der wissenschaftliche Versuch sollte auch dazu dienen, Rezeptgerichte beispielsweise für Aller-giker oder Vegetarier zu variieren oder Übergewichtige bei ihren Diätplänen zu unterstützen. Allerdings scheiterten die angetretenen Teams aus Spanien, Frankreich, Irland, Indien und Deutschland in der Wettbewerbspräsentation gerade beim Ersetzen von Zutaten wie Nüssen, Zitronen oder fehlendem Knoblauch. Die extrem hohe Fehlerquote führte das Postulat „Jeder kann kochen“ ad absurdum, da die selbst gestrickten Programme die Improvisation und jegliches Feingefühl fürs Kochen vermissen ließen.
Die Teilnehmer nahmen dies eher locker. Auf die Frage, ob einer der Informatiker schon einmal ein Rezept nachgekocht hätte, antwortete dieser lapidar: „Ehrlich gesagt nein, weil ich keine Zeit dafür hatte. Ich musste ja mein Projekt weiterbringen. Stattdessen gab es Fast Food, Mensaessen oder alles, was mir meine Freundin zubereitete.“

Kochen in Wien
Vor rund fünf Jahren startete Hubert Kolm im privaten Umfeld mit anfänglich zehn Mitgliedern sein Portal Kochen in Wien. Der ehemalige Marketing-Leiter für Industrieklebstoffe lernte während eines Italienurlaubs in Ligurien die besondere Atmosphäre am Herd kennen und zu schätzen. Er importierte seine Idee, organisierte Kochkurse für Kleingruppen unter Anleitung von Kochprofis zu veranstalten.
„Unsere Spitzenköche wie Michael Meixner, Peter Kirischitz oder Herwig Gasser bekommen von den Teilnehmern direktes Feedback, während die Kochnovizen die Möglichkeit erhalten, nachzufragen. Wie unterscheide ich gute von schlechten Lebensmitteln bereits beim Einkauf? Wo werden die Zutaten produziert? Schließlich ist Qualität immer ein sehr heikles Thema“, erklärt der Kochkursveranstalter. „Deshalb bringen unsere Köche teilweise auch ihre eigenen Zutaten mit, die der Durchschnittskonsument im Supermarkt so gar nicht erhält.“
Zwischen 15.000 und 30.000 Zugriffen registriert der Betreiber monatlich, wobei das Portal für Anfänger und regelmäßige Hobbyköche aus dem In- und benachbarten Ausland wie der Slowakei, Deutschland oder Holland als Kommunikationsplattform dient. Schließlich wird jeder Kurs mittels Fotos dokumentiert und diese online publiziert. Hubert Kolm, der den Unterhaltungsformaten im Fernsehen eher kritisch gegenübersteht, ist überzeugt: „Kochen lernt man nur dann, wenn man es auch praktiziert.“ Und er ist sich bewusst: „Ohne die Möglichkeiten des Webs wären wir nie so weit gekommen.“

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Multiversum: Der infogene Mensch

Multiversum: Der infogene MenschPhotos.com

Die Erfindung des Menschen als modellierte Datenstruktur vom Archivkörper zum Datenkörper.

Heute sind es nicht nur die mehr oder weniger äußerlich wahrgenommenen digitalen Kombattanten dieses täglichen Molotow-Cocktails an Information, sondern auch innere Datenströme, die richtig gedeutet und verstanden werden wollen.
Wenn, wie 2007 geschehen, Forscher der Universität von Kalifornien, das erste vollständige Computermodell der Stoffströme im Menschen konstruiert haben, ist abzusehen, dass irgendwann ein variierbares Gesundheits- oder Normalitätsmodell von Stoff- und Informationsströmen entstehen wird. Nicht die Digitalisierung von Körperdaten bilde die Sollbruchstelle, sondern die damit verbindbaren Aktivierungs- und Einbettungsinteressen, mahnt Manfred Faßler von der Universität Frankfurt am Main.
Es entstehen völlig neue Menschen- und Lebensbilder, in denen bio- und lebenswissenschaftliche Ereignisse mit datentechnologischen Zuständen zu Persönlichkeitsbildern, Gesundheits- und Krankheitstypologien, zu beruflichen Vorbewertungen gekoppelt werden. Es entsteht eine datentechnologische Objektivität und regulative Normalität, deren Erfolge noch nicht absehbar sind.
Individualität, die auf körperliche Unversehrtheit und Informationsethik oder Datenwürde gründet, werde dann eine Doppelförmigkeit aufweisen: die des sinnlichen Körpers und die des unsinnlichen Datenkörpers. Welcher Anteil wichtig werden wird, steht dann in Regierungserklärungen von Gesundheitspolitikern und Krankenkassen.

Körper wird zum Interface
Der Körper als informationsverarbeitende Zusammenstellung von Organen wird ebenso in Bewegung gesetzt wie die Elektronengehirne der Militärs, Banken und Versicherungsunternehmen. Es hat aber nur 40 Jahre gedauert, bis Kernspintomografie-, Magnetresonanzdaten, Body-Scanning und Bio-Casting einen elektronischen Körper erzeugten, der mich annähernd gewichtslos überallhin begleitet. Inzwischen ist dieser elektronische Zusatzkörper zum schweigsamen nächsten Verwandten geworden.
Esther Dyson ist mit dem Unternehmen 23andme – das Startkapital stammt von Google – in dieses Geschäftsfeld eingedrungen. Für 399 Dollar lässt sie für ihre Kunden deren Genom analysieren. Zu ihren eigenen Daten pflegt Dyson ein entspann-tes Verhältnis, veröffentlichte sie doch ihr Erbgut im Web. Je mehr Menschen ihre Daten veröffentlichen, desto besser könne damit geforscht werden.
Ob das Web der richtige Ort ist, um die Ergebnisse seiner Erbgutanalyse zu erfahren, sei dahingestellt. Dyson sei gesagt: Der Datenkörper kennt kein Happy End. Er stirbt nicht einmal. Er verschwindet, nicht spurenlos, aber unlesbar, als digitale Hinterlassenschaft, als sinnloser Schaltungszustand. Einiges hat sich in den letzten Jahren getan. Trotz aller genetischen Determination lassen sich Körperschichten nicht auf Gene reduzieren, sondern sind an Zellbiologie, Organentwicklung und Umwelt ebenso gebunden, wie digitale Archivprogramme ohne den Zustrom von Daten von Körpern und Zusammenhängen, die nicht sie sind, eben nichts sind.

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Ökonomie rund um die Wissensgesellschaft

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Erfindergeist, Wissen, Know-how und Kreativität sind gefragte Qualitäten. Auch für diese „Ware“ ist das Internet zu einem neuen Marktplatz geworden. Es reguliert sich durch Angebot und Nachfrage innerhalb der „Crowds“. Der Wettbewerb innerhalb und zwischen den Schauplätzen, Akteuren und Dienstleistungen wird dadurch immer härter.

2006 hat Jeff Howe, der Autor des US-Technologiemagazins Wired, mit seinem Artikel „The Rise of Crowdsourcing“ den gleichnamigen Begriff erfunden. Sehr vereinfacht bezeichnet Crowdsourcing die Auslagerung zu erstellender Inhalte an die weltweite Internet-Gemeinschaft.
Howe bezog sich damals auf bereits existierende Web-Communitys, die nach und nach imstande waren und sind, professionelle Dienstleister zu ersetzen – selbstredend zu wesentlich günstigeren Konditionen als üblich. Damals war dies iStockPhoto, eine Community von Amateurfotografen, die ihre Bilder zu sehr günstigen Preisen für kommerzielle Verwertung angeboten hatten.

Amateure am Werk
Das Konzept funktioniert aber mit beliebigem Inhalt und löst in manchen Bereichen einen wahren Schneeballeffekt aus. Wo Amateure erfolgreich werden, verändern sich für die Professionisten der Markt und die Rahmenbedingungen gravierend und oft schmerzhaft.
Seit 2006 haben sich sowohl der Begriff Crowdsourcing als auch seine Anwendungsbeispiele verbreitet, beide sind zurzeit gut „vernetzt“. Crowdsourcing paart sich mit Konzepten wie Weisheit der vielen, Schwarmintelligenz, Open Innovation, kollektive Intelligenz, interaktive Wertschöpfung, Kollaboration, Open Source oder User Generated Content. Genauso vielfältig sind auch seine Ausprägungen.

Das Know-how von vielen
Man geht davon aus, dass viele User gemeinsam über sehr viel Wissen, Talent, Fähigkeiten und Know-how verfügen, sei es als Amateure oder als Fachleute zu sehr spezifischen Gebieten, und gleichzeitig bereit sind, sich im Zuge verschiedener Themen zu engagieren. Es brauche nur noch eine ausgefeilte Technologie als Prozessaktivator und ebenso gute Konzepte, um ihr Engagement auszulösen. Wikipedia ist eines der berühmtesten Beispiele im Non-Profit-Bereich. Die Wissensgesellschaft hat für marktnahe Projekte auch andere, ähnliche Konzepte zu bieten.
Viele Crowdsourcer ziehen Experten- oder Berufscommunitys an, die imstande sind, ganz verschiedene Probleme zu lösen. Die Problemstellung wird dabei häufig in Form eines Wettbewerbs formuliert. Innocentive.com und Fellowforce.com zum Beispiel bieten eine Forscher- und Innovatoren-Community. Die Unternehmen können der Community ihre offenen Fragen oder Problemstellungen nennen und für erfolgreiche Lösungen bezahlen. Wissenschaftler gehen, falls ihre Problemlösung nicht akzeptiert wird, das Risiko ein, umsonst gearbeitet zu haben. Topcoder.com bietet eine große Programmierer-Community, Crowdspring.com vereint die Designer-Community, Utest.com professionelle Software-Tester.
Auch Kunden und Konsumenten können durch ihr Wissen, Anregungen, Feedback, Kreativität und Know-how zur maßgeblichen Crowd werden. Spreadshirts.com ist der Champion in der Herstellung einer interaktiven und sehr kreativen Wertschöpfung rund um T-Shirts. Sofern das Unternehmen es versteht, Mittel zur Verfügung zu stellen und Inputs zu nutzen, kann man sogar sämtliche FAQ (Frequently Asked Questions) an Kunden outsourcen, wie es Bestbuy.com gemacht hat. Manche Unternehmen haben es bisher erfolgreich geschafft, ihre Kunden in die Produktentwicklung einzubinden.

Kollektive Intelligenz
Auch für Prognose- und Informationsmärkte kann man sich die Weisheit der Masse zunutze machen. Hier stellt man allerdings die Frage an die User nicht direkt. Zwischen der Prognose und dem Wissen der Einzelnen wird ein Wertpapiermarkt-Spiel zwischengeschaltet, denn ein Spiel, so seltsam das klingt, steigert die Seriosität. Die Fragestellung ist in diesem Fall im Unterschied zu klassischen Umfragen anders gewichtet: Man fragt nicht „Was würden Sie wählen?“, sondern „Was, meinen Sie, wird das Ergebnis sein?“. Anstatt der persönlichen Präferenz wird also die persönliche Einschätzung erfragt.
Zu prognostizierende Ereignisse wie etwa der Stimmenanteil einer Partei bei der Nationalratswahl oder Marktanteile bei einer Marktentwicklung oder Ähnliches werden in Aktien abgebildet. Prognoseaktien werden wie auf einem Aktienmarkt gehandelt. Der aktuelle Aktienkurs spiegelt die zusammengeballte Erwartung aller Teilnehmer im Hinblick auf den Ausgang eines Ereignisses wider.
Mit erstaunlich hoher Trefferquote erstellt zum Beispiel Prokons.com, ein Produkt des Wiener Spin-offs BDF-net, Prognosen über künftige Ereignisse. Bisher wurden europaweit Wahlprognosen geliefert und für viele Unternehmen die Entwicklung von Marktanteilen eingeschätzt und Erfolge von Projekten vorhergesagt. Das nächste Thema stellt die Zukunft der Autoindustrie dar, auf deren Ergebnisse Politik und Wirtschaft gespannt warten dürfen. Und oft, wenn die Leserschaft glaubt, von einem Investment-Berater etwa die Meinung über die Entwicklung des Marktes mitgeteilt zu bekommen, wird ihr in Wahrheit ein Ergebnis der kollektiven Intelligenz serviert, zum Beispiel von www.Marketocracy.com.
Fairness und ethische Ansprüche werden deklariert. Best Practice bilden immer solche Projekte, wo auf allen Seiten ein angemessener Nutzen entsteht. „Anders funktioniert es nicht!“ lautet der einhellige Tenor. Dennoch werden in manchem Web-Eintrag Ausbeutung, unangemessene Belohnung und gro-ßer Verlust beklagt. Wenn bei einem Crowdsourcing-Projekt drei Bewerber Preise gewinnen können, andere Mitmacher aber leer ausgehen, wird es bald nicht mehr reichen, ihr ehrenvolles Freizeitengagement lobend hervorzuheben.

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Hochkonjunktur der Weltverbesserer

Hochkonjunktur der WeltverbessererEPA

Gute Samariter organisieren sich heute in straff geführten Unternehmen. Mit riesigen Vermögen ausgestattet, treten solche Stiftungen an, um Krankheiten zu bekämpfen oder die Freiheit der Presse zu stärken.

Für Andrew Carnegie zählten keine Ausreden. „Wer reich stirbt, stirbt in Schande“, stellte er Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Manifest Das Evangelium des Reichtums fest. Wie mit finanziellem Überfluss zu verfahren ist, machte der Superreiche, der seine Millionen mit Stahllieferungen für den Eisenbahnbau verdiente, selbst vor.
„Warum sollten die Leute ihr Vermögen an ihre Kinder vermachen?“, fragte er in seinem Buch. Einige Jahre später veräußerte er sein Unternehmen an den Financier John P. Morgan. Die Philanthropie war da längst schon Carnegies Hauptberuf.

Ohne Fleiß kein Preis
US-Milliardär Warren Buffett hätte mit Carnegie wohl eine gute Gesprächsbasis ge-habt. Immerhin ist Buffett in seiner Familie auch nicht als der gönnerhafte Onkel bekannt. Vor dem Hintergrund des amerikanischen Wertekanons – im Leben gilt es etwas zu leisten, und zwar für jeden – hinterlässt Buffett seinen Kindern nicht die „Bürde“ einer hohen Erbschaft, wie es Carnegie bezeichnete, sondern überantwortete 31 Mrd. Dollar seines Vermögens an die Bill & Melinda Gates Foundation. Diese, zuvor schon mit 30 Mrd. Dollar von Seiten des Microsoft-Gründers reichlich ausgestattet, kann sich seither guten Taten in ganz neuen Größenordnungen widmen.
Mit der klassischen Vorstellung wohltätiger Organisationen haben die neuen Stiftungen nichts mehr gemein. Geführt wie Unternehmen, koordinieren Projektmitarbeiter im Fall von Medikamentenentwicklung etwa zwischen Forschern, Pharma- und Vetriebsunternehmen und Gesundheitsbehörden. Bill Gates soll sich jeden Monat die Meilensteine aller Projekte vorlegen lassen, nicht zuletzt, um durch transparentes Berichtwesen Unterstützung von öffentlichen Stellen zu bekommen.
Als modern gilt auch, dass einige der großen Stifter selbst hautnah am Weltverbessern dran sind. Oracle-Chef Lawrence Ellison mischt im Stiftungstagesgeschäft ebenso mit wie die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page oder Medienmagnat Ted Turner.
Diskussionen, ob Stiftungen Teile der finanziellen Verantwortung des Staates übernehmen sollen, gehen von Land zu Land unterschiedlich aus. Während in Europa die Vorstellung, dass beispielsweise Kunst fast ausschließlich über Mäzene gefördert würde, Besorgnis auslöst, sind in den USA, wo Vorbehalte gegenüber einem übermächtigen Verwaltungs-apparat überwiegen, private Verantwortung und Finanzierung seit Langem akzeptiert.

Presseförderung
Das Programm der öffentlichen Radiosender in den USA ist zwar frei von Werbespots, allerdings werden mehrmals pro Stunde die Unterstützer der Sendungen benannt: Stiftungen wie MacArthur, Annenberg, Wallace und John S. and James L. Knight haben eine teils lange Tradition darin, unabhängige Berichterstattung zu unterstützen. So förderte etwa die Tides Foundation in den letzten drei Jahren eine Wirtschaftssendung des National Public Radio (NPR), die komplexe Zusammenhänge in der Finanzwelt erläutert, mit 2,1 Mio. Dollar.
In einem Bericht, der Anfang 2006 für die Knight Foundation erstellt wurde, versuchen die Autoren eine Aufstellung privater Presseförderung außerhalb der USA. Demnach beläuft sich diese weltweit auf jährlich eine Mrd. Dollar. Die Verfasser vom Center for International Mass Communication Training and Research an der University of Georgia gehen davon aus, dass mit dieser vergleichsweise geringen Finanzierung kaum etwas zu bewirken sei.

Aids und Malaria bekämpfen
Größenordnungen wie jene der Gates Foundation sind auch in Amerika neu. Entsprechend ehrgeizig sind deren Ziele. Gates will einen Impfstoff gegen Aids finden und Malaria ausrotten. In Afrika soll eine landwirtschaftliche Revolution angestoßen werden, während in den USA alle Kinder Zugang zu guter Bildung bekommen sollen. Die Vision muss groß sein, dass sie funktioniert, wird Gates immer wieder zitiert.
Mit dem Geldausgeben darf sich die Stiftung nicht allzu viel Zeit lassen, denn Buffetts Geld hat ein Mascherl: Die jährlichen Zuwendungen müssen innerhalb von zwölf Monaten ausgegeben sein. Zudem verlangen die eigenen Statuten, dass das Vermögen bis 50 Jahre nach dem Tod des letzten Gründers zu verbrauchen ist. Demnach müssten ab heuer jährlich gut drei Mrd. Dollar ausgeteilt werden.
Einige Verwüstung in der Stiftungslandschaft hinterließ zuletzt der Skandal um den Broker Bernard Madoff, der in einem „Schneeballsystem“ Geld von neuen Anlegern benutzte, um die Profite von Stammkunden zu sichern. Die zuletzt noch auf eine Mrd. Dollar geschätzte Picower Foundation sowie die auf Verbesserungen im Justizsystem ausgerichtete JEHT Foundation gaben daraufhin ihre Auflösung bekannt. Die Stiftung des Nobelpreisträgers Elie Wiesel, die sich ebenfalls von Madoff betreuen ließ, dürfte 15 Mio. Dollar verloren haben. Hohe Einbußen werden auch bei der französischen Milliardärin und Wohltäterin Liliane Bettencourt vermutet.

Goldenes Herz für Design
Weniger turbulent, dafür umso verschwiegener geht es bei der von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ins Leben gerufenen Stichting Ingka zu. Die in den Niederlanden ansässige Stiftung besitzt die Ingka Holding, die wiederum einen Großteil der Ikea-Möbelhäuser kontrolliert. Weil das niederländische Recht keine besondere öffentliche Aufschlüsselung der Aktivitäten verlangt, ist abgesehen vom Zweck der Einrichtung, der als Architektur- und Designförderung beschrieben wird, kaum etwas bekannt. Über das Vermögen gibt es lediglich Schätzungen. Doch auch diese schwanken zwischen 15 und 36 Mrd. Dollar.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Machtvolle Medientristesse

Machtvolle MedientristesseAPA/Fohringer

Medien sollen der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, ein Thema von allen Seiten zu betrachten. Doch Abhängigkeiten und ein ekla-tanter Mangel an Qualität der heimischen Branche lassen kritische Geister erschauern.

Objektiver, unabhängiger und ausschließlich der Wahrheit verpflichteter Journalismus sollte in jeder funktionierenden Demokratie die vierte staatliche Gewalt sein. Er sollte für die breite und umfassende Meinungsbildung einer ebenso breiten Masse abseits von diversen Eliten sorgen. Qualitätsjournalismus und Qualitätsmedien haben nämlich im Prinzip nichts anderes als einen unbedingten Bildungs- und Informationsauftrag gegen-über ihren Konsumenten wahrzunehmen.
Ex-Washington Post-Politredakteur John Harris stellte einst fest, dass „die Macht der Medien darin liegt, dass sie mit gezielter Arbeit Leute benutzen, mobilisieren und manipulieren kann. Professioneller Journalismus sollte daher so gestaltet sein, dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, ein Thema von allen Seiten zu betrachten, überaus kritisch zu sein, die vorgelegten Tatsachen zu reflektieren und Informationen aller verfügbaren Medienkanäle zu hinterfragen. Stattdessen sehen wir heute abseits der Propaganda von Diktaturen auch in unseren Breiten schwere Defizite und massive Einflussnahme von außen, die den Qualitätsjournalismus mehr und mehr aus der breiten Wahrnehmung verdrängt und mundtot macht.“

Die vierte Gewalt
In der Tat wissen nicht nur Herren wie Robert Mugabe, Staatsoberhaupt von Simbabwe, oder der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sondern alle Politiker, Spin-Doktoren, PR-Firmen und Großkonzerne längst genau, wie leicht es ist, mittels selektierter Aktionen, partnerschaftlich gesinnter, wirtschaftlich abhängiger oder vielleicht sogar unmittelbar kontrollierter Medien das Volk in seiner Meinungsbildung und in seinem Informationszugang zu ihren Gunsten und Plänen zu beeinflussen. Ein wirklich völlig objektiver Journalismus als vierte Gewalt ist natürlich reines Wunschdenken. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten einer subtilen, selten auch ungewollten Einflussnahme. Zu massiv die fragwürdige Nähe mancher Medienvertreter zu handelnden Personen oder Institutionen und zu groß der wirtschaftliche Druck sowie diverse Einflüsse und redaktionelle Vorgaben. Auch die ungeteilte Objektivität des jeweiligen Journalisten selbst ist eigentlich kaum machbar, denn jeder Mensch nimmt eine Information durch die eigene Brille wahr und eine ungefilterte Wiedergabe frei von jeglichen persönlichen Einflüssen ist somit ziemlich unmöglich.
Der Zürcher Medienwissenschaftler W. A. Meier brachte es auf den Punkt: „Die unkritische Berichterstattung stirbt durch den Rückgang von fundierten Recherchen zugunsten ungefilterter Weitergabe von PR-Texten, Outsourcing, Content-Buys and Sales und damit einhergehender mangelnder Transparenz der Quellen. Fehlende Ressourcen in den Redaktionen beschleunigen diese Entwicklung.“ Nimmt man unter diesem Gesichtspunkt die heimische Medienlandschaft unter die Lupe, so ergibt sich auch hier ein ernüchterndes Bild.

Boulevard statt Qualität
Zwar sagen österreichische Journalisten im Rahmen von Studien wie dem Journalisten-report II, sie sähen sich meist nicht nur als „objektive Informationsvermittler“, sondern als „Systemkritiker“ und „Publikumsanwälte“. Doch gleichzeitig gaben etwa im Journalistenbarometer 2008 26,3 Prozent der Befragten zu, dass auf sie oder ihre Vorgesetzten in ihrer täglichen Bericht-erstattung von Seiten von Unternehmen oder Interessengruppen ein sehr starker bis starker Druck ausgeübt werde, damit sie diese der Öffentlichkeit so positiv wie möglich präsentieren.
Auch Zustände wie Text- oder Beitragsfreigaben von den handelnden Personen und Institutionen vor Drucklegung oder Sendung sind ein Schlag ins Gesicht jedes Mitarbeiters, der sich einen der Begriffe „Investigativ-, Informations- oder Interpretationsjournalismus“ auf die Fahnen geheftet hat. Dies passt eher zur Positionierung von Branchen- und Fachmedien, die nur als unkritische Hofberichterstatter ihrer Werbekunden existieren können, als zu Tageszeitungen, Magazinen und Sendern, die Begriffe wie etwa „unabhängig“, „frei“ oder „objektiv“ in ihrer Bezeichnung führen. Doch Letztere mutieren nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Nöten immer mehr zu willigen Sprachrohren von unzähligen PR-Firmen und Meinungsbildnern, um ihre Werbe- und Anzeigenkunden nicht zu vergrämen.

Österreichs Medienmangel
Bedenklich stimmt in- und ausländische Experten auch der eklatante Mangel an Qualitätsmedien und -vielfalt in 
Österreich. Anstelle von Print-Medien wie Neue Zürcher Zeitung, South China Morning Post, Financial Times oder TV-Sendeanstalten wie SVT (Schweden) verfügen wir trotz Liberalisierung und EU-forcierter Marktöffnung über eine gelebte ökonomische Medienkonzentration und einen ORF, der gleich einem Privatsender am Bildungs- und Informationsauftrag vorbei-agiert.
Es dominiert der Boulevard. Einige wenige Qualitätsblätter fristen ein Nischendasein. Während England, das Mutterland des Boulevards, potenziellen Lesern neben den „Red Tops“ (Sun, Mirror und dergleichen) wenigstens Qualitätszeitungen bietet, dominieren hierzulande Krone, Kurier und ein fast als Gratiszeitung zu titulierendes Tagblatt, das neben der Diktion von Groschenromanen, Rechtschreibfehlern und aus den Fingern gesaugten Pseudobeiträgen nichts zu bieten hat. Wenn Journalismus, statt gesellschaftliche Vorurteile zu befriedigen, die Kontroverse suchen und ertragen muss und jedes Land letztlich nur die Medien bekommt, die es verdient, dann überfällt kritische heimische Geister sicher ein Schauer.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Die Lieblingspflanze im Biolabor klonen

Die Lieblingspflanze im Biolabor klonenAEC/Rubra

Gerfried Stocker: „Im neuen Ars Electronica Center haben wir eine intensive, fast schon radikale Verschränkung von Kunst und Wissenschaft gemacht.“ Der künstlerische Leiter des gänzlich neu gestalteten Ars Electronica Centers in Linz will drängende ethische Fragen im Museum zur Diskussion stellen. Anhand biologischer Experimente.

Wie ein gläsernes, reichlich aus den Fugen geratenes Schiff ankert das neue Ars Electronica Center am linken Donauufer. Nachts funkt es aus 40.000 LED-Leuchten einen Farbenrausch ins schwarze Donauwasser. Das vom Wiener Büro Treusch Architecture umgebaute und erweiterte Museum ist eines der Highlights im Kulturhauptstadtjahr Linz09.
Die Metamorphose des Gebäudes ist nicht nur äußerlich. Zukunftsmuseum nannte es sich vorher und stellte digitale Kunst und Technologie aus. Nun ist die Zukunft da. Neben der Brutstätte für Roboter steht eine Brutstätte für Leben. Im Herzen des neuen Museums dominieren die Naturwissenschaften – weil die Life Sciences unser Denken, unser Leben so radikal verändern. Es gibt zwar auch noch ein Robo-Lab, doch daneben im Bio-Lab können die Besucher künftig Pflanzen klonen. Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Ars Electronica Centers, erklärt die Philosophie dahinter.

economy: Was ist für Sie das spannendste Kunstwerk im Haus? Dürfen Sie das sagen, oder müssen Sie neutral sein?
Gerfried Stocker: Ich habe schon Lieblinge: das große Auge von Julius Popp in der Eingangshalle und die Musikmaschine von Jeff Lieberman und Dan Paluska. Ich mag beide Arbeiten so gern, weil sie zwischen dem Digitalen und dem Körperlichen einen Brückenschlag machen. In den 1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre war es für uns das Wichtigste, das Digitale in die Welt zu bringen. Alles musste digital sein, dafür haben wir gekämpft. Mittlerweile ist das Digitale omnipräsent. Jetzt liegt die Herausforderung darin, eine Brücke zu schlagen, das Digitale mit dem realen Leben, der Körperlichkeit, der Sinnlichkeit zu verbinden.

Wie drückt sich das aus?
Es gibt eine Renaissance der handwerklichen Arbeit. Die Künstler programmieren nicht nur – was eh klar ist, dass man selber programmiert –, sondern löten die Platinen, entwerfen die Schaltungen, schließen die Servomotoren zusammen. Man will das ganze Ding von der Idee bis zur Programmierung, mechanischen Umsetzung und Ausstellungsinszenierung selber machen. Do-it-yourself ist der neue Hype. Jeder will mit dem Lötkolben arbeiten. Was ich ganz wichtig finde. Wir haben eine Phase hinter uns, die von vielen als arrogant wahrgenommen wurde: Wir sind die Herren, die Herrscher über die Pixel, Bits und Bytes – das Einzige, was zählt. Nun gibt es die Möglichkeit, über den Do-it-yourself-Gedanken Brücken zur kinetischen Kunst zu schlagen.

Gibt es Museen, die mit dem Haus hier vergleichbar sind?
Als Science-Museum ist Winterthur für mich das weltweit beste. Als Medienkunstmuseum ist Karlsruhe eine der wichtigsten Institutionen. Aber nichts ist mit unserem neuen Haus vergleichbar.

Ist es das beste?
Das meine ich gar nicht. Es ist einzigartig. Das Center, das wir 1996 eröffneten, gab es auch nirgendwo auf der Welt. Nun gibt es Medienkunstausstellungen in zahlreichen Häusern – in vielen haben wir als Berater mitgearbeitet. Im neuen Center haben wir eine intensive, fast schon radikale Verschränkung von Kunst und Wissenschaft gemacht. Im gleichen Ausstellungsraum stehen Geräte für wissenschaftliche Untersuchungen neben künstlerischen Arbeiten, daneben sind technische Anwendungen aus der Industrie. Mit dieser Gleichzeitigkeit wollen wir eine Atmosphäre erzeugen, in der spürbar wird, was sich in unserem Leben im Moment verändert.

Wie wollen Sie das vermitteln?
Wir laden die Besucher ein, die Geräte zu benutzen. Die Leute können ihre Lieblingspflanze von zu Hause mitnehmen und in unserem Biolabor klonen. Gleichzeitig kriege ich diese Besucher dazu, ethische Grundfragen zu diskutieren. Wir haben eine neue Qualität menschlichen Daseins geschaffen. Wir haben uns in die Lage gebracht, über Leben und Natur in einem solchen Ausmaß zu herrschen, dass wir den Schöpfungsakt künstlich nachvollziehen können. Bei einer Pflanze denkt sich keiner etwas dabei, aber es ist der gleiche Prozess. Die Besucher entscheiden darüber, welche Pflanze ihnen so wichtig ist, dass sie ihr einen Doppelgänger verschaffen.

Arbeiten auch Biologen mit?
Wir haben zwei Biologen im Team. Einer wird ab Februar das Biolabor in Betrieb nehmen und Kursprogramme aufbauen: Minikurse für Besucher und vierstündige Programme für Schulklassen.

Sie waren früher Medienkünstler. Arbeiten Sie noch künstlerisch?
Eines der wenigen Kunstprojekte, die ich in den vergangenen zehn Jahren gemacht habe, habe ich gemeinsam mit Reinhard Nestelbacher, einem der zwei Biologen, realisiert. Wir stellten ein Frauengesicht mit 4000 Petrischalen mit Kulturen von E. coli-Bakterien dar. Ein Teil der Kulturen wurde mit GFP, diesem grün fluoreszierenden Protein, gentechnisch manipuliert, der andere Teil war natürlich. Das Bild veränderte sich im Laufe der Zeit, weil sich durch UV-Licht die Bakterienkulturen vermehren.

Beim jährlichen Ars Electronica Festival sieht man mehr Japaner, Deutsche und Amerikaner als Österreicher, abgesehen von ein paar Linzern. Fahren Wiener nicht nach Linz?
Das ist ein Problem für sich. Die Strecke ist ja wirklich weit, die Zugverbindung so schwierig. Von Wien nach Linz fahren nur die Leute, die das wirklich interessiert. Was nachvollziehbar ist, schließlich gibt es in Wien ein reichhaltiges Kulturangebot. Das Festival ist primär ein internationaler Event. Wir haben mehr ausländische als inländische Besucher.

Siehe auch Test des Ars Electronica Centers auf Seite 30.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Schreibkampf zwischen Tag und Nacht

Schreibkampf zwischen Tag und NachtPhotos.com

Blogger sind Getriebene, schlecht bezahlt und ständig auf dem Sprung. Leser sind maßlos, kritisch und zum Groupietum bereit. Warum Blogs nicht loslassen, auch nach dem hundertmillionsten nicht.

Jorn Barger bloggte als einer der Ersten. Ende 1997 begann er auf seiner Website Robot Wisdom täglich Einträge vorzunehmen, in denen er auf Artikel aus Politik und Technologie verwies. Barger prägte den Begriff „Logging the Web“, das Web aufzeichnen. Später wurde „Blog“ daraus.
Unter Bloggern erzählt man sich, dass Barger in den Straßen von San Francisco anzutreffen war, obdachlos. Bei sich soll er ein Schild getragen haben, auf dem stand: „Ich erfand das Wort Blog und verdiente keinen Groschen damit.“

Einfluss und Bescheidenheit
Der US-Präsidentschaftswahlkampf demonstrierte einmal mehr den Einfluss von Bloggern. Der Politikblog Five Thirty Eight etwa fasste sämtliche Umfragen zusammen und entwickelte zusätzlich ein statistisches Modell, das den Ausgang der Wahl in manchen Gebieten bis ins Detail erriet.
Was einen interessanten Blog ausmacht, versuchte Andrew Sullivan, Blogger und Autor für das US-Politikmagazin The Atlantic, in einem Gespräch mit seinem Kollegen Marc Ambinder zusammenzufassen: „Ein guter Blog muss unbefangen sein. Man schreibt, ohne darüber nachzudenken, dass man schreibt.“
Dass er als Blogger weder Themenvorgaben noch einen korrigierend eingreifenden Chefredakteur hatte, sondern einfach nur den „Publizieren“-Knopf drücken musste, erschien Sullivan anfangs geradezu wie eine Befreiung. Die zunehmende Leserschaft seines Blogs The Daily Dish veränderte die Perspektive zwar, doch Grundlegendes blieb: „Ich glaube immer noch, dass ich für ein paar Leute schreibe. Man denkt nicht ans Publikum, wenn man auf der Bühne steht.“ Im Jänner 2008 allein zählte er bei seinem Blog 7,6 Mio. Pageviews. Der große Ansturm im Endspurt des Wahlkampfs stand da erst bevor.
Der US-Journalist John Ridley bloggt unter anderem für die linksliberale Online-Zeitung The Huffington Post und die Website des Radiosenders National Public Radio (NPR). NPR habe hohe Standards, sagt er, Fakten müssten peinlich genau überprüft werden. Bei der Huffington Post hingegen würde er ermuntert, zu schreiben, was er gerade denkt.
Die Kurzlebigkeit der Nachrichten bedeutet nicht, keine Verantwortung für das Geschriebene zu haben. Insbesondere bei bekannten Bloggern werden Fehler nicht vergessen. Sullivan erinnert sich an seine Fehleinschätzung im Hinblick auf den Militäreinsatz der USA im Irak. Seine anfängliche Pro-Linie erklärte er später unter anderem mit der Angst, die nach dem 11. September 2001 herrschte. Die harsche Kritik, die ihm von Kriegsgegnern entgegenschlug, machte ihn, nicht zuletzt aufgrund seiner riesigen Leserschaft, bescheiden, wie er sagt.

Schlaflose Nächte
Die Technologie ermöglicht es Bloggern, ihre Büros heute nahezu überall zu öffnen. Und weil das Internet nicht schläft, ist Nachschub zu jeder Tages- und Nachtzeit erwünscht.
Ende 2007 starb der Technikblogger Marc Orchant an einem Herzinfarkt. Einige Monate darauf erlag Russell Shaw, auch Blogger im Technologiebereich, ebenfalls einer Herz-erkrankung. Angesichts von weltweit mehr als 100 Mio. Blogs lässt sich daraus freilich kein Trend ablesen. Für Szenekenner scheint dennoch festzustehen, dass dem Stresspegel, dem vor allem pro Artikel bezahlte Blogger ausgesetzt sind, viele nur aufgrund ihrer Jugend standhalten.
Als Sullivan im Jahr 2000 begann, waren ständig aktualisierte private Websites dünn gesät. Heute schafft er es kaum, sich eine freie Stunde zu nehmen. Er beschreibt eine immanente Getriebenheit, angestachelt von der maßlos scheinenden Bereitschaft der Leser, laufend Neues aufzusaugen. Pro Tag gehen an die tausend E-Mails von Lesern bei ihm ein. Dennoch: „Es ist überaus schmeichelhaft und in gewisser Weise narkotisierend“, sagt Sullivan.

Nicht das große Geld
Als Ana Marie Cox, Gründerin des Politiktratschblogs Wonkette erfuhr, dass sie einen Presseplatz im Wahlkampftross von John McCain ergattert hatte, war sie gerade arbeitslos. Um die Möglichkeit nicht verfallen zu lassen, hautnah über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten zu berichten, startete sie eine Spendenkampagne, die ihr 6000 Dollar einbrachte, berichtet Rex Sorgatz vom Blog Fimoculous.com. „Ich bin sicher, dass wir mehr Spendenkampagnen von Bloggern erleben werden. Ich bin eher überrascht, dass es nicht schon mehr gibt“, so Sorgatz bei einer Diskussion im Radiosender NPR. Das Problem sei dabei die Kontinuität. Die Leute würden ein wenig spenden, allerdings auch recht bald wieder damit aufhören.
Laut Sorgatz würde „nur eine Handvoll“ Leute mit Blogging ähnlich viel Geld verdienen wie mit einem gut bezahlten Vollzeitjob. Hunderttausende bekämen mittels Werbung kleine Summen herein, diese seien allerdings eher ein Zubrot.
Internet und Wirtschaftskrise setzen den Zeitungen weltweit zu. In den USA hatte dies in den letzten Monaten eine Entlassungswelle von Redakteuren zur Folge. Eine ganze Reihe darunter hat als Blogger angeheuert oder versucht sich an einem eigenen Blog – mit deutlich mehr Arbeitsaufwand und finanziellen Einbußen. Autor Ridley rät insgesamt zu Realismus: Nicht jeder könne die nächste Huffington Post sein.
Inmitten einer Internet-Wirtschaft, die weiterhin für Klicks bezahlt, ist Masse oft der Schlüssel zu Erfolg und damit mehr Geld. Seriöser Journalismus ist dabei nicht die Regel. Laut Profiblogger Sullivan verlieren daher die Print-Me-dien auch nicht ihre Bedeutung. Tiefgehende Recherchen würden einfach ein anderes Ergebnis liefern. „Wenn Blogs alles sind, was es gibt, dann sind wir in Schwierigkeiten.“

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

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