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26. Juli 2024

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Blog oder stirb

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Bürgerjournalismus mischt traditionellen Journalismus auf. Mit Blogs und Postings werden Bürger Kommentatoren, mit Videos auf Youtube machen sie eine Art Fernsehen. Für mehr Qualität bürgt das allerdings nicht.

Illegal eingereist. Der Mutter gehört ja sowieso das Sorgerecht entzogen. Denn sie ist keine Mutter.“ Das meint Mookpauli in einem Posting auf DerStandard.at zur neuesten Entwicklung im Asylverfahren der Familie Zogaj. Mookpauli ist ein – willkürlich ausgewählter – Poster, der wie viele andere seine Ansichten deponiert.
Sehr aktiv ist er nicht, er dürfte nur dann posten, wenn er sich giftet. Das ist bei den Zo-gajs der Fall und bei den von der Kärntner Saualm geflohenen Asylwerbern. „Da wird alles in kauf genommen auch das die asylanten plündern morden den staat nur ausnutzen, was machen wir mit all denen wenn wir nächstes jahr so hört man 20.000 arbeitslose mehr haben“, postet Mookpauli auf der Website der Kronen Zeitung.

Gläsern im Netz
Der Mensch hinter Mookpauli hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, und er nimmt sich das Recht – anonym. Doch Mookpauli bleibt in den Weiten des Internets nicht anonym. Er stellte ein Video seines Weihnachtsfests auf Youtube, er hat seine Hochzeitsfotos auf einer anderen Website. Mit einer simplen Google-Suche kann man entdecken, dass Mookpauli vor Kurzem eine junge Thailänderin ehelichte.
„Das Private ist politisch“ war ein Slogan der Frauenbewegung in den frühen 1970er Jahren. Es war ein Kampf-slogan, um Gesetze zu ändern und frauenfeindliche, erniedrigende Zustände im Privatbereich öffentlich zu machen. Im französischen Nachrichtenmagazin Le Nouvel Observateur bekannten prominente Frauen wie die Schriftstellerin Simone de Beauvoir, dass sie abgetrieben hatten, und forderten die Legalisierung der Abtreibung. Die Journalistin Alice Schwarzer wiederholte die Aktion mit deutschen Frauen im Stern.

Willige Nutzer
Das Private ist öffentlich. Das ist kein Kampfslogan einer politischen Gruppe. Das hat die rasante technologische Entwicklung seit der Einführung des World Wide Web ab Mitte der 1990er Jahre ermöglicht und wird von zig Mio. Menschen willig aufgenommen. Nun gibt es Postings und Blogs zu allen möglichen Themen, Video- und Fotoaufbewahrungsdienste wie Youtube und Flickr, soziale Netzwerke wie Myspace, Facebook und Xing. Ständig kommen neue Dienste dazu. Die Kontaktmöglichkeiten vervielfachen sich, die Kontrollmöglichkeiten ebenso.
Für die Medien bedeuten die neuen technischen Möglichkeiten eine Revolution, die einige in ihrer Existenz bedroht. Viele von ihnen sind in finanzielle Nöte geraten, und dies nicht nur wegen der sich gerade verschärfenden Wirtschaftskrise. Das Geschäftsmodell von Medien ist in Gefahr, und mit ihm der Journalismus selber. Am meisten gefährdet scheint derzeit der beste Journalismus: die gründliche Recherche, die unbestechliche Objektivität – soweit sie überhaupt existieren.
Das war nicht immer so klar. Die Möglichkeit für einen normalen Zeitungsleser, schnell einen Kommentar zu posten, führt zu einem verstärkten Wahrgenommenwerden. Statt die Mühsal des Leserbriefschreibens und Brief-zum-Postkasten-Tragens auf sich zu nehmen, geben Leser ihre Meinungen per Mausklick ab. Das könnte, zumindest ansatzweise, zu einer neuen Art von Demokratie führen, zu einer partizipatorischen statt repräsentativen Demokratie.

Enthemmte Kommentatoren
Die Realität hat von Anfang an ein anderes Bild gezeigt. Die Leser-Kommentatoren geben sich enthemmt. Selbst Postings in liberalen Zeitungen wie dem Standard sind von einer bemerkenswerten Primitivität und Bösartigkeit. Mit einem Nickname ausgestattet, speien die Leser anonym ihren Hass, ihre Wut auf alles und jeden. Weshalb Falter-Chefredakteur Armin Thurnher kurz vor Weihnachten 2008 in einem Kommentar darlegte, warum er sich weigere, das Internet als Medium wirklich ernst zu nehmen. Freiheit, so Thurnher, bedeute, dass sich Personen offen mit ihrer Identität zu ihren Grundsätzen und Äußerungen bekennen.
Sich bekennen zu dürfen, war eine der ersten Forderungen der sich emanzipierenden Bürger“, schreibt Thurnher. „Jetzt verstehen die Myriaden von Postern ihre Freiheit so, dass sie sich nicht aus der Deckung zu wagen brauchen und hinter Pseudonymen verstecken können. Feiger geht’s nicht, mit Freiheit hat das nichts zu tun.“
Weshalb Thurnher die Idee eines Vermummungsverbots im Netz lanciert. In Österreich spielen Blogs eine viel kleinere Rolle als im englischsprachigen Raum. Reinhard Christl, Journalismus-Professor an der FH Wien, beobachtet aber, dass die Studierenden eher den Blog von Presse-Chefredakteur Michael Fleischhacker lesen als seine gedruckten Kommentare. Eine Generationenfrage, findet Christl.

Digitales Mittelmaß
In den USA ist der Wettkampf zwischen der Blogosphäre und den Mainstream-Medien offen ausgebrochen. Blogger sehen sich gerne als Bürgerjournalisten und implizieren damit, dass sie etwas Besseres seien als traditionelle Journalisten. Das wiederum erzürnt die professionellen Journalisten – die überdies häufig selber einen Blog für ihre Zeitung schreiben oder als Blogger arbeiten.
Blogs vermehren sich exponentiell. 2010 werde es weltweit mehr als 500 Mio. Blogs geben, prognostiziert Andrew Keen, Silicon-Valley-Unternehmer und Autor des Buchs The Cult of the Amateur. Was ihn nicht optimistisch stimmt: „Statt Meisterwerke werden diese Millionen (Leute) einen endlosen digitalen Wald von Mittelmäßigkeit schaffen.“
Wie sehr Blogs in zeitverschwendendes Geschwätz ausarten können, zeigt sich an seiner neuesten modischen Form: den 140-Zeichen-Miniblogs des aufstrebenden Dienstleisters Twitter.
Für den TV-Kritiker Howard Rosenberg und den ehemaligen CNN-Journalisten Charles Feldman ist die Diskussion um Blogger ohnehin eine Nebenfront. Der Sündenfall, nämlich Oberflächlichkeiten und Halbwahrheiten, die als Nachrichten verbreitet werden, sei längst vorher passiert: mit der Gründung von 24-Stunden-Nachrichtensendern, die 24 Stunden pro Tag, 60 Minuten pro Stunde, mit Nachrichten gefüllt werden müssen. So viele Nachrichten gebe es nicht, schreiben Rosenberg und Feldman in ihrem kürzlich erschienenen Buch No Time to Think. The Menace of Media Speed and the 24-hour News Cycle. Deshalb werde ein Großteil der Zeit mit Spekulationen und mit als große News aufgeblasenen Mini-Neuigkeiten gefüllt. Die Blogger sind für Rosenberg und Feldman nur eine weitere Kategorie oberflächlicher Reporter, die Nachrichten und Meinungen in die Welt hinausblasen, ohne zu prüfen, ob sie wahr, halb wahr oder gar nicht wahr sind.
Und dennoch, und trotz aller Vorsicht bei solchen Aussagen, die in einem trockenen, warmen Büro in Österreich getroffen werden: Blogs sind eine Chance für mehr Pressefreiheit und Demokratie in Ländern ohne Pressefreiheit und Demokratie.
In China boomt die Blogging-Szene – rund 60 Mio. Blogger soll es geben. Was noch keine Medienfreiheit bedeutet. Ständig sperrt die Regierung Blog-Websites, die ihr missfallen.Doch ebenso kontinuierlich sprießen neue. „Blogger üben Druck auf die Regierung aus, die dann Ventile öffnet und beispielsweise ein Gesetz ändert“, beobachtet die österreichische Medienkünstlerin Sylvia Eckermann, die derzeit in Peking lebt. „Solche Blockaden werden mit Proxy-Tools umgangen. Es ist ein ,Katz und Maus‘-Spiel mit der Regierung.“
Anfang Jänner spielte die chinesische Regierung wieder Katze. Sie blockierte Bullog.cn, laut Associated Press eine „kantige Blog-Hosting-Site“, auf der eine Reihe sozialer und politischer Aktivisten bloggte. „Bullog versammelt eine Reihe glänzender Blogger, die China mit ihren Meinungen tatsächlich beeinflussen“, postet wiederum Bob Chen auf Globalvoicesonline.org und verbreitet dort die optimistische Sichtweise des Bullog.
cn-Betreibers Luo Yonghao: „Es ist sicher, dass Bullog wieder aufgemacht wird“, sagt Luo. „Kein Grund zur Sorge. Wenn es wirklich nicht geht, richte ich halt eine internationale Bullog-Site ein und eine andere in China, die ich vielleicht DunkeyBlog nenne. Flippt doch nicht aus!“
Populär geworden sind Blogs nicht als politische Aktionsmittel, sondern als Online-Tagebücher, auf denen Menschen ihre Gedanken und Erlebnisse für ihre Freunde zugänglich machten. „Ich hab meinen Blog begonnen, als ich für ein Jahr nach Rotterdam ging“, erzählt Rainer S. Gar so viel Persönliches steht nicht auf seinem Blog – ein Trip nach Edinburgh und der Tod der Katze seiner Freundin. Doch demnächst wird er seinen Blog vom Netz nehmen. „Weil mir eine Ex-Freundin pro Woche 20 ungebetene Kommentare schickt und weil ich nun unterrichte und nicht will, dass meine Schüler Einblick in mein Privatleben haben.“
Noch ist der Trend zur Offenbarung im Internet ungebrochen. Begonnen hat es vor zehn Jahren, als Chatrooms boomten, in denen wildfremde Menschen offener zueinander waren als zu den Menschen, die ihnen physisch am nächsten waren. Mit einigen schlimmen Auswüchsen: Selbstmordwillige sollen sich dort Mut für den Suizid geholt haben.
Eine neuere Entwicklung sind Seiten wie Flickr, auf die man Fotos lädt, die früher in Fotoalben ein unbeachtetes Leben fristeten: die Fotos vom Besuch bei Tante Erna, von Kindergeburtstagen und Waldspaziergängen im Nebel. Die Videos stellt man auf Youtube, wo alles zu finden ist, was gefilmt werden kann, ob öd oder weltbewegend, Saufparty oder Angelobung in Washington. Und für sexuelle Begegnungen, die zunehmend vor Kamera stattfinden, versteckt oder offen, gibt es Youporn.
Doch es gibt auch einen Gegentrend. Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Ars Electronica Centers und nach Eigendefinition ein „totaler Informationsjunkie“, googelte seine Nachbarn, nachdem er in eine neue Wohnung zog. Und beschimpfte sich daraufhin selber. Er würde ja auch nicht bei ihnen durchs Fenster spähen. Die Geburtstagsfotos seines kleinen Sohnes stellte er daraufhin nicht auf Flickr.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Zurück zum Urknall

Zurück zum Urknall

Die Moderne wird zur Antike: Studis entdecken Schwarzes Brett.

John Lennons Klassiker Imagine wäre um eine (Kata-)Strophe reicher: Man stelle sich vor, die reizüberflutete 24/7-Highspeed-Gesellschaft ist dem Urknall nahe. Just in dem Moment, in dem kein UMTS, Internet-Breitband, HD-Satelliten-TV, Wireless LAN oder Mobiltelefonempfang existiert und das einzige Speichermedium das eigene Gehirn ist. Die Banken-, Finanz-, ja Weltwirtschaftskrise wäre im Vergleich dazu miniaturisiert. Von Hardcore-Verweigerern oder Online-Veganern einmal abgesehen.
Jeder fünfte Mensch ist heute online, gehört – warum auch immer – irgendeiner Community an: bloggt, chattet und wird plötzlich, Wikipedianern sei Dank, „allwissend“. Und doch ist es erschreckend zu lesen: Sieht aus wie MTV, ist aber Leben. Die grundlegende Empfehlung der Usenet-Netiquette lautet daher: „Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!“
Völlig zu Unrecht und vorschnell hätte ich die heutigen Studis mit der Behauptung abqualifiziert, lediglich Kunstbeflissene unter Ihnen würden mit einem „Schwarzen Brett“ allenfalls Kasimir Sewerinowitsch Malewitschs „Geniestreich“ assoziieren. Dann las ich erfreulicherweise, dass lobenswerte Spezies unter ihnen an der Zeppelin-Universität am Bodensee im Rahmen des „Development Day“ die Einrichtung eines, ich wage es kaum zu sagen, Schwarzen Bretts forderten.

Internet zu unpersönlich
Nicht etwa im Intranet oder in sonstiger digitaler Form, wie dies an der Universität ansonsten zur Verbreitung von Informationen üblich ist, sondern in realer, materieller Form. Sie wünschten sich ein Schwarzes Brett an einem festen Ort, zu dem sie hingehen können, um Informationen einzuholen oder zu verbreiten. Der vermeintlich einfachere Weg über das Internet sei ihnen zu umständlich, zu unpersönlich, zu technisiert.
Gerne erinnere ich mich an den amerikanischen Medien-experten Percy H. Tannenbaum, der mir Mitte der 1980er während einer Gastprofessur, befragt nach dem Stellenwert der Zeitung, Marshall McLuhans „Das Medium ist die Botschaft“ im Ohr, augenzwinkernd goutierte: „Solange auf dem Wochenmarkt Fische in Zeitungspapier eingeschlagen werden, so lange wird es Zeitungen geben.“ Apropos: Das Essen der Astronauten aus der Tube ist genauso delikat, wie Thomas Mann im Internet zu lesen.
Ich hätte diesen Artikel wohl besser postmodern als Hörbuch abliefern sollen. Ältere Semester sollen ja angeblich dabei bügeln – und die benevolenten, juvenilen, digitalen Bohemiens, das weiß ich ganz genau, treiben Yoga dazu: auf dem Boden liegend die Hände am Körper nach vorne gestreckt, den Po in die Höhe befördert, die Beine am Kopf nach hinten angewinkelt. Aber Obacht, die Knie nicht an die Ohren pressen. Wäre schade.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Legehennen der Infogesellschaft

Legehennen der Infogesellschaft

Wenn andere in Zeitung und TV ihre Sünden beichten oder dem Tod gerade noch von der Schaufel springen, ei, dann sind wir froh, dass wir leben: Nachrichten als tägliche Droge, um sich lebendig zu fühlen.

Diese kommen, weil es nie genug Nachschub geben kann, zusätzlich zu den herkömmlichen Quellen auch aus einer zweistelligen Millionenzahl regelmäßig befüllter Blogs. Ein Knopfdruck nur, und schon publiziere ich, denkt sich da jede Sekunde einer. Ob die Informationsflut nun wirklich nützlich ist, lässt sich zunächst nur schwer bestimmen. Die journalistischen Legehennen, die für die Gaffer dieser Welt tippen, bis ihr Kopf im Halbschlaf auf die Tastatur knallt, werden dennoch immer mehr. Weil es einen dankbaren Markt dafür gibt. Denn wehe, wenn der Finger nervös am iPhone zuckt, weil der RSS-Reader leer gelesen ist. Im Unerheblichen unterzugehen erscheint heute einfacher denn je. Immerhin hat auch bereits Klein-Klara, rosa-schrumpelig und gerade in die Welt geschlüpft, ihr Blog. Trotz der Gefahr, von der Masse erschlagen im Burn-out zu enden, lohnt es sich immer wieder, in die Welt der Blogs abzutauchen, um neue zu probieren und abzulegen, was nicht mehr passt. Denn einige machen all den Zeitaufwand wett. In die Köpfe dieser Autoren kriechen zu können, ist nichts weniger als ein Privileg – und ungleich zufriedenstellender als Herz-Schmerz-Eilmeldungen.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Gier: Schlecht für die Gesundheit

Gier: Schlecht für die Gesundheit

Hat die Welt so was schon gesehen: Die Selbstmordwelle geht unter den Milliardären um.

Zu den prominenteren Opfern zählen bis jetzt der französische Milliardär und Investor Thierry de la Villehuchet, der sich mit Schlaftabletten seine Finanzsorgen nahm, und der deutsche Pharma-Industrielle Adolf Merckle, der sich vor einen Zug warf. Weiters, wird an der Wall Street erzählt, haben sich im Zuge der Finanzkrise bisher elf hochkarätige Spekulanten nach massiven Verlusten aus dieser unschönen Geldwelt verabschiedet. Der neue Begriff „Ponzicide“ – Selbstmorde von Opfern des sogenannten Ponzi-Schemas, dem Anlage--Pyramidensystem, das zuletzt vom Milliardenbetrüger Bernard Madoff betrieben wurde – hat das Zeug, zum Unwort des Jahres gewählt zu werden. Hier erleben wir die radi-kalsten Auswüchse einer Korrektur im Finanzsystem und die drastische Wiederlegung der „Greed is good“-Philosophie der Wall Street der 1980er Jahre. Vielleicht sollte es ähnlich den Zigarettenpackungen in Zukunft den verpflichtenden Hinweis für Fondsanleger und Aktienzocker geben: „Gier kann ihre Gesundheit gefährden.“ Jene Kleinanleger, die jetzt „nur“ auf ihren gecrunchten Aktien und wertlosen Fondspapieren 
sitzen und auf ein Ende der Krise warten, können froh sein, dass sie nur mit ihrem Anlagenotstand und nicht ihrem 
gesamten Weltbild hadern müssen.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Das Gespenst Jobverlust geht um

Das Gespenst Jobverlust geht umAPA

Mit deutlich gestiegenen Arbeitslosenzahlen im Dezember wirft das Jahr 2009 dunkle Schatten voraus.

Das hässliche Antlitz der Wirtschaftskrise zeigt sich auch in Österreich erwartungsgemäß in einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenrate. So ergibt ein Blick auf die Statistik, dass die Zahl der Jobsuchenden per Dezember 2008 im Monatsvergleich gegenüber November um 8,2 Prozent gestiegen ist und nun österreichweit bei 7,4 Prozent liegt. „Die Zahlen sind nicht gut“, sagt Herbert Buchinger, Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS), und sein Hinweis, dass die Arbeitslosenrate im Jahr 2005 noch höher war, tröstet wenig.
Denn was die Beschäftigungssituation in Österreich unter Druck setzt, sind die Befürchtungen, was noch kommen wird. Die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise finden immer mit einer gewissen Verzögerung zu uns, und das Job-Chopping ist weltweit gerade erst so richtig im Gange. Wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer richtig analysiert: Die Zahlen des AMS seien „Vorboten für die Entwicklung am Arbeitsmarkt für die kommenden Monate“.

Auto-Cluster unter Druck
Im Moment spürt besonders die Autozulieferindustrie den Rotstift der internationalen Nachfrageflaute. Darunter leidet neben Wien mit seiner General-Motors-Fabrik vor allem die Steiermark, die den historischen Fehler gemacht hat, einen Großteil der Beschäftigung vom „Automobil-Cluster“ tragen zu lassen, und sich damit dem Zyklus dieser Industrie gefährlich stark aussetzte. „Wir werden uns warm anziehen müssen“, so AMS-Steiermark-Chef Karl-Heinz Snobe. So verzeichnete die Steiermark mit 13 Prozent die absolut höchste Steigerung an Arbeitslosen im Dezember 2008, gefolgt von Beschäftigungsproblemländern wie Kärnten und Burgenland. Die Erwartungen für industrie- und exportorientierte Regionen in Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg sind auch nicht rosig. Österreichs leistungsfähiges Sozialsystem wird auf eine harte Probe gestellt. Wenn die Sozialausgaben für Arbeitslose explodieren, wird der Spielraum für Steuerreformen und Konjunkturpakete naturgemäß geringer – ein übler Kreislauf.
Wie persönlich auf die Krise reagieren? Wer einen Job im Dienstleistungssektor hat, ist noch fein raus. In diesem Bereich, etwa im Tourismus, der Umweltbranche oder im Forschungs-und Entwicklungssektor, scheint die Trübsalstimmung noch gedämpft. Schwieriger dran sind Leih-arbeiter, ältere und junge Jobsuchende. Wer derzeit einen guten Job hat, sollte vorläufig daran festhalten, statt Karrierepoker zu spielen. Auch ist im Moment keine gute Zeit für Gehaltsverhandlungen. Ebenso ist es keine schlechte Idee, sich für den Krisenfall etwas auf die Seite zu legen statt den Kredit für die lang erträumte Eigentumswohnung zu nehmen. Und letztendlich sollte man seine Ansprüche im Kündigungsfall wie Abfertigung neu oder Dauer des Arbeitslosengeldes überprüfen und seine Krisenstrategie darauf aufbauen.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Symbiose aus Bytes und Papier

Symbiose aus Bytes und Papier

Der Versandhändler Quelle wird 50 und lockt die gleichaltrige Kundengeneration ins Web.

Das Versandhaus Quelle will die Generation 50 plus vermehrt ins Internet holen. Laut einer Market-Studie mit 1200 befragten Personen bestellt rund ein Fünftel der über 50-jährigen in Öster-reich mindestens einmal im Jahr im Internet. Im E-Commerce-Bereich „sind die ‚Best-Ager‘ der Wachstumsmotor für die nächsten fünf Jahre“, erklärt Wolfgang Binder, Vorstandsvorsitzender von Quelle Österreich. Beim Onlineshopping-Portal setzt das Versandhaus nun auf Social Commerce.
Im abgelaufenen Geschäftsjahr (per 30. September 2008) sei die E-Commerce-Plattform um mehr als 20 Prozent gewachsen, so Binder. Über ein Drittel der Bestellungen würde mittlerweile per Internet getätigt, und 34 Prozent der Neukunden konnten über das Online-Portal gewonnen werden. 2009 soll der Online-Bereich nochmals 15 bis 20 Prozent zulegen.
Mit 40 bis 50 Jahren ist die Kernzielgruppe des Versandhauses älter als der durchschnittliche Quelle-Online-Kunde. Die Hälfte der Internet-Besteller machen die 30- bis 49-Jährigen aus –„noch“. Bei den Älteren gebe es großen Nachholbedarf, schließlich sei deren Kaufkraft enorm, meint Binder. Mit Neuerungen auf der Website will Quelle bei der Gruppe Best-Ager mit Usability und Personalisierung punkten.
Quelle-Kunden können nun – wie auf vielen anderen Onlineshopping-Portalen schon lange – gekaufte Produkte bewerten sowie ihren Kontostand und die Bestellübersicht online abfragen. Die rund 400.000 Produkte werden nach Themenbereichen geordnet, eine Wunschliste soll das Schenken erleichtern. Längerfristig soll dann auch eine Internet-Community aufgebaut werden.

Internet als Telefonersatz
Mit den neuen Features will Quelle laut Eigenangaben nicht mit Branchengrößen wie Amazon konkurrieren. Mit der Spezialisierung auf „Living“ und Textilien im unteren bis mittleren Preissegment spreche man eine andere Zielgruppe an als das amerikanische Online-Kaufhaus, das hauptsächlich Bücher und „Silberscheiben“ verkauft. Ein weiterer Unterschied sei die Nähe zum Kunden und die After-Sales-Betreuung.
Der E-Commerce-Bereich macht laut Binder mehr als 30 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Dieser sei im abgelaufenen Geschäftsjahr um einen einstelligen Prozentsatz gewachsen, so Binder. Im Rumpfgeschäftsjahr 2007 (Jänner bis September) hatte das Versandhaus seine Verkaufserlöse um 9,7 Prozent gesteigert.
Innerhalb des Unternehmens kannibalisieren die Online-Kunden des Hauses hauptsächlich die Telefonbesteller. „Denn im Internet können unsere Kunden auch die Lieferzeiten se-hen. Und die Lieferzeiten waren der Hauptgrund, warum bisher telefonisch bestellt wurde“, erklärt Binder. Dass der Katalog selbst darunter leide, sei noch nicht abzusehen. Der neue 1500 Seiten umfassende, zwei Kilo schwere Wälzer zum 50-Jahre-Jubiläum mit rund 70.000 Artikeln wird heuer an 1,2 Mio. Haushalte bundesweit verschickt. Und das Katalogblättern wird sicher noch länger zu einer Lieblingsbeschäftigung in Österreichs Haushalten zählen.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Die neue Traurigkeit des Kleinanlegers

Die neue Traurigkeit des KleinanlegersBilderbox.com

Die Panik an den Finanzmärkten hat ins-besondere Kleinanleger massiv verschreckt. Für halbwegs sichere Anlagen müssen bei den Renditen massive Abschläge in Kauf genommen werden. Was also tun?

Der Credit Crunch hat das Vertrauen der Anleger in die Finanzwelt erschüttert, wobei deren Proponenten allerdings auch alles dazu getan haben, um diesem Vertrauensverfall Vorschuss zu leisten. Den Höhepunkt erreichte das Investment-Raubrittertum in Form der kunstvoll geschnürten Pakete, mit denen aus Subprime-Krediten sogenannte Asset Backed Securities gemacht wurden und mittels kunstvoller Finanzmathematik aus augenscheinlich immer wertloser werdenden Schuldpaketen trotzdem noch ein höheres Rating für Investoren, die diese Traumpapiere kauften, abgeleitet wurde.
Offenbar sandte die Analyse-Software der verwickelten Banken überhaupt keine Warnsignale mehr, dass man sich auf diese Weise exponentiell von den zugrunde liegenden Fundamentalwerten, in diesem Fall Immobilienwerten und Kreditwürdigkeit, entfernte. Ein weiterer Beweis dafür, in welchen Wolkenkuckucksheimen die Finanzer kurz vor Ausbruch der Krise eigentlich lebten.
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz ist mit seinem Urteil ziemlich unbarmherzig. „Die Banken haben total versagt“, so der Ökonom. Statt ihr Geschäft ordentlich zu machen, hätten sie miserable Risikoanalysen zur Grundlage gemacht und diese immer mehr verfeinert, statt auf Warnsignale zu achten. Die Banken, so Stiglitz, hätten die Finanzkrise selbst heraufbeschworen. Sie hätten geglaubt, kreativ zu sein, dabei hätten sie „total versagt“.
Die Schuldigen sind also ausgemacht, doch das bleibt ein schwacher Trost. Von Kleinaktionären bis zu milliardenschweren Privatiers, alle wurden sie vom Wertsturz auf den internationalen Finanzmärkten kalt erwischt, und die Reaktionen reichen von Desillusionierung bis hin zu klassischen Milliardärsselbstmorden wie 1929. Anlegerdepots sind nachhaltig rot gefärbt, und was früher sicher und innovativ schien, steht beinhart auf dem Prüfstand.
Was heißt das nun für die individuelle Altersvorsorge, für persönliche Finanzen und überhaupt für das Sparverhalten des Einzelnen? Vehikel wie fondsgebundene Lebensversicherungen, bis vor Kurzem eine attraktive Alternative zur staatlichen Pension, sind in ihren Grundfesten erschüttert.
Kreationen der Regierung Schüssel wie die neuen Mitarbeitervorsorgekassen erweisen sich vor dem aktuellen Finanzmarktszenario als beschämender Rohrkrepierer. Die Pensionskassen, ohnehin schon unter schwerem Liquiditätsdruck, haben mit massiven Abschreibungen zu kämpfen, und die Sparzinsen sind flach wie schon seit Jahren nicht.

Zuflucht zum Sparbuch
Was also tun mit dem, was vom sauer Ersparten übrig geblieben ist? Ist das Vertrauen erschüttert, ist guter Rat teuer. Als erste Reaktion hat natürlich eine Zuflucht zum Sparbuch eingesetzt, eine verständliche Reaktion, wenn auch nur ein Weg, weitere Verluste zu vermeiden statt Geld zu vermehren. Die Kluft zwischen den Sparzinsen unter Berücksichtigung der unbarmherzigen Kapitalertragssteuer (KESt) zur Inflationsrate macht das Sparbuch zwar zum einigermaßen sicheren Hafen, aber sicher nicht zum Profitcenter.
Das gilt auch für beliebte Mittelfrist-Anlageformen wie gebundene Sparbücher. Heute ist man weit entfernt von großzügigen garantierten Zinsen bis zu fünf Prozent, 2009 dürfte sich – vorbehaltlich weiterer Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank – der Zins für Jahresbindungen auf maximal drei Prozent einpendeln.
Banker nehmen dies zum Anlass, um den Sparern wieder vorsichtig Lust auf die Börse zu machen. So liegen die Dividendenrenditen bestimmter Aktien auf der Wiener Börse durchaus um ein paar Prozentpunkte über dem Sparbuchzins, dennoch ist es für diesen schmalen Vorteil nicht wert, deshalb wieder in großem Stil in Aktien zu investieren und Risiken einzugehen.
Auf dem Fondsmarkt sieht es der Marktstimmung gemäß ebenfalls ziemlich flau aus. Die gesamte Investment-Branche spürt die Krise, und früher recht beliebte, hochspekulative Fondskonstruktionen in die aberwitzigsten Marktkompilationen mit Ausgabeaufschlägen von bis zu fünf Prozent und rotzfrechen Management-Gebühren sind Ladenhüter geworden. Nicht einmal Garantieprodukte können derzeit die verängstigten Anleger hinter dem Ofen hervorlocken. Denn eine Überschlagrechnung zeigt, dass die Kostenratio der meisten von ihnen den vermeintlichen Gewinn wieder ausradiert und die bei den meisten Garantiefonds vorhandene Deckelung die mögliche Teilnahme an einer Aktien-erholung – wann immer diese stattfindet – klar beschränkt. Die interne Garantiefonds-Beurteilung von Finanzexperten spricht dabei Bände: Eigentlich sind es Verlegenheitsprodukte, die Sicherheit konstruieren, die man auch einfacher haben könnte. Die Garantie-Performance könnte man genauso gut mit Tages- und Festgeldanlagen erzielen, und wer an den Aufschwung glaubt, soll gleich direkt in Aktienkörbe gehen, sagt ein Bankenanalyst, der nicht genannt werden will: „Eigentlich sind Garantiefonds überflüssige Produkte.“
Bleiben Geldmarktfonds und Staatsanleihen mit Triple A-Rating. Während man heute allerdings nicht einmal mehr dem Geldmarkt trauen kann, sind Staatsanleihen, für kleine Sparer etwa die Bundesschätze, eine Alternative – auch wenn der aktuelle Zinssatz (Stand: Mitte Jänner) von 2,75 Prozent für zwölf Monate Bindung auch nicht gerade Begeisterungsstürme auslöst.

Sichere Immobilienanleihen
Eine andere Möglichkeit ist die Investition in Wohnbauanleihen – bis vier Prozent Verzinsung, von der KESt freigestellt. Die Kombination der Absicherung durch Staat beziehungsweise Länder und die Knüpfung an solide Immobilienprojekte macht diese Vehikel, zumindest teilweise, zu einer etwas attraktiveren Variante mit derzeit günstigenfalls um die drei Prozent Rendite bei entsprechender Laufzeit.
Wer mit all dem trotzdem nicht glücklich ist, kann seine Marktpanik durch das Bunkern des Ersparten unter der Matratze beruhigen, oder er oder sie versucht es mit mehr oder weniger wettbewerbsfähigen Online-Sparangeboten im Vertrauen auf die verbesserte Einlagensicherung der Republik.
Wer aber seinen Wagemut nicht verloren hat, kann auch einen Blick in die eine oder andere Steueroase werfen. So haben Liquiditätsengpässe etwa in Dubai dazu geführt, dass Banken trotz des darniederliegenden Interbanken-Zinsniveaus Sparangebote zwischen fünf und sechs Prozent, steuerfrei, entwickelt haben. Derzeit wirft ein Online-Sparkonto (für an den Dollar gekoppelte Dirham) bei der HSBC in Dubai satte 5,75 Prozent pro Jahr ab, eine Jahresbindung bei der Citibank für Beträge ab umgerechnet 100.000 Euro bringt sechs Prozent. Für den, der sich traut.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Jetzt sind die Gründer wieder gefragt

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Lange nichts mehr gehört von der „Ich-AG“? Im Zeitalter rapide steigender Arbeitslosigkeit durch die Finanzkrise wird das Konzept des individuellen Unternehmensgründers mit staatlichem Zuschuss und geringsten 
bürokratischen Hürden wieder aktuell. Doch ist das die ausreichende Antwort auf die stotternde Wirtschaft?

Auch wenn die Wirtschaftskrise sonst keine erfreulichen Auswirkungen hat, eines kommt in ihrem Fahrwasser wie das Amen im Gebet: die Deregulierung für Gründungsaktivitäten von Unternehmen. Noch in jedem Wirtschaftsabschwung war das die Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme, eine Art Reaktion des Staates, die Problemlösung an kreative und innovative Personen mit Risiko-, aber auch Chancenbewusstsein auszulagern. So etwa geschah es in Schweden in der tiefen Depression und hohen Arbeitslosigkeit der 1990er Jahre, als umfassende Deregulierungen und Steuererleichterungen das Umfeld für Unternehmensgründungen deutlich vereinfachten.
Ein ähnliches Konzept verfolgte Deutschland im Jahr 2003 unter Einfluss einer drückend hohen Arbeitslosenrate mit der sogenannten Ich-AG. Das etwas verträumte neoliberale Konzept ging davon aus, dass man Opfer von Betriebsschließungen und andere (qualifizierte) Beschäftigungssuchende vom unproduktiven Tropf der staatlichen Stütze nehmen und sie zur Gründung von Einzelunternehmen, den „Keimzellen der Wirtschaft“, animieren sollte.

Das Ergebnis der Ich-AG-Phase, die bis 2006 lief, war unterschiedlich. Eine erhebliche Zahl der Neugründer scheiterte nach kurzer Zeit, andere wiederum konnten Boden unter den Füßen fassen und in ein Beschäftigungsverhältnis wechseln. An neuen, gar – wie erhofft – innovativen Unternehmen blieben aber nicht viele übrig. Der an die Ich-Unternehmer ausbezahlte „Existenzgründungszuschuss“ hat sich für den Staat als eigentlich angedachte Maßnahme zur Verringerung der Sozialkosten für Arbeitslose nicht rentiert. Und zu guter Letzt wurde die Ich-AG auch noch zum „Unwort des Jahres 2002“ gewählt, weil sie „Individuen und menschliche Schicksale auf sprachliches Börsenniveau reduziert“, wie es der Sprecher der „Unwort des Jahres“-Jury, der Frankfurter Philologieprofessor Horst Schlosser, be-gründete.

Existenzgründung
So weit, Unternehmensgründungen von Beschäftigungssuchenden dezidiert zu unterstützen, ist man in Österreich im Krisenjahr 2009 noch nicht. Ein paar schwammige Formulierungen im „Konjunkturpaket II“ von Bundeskanzler Werner Faymann gibt es zwar: Man werde „im Rahmen der Konjunkturbelebung und Beschäftigungsförderung (...) gerüstet sein für den Fall, dass es notwendig ist, neue, treffsichere Maßnahmen zu setzen“, heißt es da etwas unverbindlich. Schließlich werde „eine Arbeitsgruppe, an der neben dem Bundes- und Vizekanzler auch zwei Landeshauptleute und der Rechnungshofpräsident teilnehmen, noch im Jänner die Arbeit aufnehmen“. Faymann verwies angesichts der Krise dann noch auf „wichtige psychologische Effekte wie Zuversicht und Optimismus“.
Diese wird man 2009 auch brauchen. Denn die Massenfreisetzungen von Mitarbeitern, zuletzt vor allem in der heimischen Autozulieferindustrie, werden sich in Österreich mittelfristig noch ordentlich aufs Staatssäckel schlagen. Die Frage ist dabei, wie man den Betroffenen, darunter viele Leiharbeiter, zu einer Unternehmensgründung verhelfen soll, wie es der BZÖ-Klubobmann Josef Bucher lauthals von Faymann fordert: „Die Etablierung von Ein-Mann-Unternehmen ist eine Chance, Arbeitsplätze zu halten, neue zu schaffen und damit die Binnenkonjunktur zu stärken.“
Das Problem bei den vielen freigesetzten oder noch freizusetzenden Leiharbeitern ist, dass gerade sie es gewohnt sind, dass ihnen professionelle Arbeitsplatzvermittler wie Man-power oder Trenkwalder die Verantwortung für eigeninitiatives Stellensuchen abnehmen und sie mit Konzepten wie einer eigenen Unternehmensgründung wenig anfangen können. Just bei ungelernten Arbeitskräften und bei jenen, die keine guten Deutschkenntnisse haben, sei die Situation „haarig“, wie Manpower-Sprecherin Andrea Lehky erklärt.
Das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat diese Erkenntnis in einer Analyse feiner ausformuliert: Es fehle in Österreich zwar nicht an „unternehmerischer Dynamik“, wenn man die Zahl der Unternehmensgründungen oder die Selbstständigkeitsquoten misst, doch das „zentrale Defizit“ sei die zu geringe Besetzung mit innovativen und wachstumsstarken Unternehmen: „Sie sind äußerst wichtig für die Wirtschaftsdynamik, weil sie den größten Teil zur Arbeitsplatzschaffung beitragen“, sagt Wifo-Experte Werner 
Hölzl.
Daher ist auch das Konzept der Ich-AG im aktuellen Zusammenhang überholt und wurde – basierend auf einer EU-Studie zum europäischen Arbeitsmarkt – durch den Begriff „Gazelle“ ersetzt. Eine Gazelle ist in diesem Zusammenhang eben ein solches „wachstumsstarkes“ Unternehmen – ganz im Gegensatz zu den Ich-AG-Gründungen in Deutschland, aus denen viele Anbieter einfacher Dienstleistungen wie Reinigungsservices oder Reparaturdienste hervorgegangen sind, für die kein wirklich nachhaltiger Bedarf bestand.
Ein Gazellenunternehmen zeichne sich dadurch aus, dass es „innovative und wissensbasierte“ Dienstleistungen entwickelt und anbietet, zitiert Hölzl aus der EU-Studie. Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass sie in der Hochtechnologie zu Hause sein müssen. Auch in „traditionellen“ Branchen treffe man Gazellen an.
Auf jeden Fall aber sollte die Politik dafür sorgen, dass die Insolvenzgesetzgebung verändert werde, um das soziale Stigma des Scheiterns zu reduzieren, und gleichzeitig stärkere Kreditorenrechte einräumen, um Finanzierungslücken für schnell wachsende Unternehmen zu vermeiden, so der Expertenschluss.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Vorschusslorbeeren mit Ablaufdatum

Vorschusslorbeeren mit AblaufdatumPhotos.com

Twitter hat mehrere Millionen Benutzer, verdient aber trotzdem kein Geld. Facebook soll einen zweistelligen 
Milliardenbetrag in Dollar wert sein. Einfluss hat im Internet, wer den Zeitgeschmack trifft. Ohne handfestes Geschäftsmodell ist der Zauber zeitlich recht begrenzt. Denn Werbung allein genügt fürs Reichwerden nicht mehr.

Keine drei Jahre nach seiner Gründung denkt Twitter jetzt ans Geldverdienen. In der 30 Mitarbeiter starken Mannschaft sei zwar keiner, der sich mit dem „Business“ auskennt, gestand der frisch gebackene Chef Evan Williams im Dezember freimütig ein. Das 500 Mio. Dollar schwere Übernahmeangebot des Web 2.0-Überfliegers Facebook lehnte man aber trotzdem ab. Weil „noch zu viel zu tun“ sei, wie eben herauszufinden, woher die Einnahmen kommen sollen.
Sechs Mio. registrierte Benutzer publizieren über Twitter Nachrichten, die maximal 140 Zeichen lang sind. Mikro-Blogging nennt sich das. Nach anfänglicher Ratlosigkeit – wofür brauche ich das? – erweist sich der Dienst als ähnlich anziehend wie SMS. Andere Benutzer abonnieren die Textschnipsel, die mehr oder minder persönlich oder relevant sind, jedenfalls aber im Handumdrehen auf die Bildschirme der Leser zugestellt werden. Die Blogo-sphäre ist damit noch reaktionsschneller geworden: Was in der Welt passiert, wird auch auf Twitter thematisiert.

Kein Geschäftsmodell
Heerscharen privater Miniblogger haben den Dienst genauso entdeckt wie Unternehmen und gemeinnützige Organisationen. Die israelische Armee hielt kürzlich eine Pressekonferenz über den Gazakonflikt via Twitter ab, Greenpeace twittert live von Protestkundgebungen aus der ganzen Welt, Fluglinien twittern und der Greißler am Eck auch.
Dieser neue Kanal zu einer potenziell riesigen Leserschaft könnte den Kaliforniern vielleicht bald Geld bringen. Während das Start-up Einnahmen über Werbung, das tägliche Brot der meisten Gratisdienste im Internet, ablehnt, sei es denkbar, so Williams, von Unternehmen, die Twitter als Vertriebskanal nutzen, Geld zu verlangen. Wie, verrät man noch nicht.
Gefahr und Chance scheinen sich für Twitter noch die Waage zu halten. Einerseits ist die Technologie, die hinter dem Dienst steckt, abgesehen von vielen Servern und dicker Bandbreite, recht läppisch. Sollte also jemand eine ähnliche Idee besser verpacken und es schaffen, sie der Internet-Gemeinde schmackhaft zu machen, könnte Gefahr drohen. Andererseits hat sich der Name zu einem Synonym für Mikro-Blogging entwickelt. Zahlreiche Kopien gibt es zwar, doch keine kommt so recht vom Fleck.

Wieder nichts gelernt?
Vieles an der Twitter-Story sieht nach einer Neuauflage der Kopflosigkeit in der ersten Dotcom-Phase aus, und zwar auf beiden Seiten: Start-ups wollen Kapital für Websites aufstellen, die zwar Hunderttausende Benutzer, aber kein greifbares Geschäftsmodell haben. Risikokapitalgeber, geblendet von der Popularität der Dienste, lassen Geld fließen und hinterfragen nicht allzu viel.
Doch die Wirtschaftskrise verändert die Lage. Daher zimmern Start-ups derzeit eifriger als sonst an ihren Business-Plänen. Denn wer will gerade jetzt auf eine Finanzierungsrunde mit unangenehmen Fragen und Auflagen angewiesen sein?
Ob Twitter mit seiner Ablehnung der halben Mrd. Dollar zu weit ging, dürfte sich bis Mitte des Jahres zeigen. Vergleiche mit dem Schicksal Jerry Yangs scheinen jedoch nicht allzu weit hergeholt. Der Yahoo-Gründer hatte im letzten Jahr so lange mit Microsoft hinsichtlich einer Übernahme gepokert, bis die Redmonder die Nase voll hatten, die Yahoo-Aktien in den Keller purzelten und Yang seinen Hut nehmen musste.
Die Situation im personalisierten Internet unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Ende der 1990er-Jahre. Benutzer stellen heute eine persönliche Bindung zu Internet-Diensten her. Facebook zum Beispiel ist weit mehr als ein digitales Stammbuch. Es gilt als Ort, um Leute zu treffen und einer neuen Art der Sozialisierung nachzugehen. Und weil die Benutzer ihre Webseiten lieb haben, schafft das Einfluss.

Hochrechnungen
Facebook-Vorstandsmitglied Peter Thiel gab Ende 2006 zu verstehen, dass seine Leute bei internen Kalkulationen von einem Unternehmenswert von acht Mrd. Dollar ausgehen. Im Jahr darauf kaufte sich Microsoft mit einem kleinen Anteil bei der Networking-Plattform ein, woraus sich mittels Hochrechnung ein Gesamtunternehmenswert von 15 Mrd. Dollar ergab. Die Branche staunte nicht schlecht, eine zweite Dotcom-Blase schien angebrochen. Geradezu wie ein Schnäppchen schien da plötzlich Richard Murdochs Übernahme des bunt blinkenden Schülerportals My-space im Jahr 2005 um 580 Mio. Dollar.
Wie nahezu überall, wenn es im Internet etwas gratis gibt, werden bei Myspace und Facebook die von Benutzern angegebenen Daten verwendet, um Werbeprofile zu erstellen. Ein freiberuflicher Hochzeitsplaner etwa kann seine Dienste speziell auf den Facebook-Seiten junger Frauen in der Region Chicago im Alter zwischen 25 und 30 Jahren anzeigen lassen. Der Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage.
Zusätzlich erweisen sich kleine Programme, sogenannte Widgets, als einträgliches Geschäft. Allerdings nicht für Facebook, sondern für die Software-Unternehmen, die Geburtstagskalender und virtuelle Pralinenschachteln anbieten. Weil Facebook die Begeisterung seiner Benutzer für die Miniprogramme zu spät erkannte und beim Profit weitgehend leer ausgeht, sollen jetzt Programmierer überzeugt werden, sich der Weiterentwicklung der Plattform anzunehmen. Schließlich begann das Videoportal Youtube einst auch als Widget auf Myspace.

Zweites Standbein
Neu ist es nicht, dass Beliebtheit und Größe im Internet den Ausschlag geben. Was als trendig galt, erhielt immer schon regen Zulauf. Ist erst einmal eine kritische Größe erreicht, hat sich eine Idee oft schon uneinholbar abgesetzt.
Doch Werbung ist in Rezessionszeiten ein schwieriges Geschäft. So wird erwartet, dass weder Microsoft seinen Werbe-Deal mit Facebook noch Google seine Kooperation mit Myspace im gleichen Ausmaß verlängern wird. Dass einfach nur Werbung nicht mehr genügt, könnte sich am Beispiel der Widget-Schmiede Slide zeigen. Diese stellte im letzten Jahr noch Rekordsummen bei Risikokapitalgebern auf. Doch Experten prophezeien Slides Nur-Werbung-Konzept eine düstere Zukunft.
Dazugelernt haben die Geldgeber der New Economy seit dem letzten Abschwung schließlich doch. Großzügige Vorschusslorbeeren gibt es für aussichtsreiche Unternehmen zwar weiterhin, nicht jedoch ohne Ablaufdatum.

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

Die beste und die billigste Gesundheit

Die beste und die billigste GesundheitBilderbox.com

Teure Medikamente gegen Generika, Komplementär- gegen Schulmedizin – immer weniger Glaubens-krieger streiten über den Wert dieser Heilmethoden. Einst für bereits tot erklärte alternative Heilpraktiken boomen wie nie zuvor, und diverse Ersatzpräparate punkten längst bei Ärzten und Patienten. Oder doch nicht?

Plakate mit dem schlichten Sujet und dem griffigen Slogan „Sie verdienen die beste und nicht die billigste Medizin“ stachen auf den Litfaßsäulen im letzten Sommer heraus. „Ein simpler Werbegag. Generika gehören bei Ärzten und Patienten bereits zum Alltag“, wiegelt die Pharmazeutin Birgit W. beim Lokalaugenschein in der St. Johannes Apotheke im Wiener Stadtteil Rodaun ab. „Der Absatz in diesem Segment steigt bereits seit Jahren deutlich und regelmäßig an, und zahlreiche Ärzte verordnen schon längst das sogenannte ‚billigere‘ Medikament.“
Auch hinsichtlich Komplementärmedizin und alternativer Heilmethoden sei der Trend eindeutig. „Wir bemerken 
einen deutlichen Anstieg bei der Nachfrage nach Behandlungsalternativen wie etwa der TCM (Traditionelle Chinesische Medizin, Anm. d. Red.), auf die wir selbst verstärkt setzen. Bei anderen Apotheken, die noch nicht auf dieses durchaus starke Zugpferd aufgesprungen sind, steigt die Nachfrage durch die Kunden ebenso. Auch bei Heilmethoden integrativer Medizin wie etwa jener der Homöopathie steigt die Nachfrage leicht an.“
Diese Aussagen aus dem gefühlten heimischen Fachalltag zeitigen sogleich einigen Widerspruch, wenn man sie zur Diskussion stellt. So unter anderem vom Österreichischen Generikaverband (OEGV), wo die Bedeutung dieser Präparate auf dem heimischen Kassenmarkt hinterfragt wird und dabei Vergleiche mit anderen EU-Staaten gezogen werden.

Auf den Arzt kommt es an
„Generika spielen in Österreich leider noch immer eine ziemlich untergeordnete, ja stiefmütterliche Rolle“, stellt OEGV-Sprecherin Waltraud Janisch-Lang fest. „Nur etwa 25 Prozent der Verordnungen beziehungsweise 14,5 Prozent des Umsatzes – diese Zahlen von 2007 werden auch 2008 bei der kommenden Statistik wohl nur um ein halbes Prozent im Plusbereich variieren – entfallen auf Generika, während Dänemark, Deutschland oder Holland unerreichbar bleiben. Diese Werte sind auch vom Hauptverband in Stein gemeißelt und widersprechen klar derartigen Aussagen. Wenn eine Apotheke beim Verkauf über ihre Tara subjektiv ein Ansteigen oder einen hohen Prozentanteil an Generika ausweist, dann kann das bei der nächsten Niederlassung bereits völlig anders sein. Es kommt immer darauf an, was die Ärzte eines Sprengels verschreiben.“
Dies deckt sich mit einem Lokalaugenschein in einer weiteren Wiener Apotheke, wo die Magistra lächelnd feststellt, dass Patienten sogar bereit wären zuzuzahlen, wenn ihr Arzt nicht sowieso ein Markenmedikament verschreiben würde.
Der obsolet gewähnte Diskurs über das Match Generika gegen „innovative Medikamente“ ist heute also noch längst nicht tot, sondern scheint fast ungebrochen, wenn man sich beim Forum der forschenden Pharmazeutischen Industrie (FOPI) umhört. Dort wird zwar eingeräumt, dass Generika beim Sparen helfen, man sieht jedoch in einem starken Anstieg des Umsteigens eine große Gefahr.
„Österreich liegt bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel europaweit mit 137 Euro unter dem Durchschnitt. Medikamentöse Therapien machen nur 13,2 Prozent der Gesamtgesundheitsausgaben aus, und Einsparungen im Bereich der Medikamente zielen nur auf einen geringen Teil der Gesamtkosten ab“, so Präsident Christoph Sauermann. „Generika mögen zwar eine Maßnahme im Rahmen einer effizienten Kostensenkung sein, doch sie können Originalmedikamente nie vollständig ersetzen. Würden nur noch Generika verschrieben, könnte es sich kein pharmazeutisches Unternehmen mehr leisten, in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren. Es käme zu einem Stillstand in Forschung und Entwicklung. Eines wird in Diskussionen zu wenig erwähnt: Nicht nur Generika, auch neue, innovative Medikamente helfen Kosten zu sparen. Wirkt ein neues Medikament effizienter als ein älteres Produkt, so führt dies zu einer schnelleren Gesundung beziehungsweise Stabilisierung des Patienten. Operationen, Krankenhausaufenthalte und Krankenstände können verkürzt werden.“

Komplementärmedizin-Boom
Wenn man nun ob dieser Argumente nicht sicher ist, ob man überhaupt diese oder jene Pille schlucken soll, dann eröffnen sich längst alternative Wege zur Gesundheit. Trotz der vielen Nackenschläge wie etwa jenen gegen die Homöopathie, die in Fachpublikationen wie Lancet noch vor Jahren als „Placebotherapie“ disqualifiziert wurde, hat sich die Komplementärmedizin auch in Österreich endlich etabliert, und das Ansehen steigt weiter. Im Gegensatz zu Deutschland, wo man einen Mangel an Universitäten und Etatprobleme für alternative Medizinlehrgänge beklagt, ist man hierzulande laut heimischer Ärztekammer weit besser aufgestellt.
„Wir bewegen uns zunehmend Hand in Hand in Richtung Ganzheitsmedizin und gemeinsam statt gegeneinander“, erläutert der Allgemeinmediziner und Rektor der TCM-Privatuniversität Andreas Bayer.
„Komplementär bedeutet nichts anderes als ‚ergänzend‘, und es gibt in jeder Phase einer Erkrankung eine passende Behandlung. Die Schulmedizin ist dabei ersetzend, substanz- und ereignisorientiert. Es muss dem Patienten erst sehr schlecht gehen, ehe man eingreifen kann. Techniken wie TCM, Homöopathie oder Ayurveda hingegen sind funktionell, stimulierend und ergänzend. Hier wird präventiv dafür gesorgt, dass Leiden gar nicht erst auftreten.Langsam begreifen nun auch Technokraten, dass beide Ansätze richtig und erstrebenswert sind. Es gibt keine richtige oder falsche, sondern nur eine einzige Medizin – nämlich jene, die Patienten persönlich hilft.“

Economy Ausgabe 69-02-2009, 15.01.2009

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