„Was kann man da schon viel bewegen?“
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Die Gesundheitsreform ist im Herbst gescheitert. Der neue Gesundheitsminister Alois Stöger hat sich zudem mit der Pharma-Industrie angelegt. Pharmig-Präsident Hubert Dreßler gibt im economy-Interview Kontra.
Mit gesundheitspolitischen Themen kann man keine Wahl gewinnen, sehr wohl aber eine verlieren, ist eine alte politische Weisheit. Wohl mit ein Grund, warum bei der letzten Wahl das Thema Gesundheitsreform ausgespart wurde. Der neue Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ), ehemals Obmann der nicht defizitären oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, soll nun Gesundheitswesen und marode Kassen reformieren.
Zur Entschuldung der Kassen (derzeitiges Minus von rund 1,2 Mrd. Euro) wurde noch im Dezember ein Vertrag unterzeichnet, in dem sich die Pharma-Industrie freiwillig verpflichtet, für die Jahre 2008 bis 2010 einen Beitrag von 180 Mio. Euro bereitzustellen. In einem Interview Ende 2008 bezeichnet Stöger diesen Betrag als „zu wenig“ mit einem Verweis auf zu hohe Medikamentenkosten: „Steigerungen bei den Medikamenten, die über dem Bruttoinlandsprodukt liegen, sind nicht akzeptabel.“ Der Verband der Pharma-Industrie, die Pharmig, war darüber erzürnt.
Ebenfalls Ärger bei der Pharmig löste Stögers Aussage aus, die Pharma-Industrie würde zu viel Geld für Werbung und zu wenig für Forschung ausgeben.
economy: Herr Dreßler, wie stehen Sie denn aktuell zum neuen Gesundheitsminister Alois Stöger?
Hubert Dreßler: Der Mann kommt aus dem Krankenkassenbereich. Dort werden Medikamente als einziger Bereich angesehen, in dem Kosten eingespart werden können. Der Vertrag mit den 180 Mio. Euro ist ausverhandelt und wird von der Pharma-Industrie sicher nicht erhöht – auch wenn der Minister das gerne hätte. Tatsächlich machen die Medikamente nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten aus. Minister Stöger kann in Wahrheit wenig bewegen. Sein Ministerium hat das geringste Budget von allen Ministerien. Davon sind 97 Prozent festgelegt. Er hat einen Spielraum von rund 40 Mio. Euro – wenn er so viel bekommt wie die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Was kann man da schon viel bewegen?
Trotzdem soll sich Stöger jetzt mit der Gesundheitsreform befassen. Gibt es im Jahr 2009 Reformchancen?
Die Gesundheitsreform ist nicht erste Priorität der Regierung. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ist alles wieder in den Hintergrund gerückt. Mein Vorschlag lautet: Weg mit dem Föderalismus. Alles, was das Gesundheitssystem betrifft, auch die Spitäler, soll in einer Hand sein, etwa im Ministerium oder einer eigenen Behörde. Nicht so gerne in der Hand des Hauptverbandes. Realistisch betrachtet wird es heuer aufgrund der Rezession leider wenig Veränderungen geben. Spätestens bis zum Finanzausgleich (des Bundes mit den Bundesländern, Anm. d. Red.) 2012 muss ein vernünftiges Modell her.
Wie soll man denn eine Gesundheitsreform Ihrer Meinung nach angehen?
Ich glaube, dazu sollte eine Experten-Elefantenrunde einberufen werden. Zuerst muss aber die Politik sagen, was sie will, das ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Danach können die Experten eine Struktur entwerfen, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Ein großer Brocken ist wohl die Sanierung der „kranken“ Kassen. Das hat die Regierung ja auch bereits festgestellt.
Das muss heuer noch dringend begonnen werden. Ich sage es ganz pragmatisch: Ich denke, wir brauchen keine 23 Kassen. Ein Anachronismus ist jedenfalls die Tatsache, dass ein Hauptverband, der eigentlich der Dachverband sein sollte, kein Durchgriffsrecht auf die einzelnen Krankenkassen hat. Entweder es gibt lauter Einzelspieler, oder ich habe ein einheitliches System. Gleiche Beiträge, aber unterschiedliche Leistungen von Bundesland zu Bundesland, das kann nicht sein.
Was sind denn die Ziele der Pharmig in diesem Szenario?
Wir werden nach wie vor darauf drängen, dass Innovationen von den Krankenkassen stärker angenommen werden – und breiter, wo es nötig ist. Weiters, wie wir es schaffen, automatisch bei Verhandlungen mit dabei zu sein. Vor fünf Jahren hätte kein Journalist bei uns in Sachen Pharma-Industrie angerufen. Das hat sich geändert. Auch den Sozialpartnern wäre es früher nicht eingefallen, uns zu fragen, wie wir zu einer Gesetzesänderung stehen. Wir sind heute sicher geeinter in der Branche. Aber wir hätten zum Beispiel gerne einen Sitz in der Bundesgesundheitskommission.
Themenwechsel: Die Rezeptgebühr ist wieder angehoben worden. Konsumenten klagen über teure Medikamente.
Man muss zwischen Medikamenten unterscheiden, wo die Kassen zahlen und nur die Rezeptgebühr eingehoben wird, und jenen, die die Kasse nicht bezahlt. Und die sind durch die Mehrwertsteuersenkung günstiger geworden. Die Preise sind im europäischen Vergleich relativ nieder. Außerdem ist schon fast ein Viertel der Bevölkerung von Rezeptgebühren befreit, was dazu geführt hat, dass es dort im Vergleich zu Leuten, die Rezeptgebühren zahlen,
einen fünffach höheren Medikamentenverbrauch gibt.
Stichwort Medikamentenverbrauch: Was sagen Sie zum Verkauf via Internet?
Ich halte nichts davon, weil ich denke, dass es wichtig ist, dass es eine Letztkontrolle gibt. Viele Leute betreiben zudem heute „Arzt-Hopping“. Und die unterschiedlichen Ärzte wissen nicht, was bereits alles verschrieben worden ist. Wir hätten das Problem nur dann im Griff, wenn via E-Card-System vermerkt wird, wo und welche Medikamente der Patient gekauft hat. Allerdings gibt es da Widerstände, vor allem von Seiten der Datenschützer. Österreich liegt im Medikamentenverbrauch übrigens weit unter dem EU-Schnitt, derzeit geben wir knapp unter 200 Euro pro Kopf im Jahr aus. Zum Vergleich: Frank-reich hat einen Pro-Kopf-Verbrauch von über 300 Euro pro Jahr. Allerdings steigt der Verbrauch hierzulande, da die Bevölkerung immer älter wird. Zurzeit sind das drei bis vier Prozent pro Jahr.
Bei Medikamenten gibt es zunehmend mehr Generika.
Ja, laut Statistik derzeit in etwa ein Viertel an Wert und 40 Prozent an Menge.
Wird es immer mehr Generika (nachgebaute, wirkstoff-idente Präparate, Anm. d. Red.)
geben? Oder anders gesagt: Fehlt der Pharma-Branche die Innovationskraft?
Der Generika-Markt wird meiner Meinung nach noch zwei bis drei Jahre gut gehen. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass die Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes bereits ausreichend mit Medikamenten, Generika, versorgt sind. Was nachkommt, sind nur Nischenprodukte für kleine Patientengruppen. Das lohnt sich für Generika nicht. Momentan ist es schwierig, neue Medikamente auf den Markt zu bringen. Der Markt ist praktisch gesättigt. Die Pharma-Branche ist im Umbruch. Es gibt drei Auswege: erstens die Produktion von Generika. Zweitens den Umbau und die Ausrichtung auf Nischenproduktion. Hier passiert auch einiges an Forschung, und es wird investiert. Dieser Weg ist der chancenreichste. Drittens bleiben noch Umstrukturierung und Personalabbau.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft als Präsident der Pharmig?
Ich bleibe noch bis April 2010 Pharmig-Präsident. Sechs Jahre sind genug. Außerdem ist zurzeit ein Generationswechsel in der Branche im Gange. Es gibt viele neue junge Geschäftsführer. Einer aus diesem Kreise wird das Rennen machen.