Welt unter Spannung
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Den Menschheitsträumen der Gegenwart von der Abschaffung von Krankheit, Elend und Hunger, der Besiedelung des Weltraums und der Welt als Dorf mittels Internet stehen auch apokalyptische Visionen gegenüber.
Noch nie in seiner Geschichte konnte der Mensch so nachdrücklich in die sogenannte Schöpfung eingreifen wie heute. Die revolutionären Möglichkeiten vor allem der Gentechnik, der Atomforschung, der Quantenmechanik, der Pharmakologie, der Bio- sowie der Nanotechnologie erlauben, das ewige Prinzip von Ursache und Wirkung besser zu verstehen und auch immer stärker zu beeinflussen.
Der britische Physiker Stephen Hawking fasst die zukünftigen Alternativen, aber auch Bedrohungen der Menschheitsentwicklung in seinen – manchmal etwas zu populärwissenschaftlichen – Visionen wie folgt zusammen: Der Lebensraum für den Menschen wird im Laufe des nächsten Jahrtausends zu klein werden, wodurch er gezwungen sein werde, ins All auszuweichen. Über die technischen Mittel, andere Planeten zu bevölkern, werde die Menschheit in Zukunft verfügen, da sowohl die Raumfahrt als auch die Biotechnologie so weit sein werden, den Menschen lange Reisen durch das All zu erlauben. Die größte Bedrohung seien auch in Zukunft nicht etwa atomare Kriege, sondern Krankheit und Seuchen, meint Hawking, hervorgerufen vor allem durch die enormen Menschenmassen auf der Erde.
Grundsätzlich gibt die Statistik Hawking recht, wenn es um die drohende Überbevölkerung der Erde und daraus resultierende Probleme geht. Laut Statistiken des World Population-Prospect-Projekts der UNO wird die Einwohnerzahl der Erde in den kommenden 40 Jahren nahezu exponentiell zunehmen – von derzeit 6,5 auf fast zehn Milliarden im Jahr 2050. Zurzeit nimmt die Weltbevölkerung alle 14 Jahre um eine Milliarde zu, während sie zwischen den Jahren 1800 und 1900 nur von einer auf zwei Milliarden anstieg.
Das Wachstum rührt fast ausschließlich aus den Entwicklungs- und Schwellenländern her, während die Bevölkerung in den Industrieländern stagniert oder schrumpft. Die UNO begründet dies mit dem steigenden Wohlstand aufstrebender Schwellenstaaten, allen voran China und Indien, mit relativ verbesserter Gesundheitsversorgung, vor allem aber auch mit dem Phänomen einer „Verjüngung“ der Gesellschaft (1,3 Milliarden der Weltbevölkerung sind unter 19 Jahre alt), was den Prozentsatz der Personen im zeugungsfähigen Alter weiter vergrößert und biologisch-statistisch gesehen zu einem weiteren Bevölkerungsanstieg führen muss.
Grenzen der Möglichkeiten
Die gewaltige mittelfristige Explosion der Erdbevölkerung wird besonders aufgrund des Umstands, dass diese ernährt, gesund erhalten und mobil sein will, die Grenzen der Möglichkeiten bald sprengen. Allein die Klimaproblematik stellt die Wissenschaft vor eine enorme Herausforderung: Solange noch fossile Energieträger verheizt werden – und das dürfte absehbar noch 50 Jahre lang der Fall sein – wird sich die Wissenschaft Methoden einfallen lassen müssen, um CO2 zu speichern, der Atmosphäre zu entziehen und irgendwo einzulagern.
Als Endlagerstätten für CO2 kommen etwa leer gepumpte Öllagerstätten oder die Tiefsee in Frage. Doch der positive Effekt auf das Klima könnte nur von kurzer Dauer sein: Experten rechnen damit, dass CO2 aus unterirdischen Lagerstätten über kurz der lang wieder entweicht und so das Problem nur vorübergehend gelöst ist. Bei einer Endlagerung im Meer könnte dort wiederum der ökologische Kreislauf massiv durcheinanderkommen, mit weiteren negativen Folgen für die Erde.
Daher ist also eine der dringlichsten Fragen der Zukunft die Bereitstellung umweltfreundlicherer oder gar umweltneu-traler Energie: Solarenergie, Biomasse, Kernfusion haben neben Vorteilen auch Nachteile, die bei Solarenergie (und Windenergie) in den höheren Kosten und der in Summe nicht unpro-blematischen ökologischen Bilanz besteht. Ebenso bei der Bio-masse: Wie schnell der Traum vom Ökobenzin ausgeträumt war, hat man bemerkt, womit klar hinterfragt werden muss, ob eine Substitution fossiler Brennstoffe durch Biomasse tatsächlich nicht ebenfalls problematische Umwelteingriffe verursacht, besonders aus dem Spannungsverhältnis zwischen Energiebedarf und Ernährung.
Die Kernfusion brächte letztlich die möglicherweise kostengünstige Variante nahezu unbeschränkter Energieversorgung mit sich, muss aber wie die Atomkraft mit dem enormen Risiko radioaktiver Störfälle erkauft werden, über deren Wirkung im Gegensatz zum „herkömmlichen“ Atomunfall noch keine gültigen Erkenntnisse vorliegen. Außerdem fällt auch hier radioaktiver Müll an.
Ein großes Thema der Zukunft wird natürlich auch der Kampf gegen Krankheiten sein, und dies vor allem auf Basis der Gentechnologie. So scheint es, dass die Forschung über kurz oder lang doch Durchbrüche in der Abwehr zum Beispiel von Diabetes oder HIV erzielen dürfte.
Gleichzeitig wird es wohl unausweichlich dazu kommen, dass die Nahrungsversorgung der Menschheit mithilfe der Genmanipulation verbessert werden kann. Dies wird vor dem Hintergrund der Bevölkerungsexplosion auch kaum vermeidbar sein. Befürworter der Gentechnologie argumentieren vor allem damit, dass die landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Erde durch Erosion, Versalzung und Verwüstung weiter abnehmen wird. Die Fläche, die zur Ernährung eines einzelnen Menschen zur Verfügung steht, wird daher durch diese Faktoren weiter schrumpfen. Die Gegner der Nahrungsmittel-Gentechnik wiederum fürchten gesundheitliche Beeinträchtigungen und die Dominanz großer Agrar- und Lebensmittelkonzerne bei gleichzeitigem Sterben der biologischen Landwirtschaft.
Während hier also zwei Denkwelten aufeinanderprallen, sind die Fortschritte der Gentechnologie in der Medizin dagegen weniger umstritten. Die Zahl der gentechnisch hergestellten Medikamente nimmt deutlich zu, auch aus der Diagnostik ist Gentechnik nicht mehr wegzudenken. Zudem ist die Behandlung von Erbkrankheiten und Gendefekten durch Gentherapie sicherlich ausbaufähig.
Ein weiteres großes Problemfeld der Zukunft wird die Wasserversorgung sein. Laut UNO dürften bis zum Jahr 2050 sieben Mrd. Menschen in 60 Ländern mit Wasserknappheit konfrontiert sein. Selbst in Ländern mit ausreichender Wasserversorgung durch genug Regen kommt es durch steigenden Bedarf zu einem Sinken des Grundwasserspiegels, und die Verschmutzung sowie der Ener-gieaufwand zur Reinigung von Abwasser tun ihr Übriges. In Ländern mit extremer Wasserarmut wie in Afrika ist das Problem vorwiegend ein hygienisches – und in den trockenen Golfstaaten ein ökonomisches: Riesige Meerwasserentsalzungsanlagen produzieren dort mit hohem Energieaufwand und enormem CO2-Ausstoß Trinkwasser, was zu seltsamen Resultaten führt, etwa dass in Dubai der Liter Wasser teurer ist als Benzin. Dies stützt auch die Prognose von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas: „Wasser wird ein ähnlich knapper und kostbarer Rohstoff wie Öl werden.“
Maßnahmen, um den Wasserverbrauch auf der Erde zu senken, betreffen die Verbesserung der Wasserverteilungsinfrastruktur (Austausch von lecken Leitungen) sowie neue, ausgeklügelte Methoden von Mikrobewässerung in der Landwirtschaft sowie verbessertes Wasserrecycling.
Teures Wasser
Von manchen Experten wird verlangt, Wasser generell zu verteuern, um den Konsumenten den Wert der Ressource klarzumachen. Kein Wunder also, dass der Rohstoff auch schon für die Börse interessant geworden ist. Die Zahl der Fonds mit sogenannten „Wasseraktien“ (vor allem Versorger) ist im Steigen begriffen.
Von der nachhaltigen Wasserversorgung spannt sich der Bogen auch zur Stadtplanung der Zukunft. Vor dem Hintergrund, dass sich das Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahrzehnten in Megametropolen niederschlagen wird, und das vor allem in Schwellenländern, rauchen bei Stadt- und Raum- und nicht zuletzt bei Sozialpolitikern die Köpfe über neuen Lebenskonzepten für die Großstadtmoloche der Zukunft. Die Metropolen der nächsten Jahrzehnte müssen einen komplizierten Spagat zwischen Ökologie, technischer und sozialer Innovation sowie leistungsfähiger Infrastruktur machen.
Und hier gibt es bereits einige Vorschläge für das Miteinander von Menschenmassen in Städten, die eigentlich schon als „Regionen“ zu sehen sind, wie etwa die Großräume von Tokio, São Paulo, Mexico City, Mumbai, Shanghai, Lagos und nicht wenige andere.
Zum ersten Mal in der Geschichte wird in diesem Jahrhundert mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten leben. Im Jahr 2025 wird der Anteil bereits auf 60 Prozent prognostiziert. Eine große Herausforderung für die Ökologie, noch mehr aber zunächst einmal für die Infrastruktur.
Recycling gefragt
Ein paar Ideen: Urbanitätsforscher schlagen vor, den Energie- und Ressourcenverbrauch der Städte nach Möglichkeit in geschlossene Recycling-Kreisläufe einzubringen: Energieerzeugung, Abfallwirtschaft, Regenwassernutzung, Baumaterialien und anderes soll einen eigenen Öko-Kreislauf beschreiben.
Und schließlich bleibt der Verkehr in den Großstädten die größte Herausforderung. Hier kreisen die Ideen um Fahrzeuge mit elektromagnetischen Antrieben, Skyautos oder gar eine Verlagerung einer autofreien Wohn- und Lebens- unter die Erdoberfläche, wobei hier Tageslicht mit sogenannten „Lightpipes“ (riesige Röhren mit reflektierenden Prismenfolien) in den Untergrund übertragen werden könnte.
Derzeit gibt es weltweit Projekte für insgesamt fünf „grüne Städte“, das sind solche, die auf fossilen Treibstoff verzichten oder ihn zumindest streng minimieren, eine nachhaltige Baupraxis vorschreiben, viel Grünräume und hohe Luftqualität bieten, energieeffizienten und eng vernetzten öffentlichen Verkehr einsetzen, die öffentlichen Räume fußgängergerecht gestalten und gut organisierte urbane Distrikte bauen, die Leben, Arbeiten und Einkaufen in unmittelbarer Umgebung ermöglichen.
Nach solchem Muster werden derzeit Treasure Island in der San Francisco Bay, Victoria in British Columbia, Kanada, Sherford in Großbritannien, Dongtan in China und Masdar City in den Vereinigten Arabischen Emiraten gestaltet. „Masdar City ist eine ökologische Inspiration“, sagt Projektleiter Sultan Al Jaber. „Den Energieproblemen der Zukunft kann man nur mit einem Portfolio an Lösungen begegnen.“
Ein zweischneidiges Schwert ist die Rolle, die das Internet künftig für den Menschen spielen wird. Einerseits hat es die Informationsgesellschaft revolutioniert (und wird dies noch weiter tun), das Leben erleichtert und den sozialen Umgang miteinander verändert. Andererseits eröffnen die Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung, Datenbanken und Überwachungstechnologie auch den gläsernen Menschen. In welche Richtung diese Politik geht, wird auch am demokratischen Korrektiv der Datenschutzgesetzgebung zu messen sein.
Ob die Menschheit ihre Zukunft in den Griff bekommen oder langsam, aber sicher in ihr Verderben laufen wird, darüber wird gemutmaßt, solange die Überlieferungen zurückreichen. Die Apokalypse wird in bildlichen Visionen meist durch Krieg, Hungersnöte, Seuchen und den darauf folgenden Tod symbolisiert. Allerdings bedeutet die Apokalypse nicht nur Weltuntergang, Ende der Geschichte oder Gottesgericht, sondern auch „Zeitenwende“.