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26. Juli 2024

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Die Vergangenheit der Zukunft

Die Vergangenheit der Zukunft

Vorhersagen sind schwierig. In der Tat: Die Treffsicherheit von Meteorologen ließe sich signifikant steigern, würden sie gelegentlich einmal aus dem Fenster schauen.

Nicht erst seit Thomas Morus den Begriff „Utopia“ 
geprägt hat, beschäftigt sich der Mensch mit dem, was kommt. Seit der Homo sapiens aufrecht in die nahe oder weite Zukunft schaut, die, anders als Godot, unerbittlich kommt, sind wir weder vor Kopfgeburten noch vor Hirngespinsten sicher. Die Zukunft hat in der Philosophie, aber vor allem auch im menschlichen Geist überhaupt – ob aus dem Kaffeesatz gelesen, von den Sternen her gedeutet oder historisch-kritisch betrachtet – eine besondere Rolle eingenommen, weil der Mensch die Dinge, die geschehen werden, vorhersehen will. Gleichgültig unter welchem „File“ man sie „ablegt“: Orakel, Pythia, Utopisten, apokalyptische Visionäre, Avantgardisten, Eskapisten, Genies, Wahnsinnige, Spinner, Gurus, Propheten, Astrologen, Denker, Träumer, Fantasten, Philosophen, Räsoneure, Futurologen, Zukunfts-, Trend- oder gar Mega-trendforscher, Literaten oder Drehbuchautoren. Damit 
verbunden sind immer fantastische Skizzen, utopische Gesellschaftsentwürfe, historische Projektionsflächen und surreale Wunschvorstellungen, die vom Leben auf dem Meeresboden bis zum Leben auf dem Mars reichen, ob im wahren Leben, in Literatur, Film oder TV-Seife. Schlaraffenland, Eudaimonia und Kommunismus ist eines gemein: ihre Unerreichbarkeit. Ist es nicht besser, die Zukunft möglich zu machen, als sie vorhersehen zu wollen? Und schon sind wir am Ende wieder am Anfang. „Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, bemerkte Mark Twain augen-zwinkernd. Wie recht er hat.

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

Schnappschuss

SchnappschussBootstrap Inst.

40 Jahre Computer-Maus

Seit Jahren prägt sie das Erscheinungsbild von Bürotischen auf der ganzen Welt. Sie sagt auch einiges über ihren Besitzer aus – mal gibt sie sich stylish, mal abgenudelt und verklebt. die Rede ist von der Computer-Maus. Eine Zeitreise: Am 9. Dezember vor 40 Jahren hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt. Erdacht wurde sie bereits sieben Jahre zuvor von Douglas C. Engelbart vom Stanford Research Institute. 1970 wurde diesem das Patent zugesprochen. 1974 entwickelte Jean-Daniel Nicoud an der Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne die moderne Zwei-Tasten-Maus mit einer Kugel. 1981 erfanden Dick Lyon und Steve Kirsch die optische Maus. Diese wird auf einem speziellen Maus-Pad mit einem Muster aus Punkten und Linien genutzt. Im Jänner 1983 brachte Apple Lisa, den ersten PC mit grafischer Benutzeroberfläche und „serienmäßiger“ Maus, auf den Markt. Im Mai folgte Microsoft mit seiner ersten Maus. 1984 präsentierte Logitech die erste Maus mit selbstreinigender Kugel. 1988 produzierte Microsoft seine millionste und Logitech seine zweimillionste Maus. 1990 wurde mit Windows 3.0 die Maus auch in der Microsoft-Welt unerlässlich. 2000 brachte Logitech die erste optische (LED-)Maus für den Massenmarkt heraus, 2004 folgte die erste Laser-Maus. 2008 brachte Microsoft die blaue, auf jeglichem Untergrund verwendbare Laser-Maus auf den Markt und Logitech lieferte seine milliardste Maus aus.

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

Buchtipp

BuchtippDTV

Europäische Staaten im Zukunftsvergleich

Dass die Geburtenraten immer niedriger werden und die Überalterung zunimmt – sprich: es wird immer mehr Pensionisten geben, und die Sozialsysteme werden damit künftig ordentlich gefordert sein – wissen wir schon. Doch dieses Buch macht es wieder einmal mehr als deutlich. Alle 27 EU-Länder sowie die Schweiz, Norwegen und Island wurden mittels eines statistischen Indikatorensystems vom Autorentrio Iris Hoßmann, Reiner Klingholz und Steffen Kröhnert hinsichtlich ihrer demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung analysiert, bewertet und verglichen. Gesondert wird am Schluss noch kurz auf die Balkanstaaten und die Region „östlich der EU“ (Weißrussland, Ukraine, Moldau) eingegangen.
Toll ist die eingangs präsentierte Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in zehn Abschnitten: Bevölkerungsentwicklung, Kinder und Familie, Wirtschaft und Arbeit, Alter und Versorgung, Migration und Integration, Bildung, Werte und Identität, Klima und Ener-gieverbrauch sowie Chancen und Potenziale. Schade, dass diese Abschnitte nicht auch im Inhaltsverzeichnis dargestellt sind, das würde die Übersichtlichkeit verbessern.
Gut ist, dass alle Abschnitte mit drei zentralen Thesen zusammenfassend abgeschlossen werden. In der Gesamtbewertung der 285 untersuchten europäischen Regionen führt Island. Tirol landet als am besten bewertete österreichische Region auf Platz 38. In der Länderbewertung rangiert Österreich auf Platz elf. Sieger ist Island vor der Schweiz, Schweden, Norwegen und Dänemark. Das Buch ist ein absolutes Muss für jeden, der einen kompakten Überblick über die demografische Zukunft Europas erhalten und ein wunderbares Nachschlagewerk besitzen will.

Iris Hoßmann, Reiner Klingholz und Steffen Kröhnert:
Die demografische Zukunft von Europa
dtv-Verlag, 2008, 20,50 Euro ISBN: 978-3-423-34509-5

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

Im Rückblick

Im RückblickAPA

Welche Politik(er) Jugendliche wollen

Ginge es nur nach den Erstwählern, so hätten SPÖ und ÖVP wohl keine Chance ge-habt – und die jetzige Regierung würde komplett anders aussehen. Denn bei der vergangenen Nationalratswahl haben die Erstwähler am häufigsten die Grünen (25 Prozent) und die FPÖ (21,6 Prozent) gewählt. Das ergab eine Nachwahlbefragung des Instituts für Jugendkulturforschung unter 300 Erstwählern. Unter den Jugendlichen gibt es aber auch geteilte Meinungen: Während Schüler und Studenten vor allem für die Grünen und die SPÖ votieren, wollen Lehrlinge/berufstätige Jugendliche vor allem die FPÖ und die SPÖ in der Regierung haben. Die SPÖ steht dabei allerdings in der Gunst immer nur an zweiter Stelle.

Glaubwürdig muss er sein
Die Jugendlichen sind keineswegs desinteressiert, stellen aber sehr hohe Ansprüche an den „idealen“ Politiker: Spannend müsse er sein (was auch immer das bedeutet), jugendlich, kompetent und – was den Jugendlichen ganz wichtig ist – glaubwürdig. „Bei den Inhalten wollen die Jugendlichen handfeste, praktische Lösungen für den Alltag“, weiß Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung.
Als wichtigstes politisches Thema hat ein Drittel der Jugendlichen das Thema Ausländer/Migranten genannt. „Die jungen Menschen verlangen nach Sicherheit und Regulierung“, deutet Heinzlmaier das Ergebnis. Knapp ein Viertel der Befragten sieht Ausbildung als wichtigen politischen Gegenstand, gefolgt von Studiengebühren (20 Prozent), Arbeitslosigkeit (17,9 Prozent) und allgemein jugendpolitischen Themen (17 Prozent). Abgeschlagen sind die Themen Umwelt, Sozialpolitik und Steuern. Kaum Interesse gibt es für die EU – nur 7,6 Prozent der Jugendlichen bewerten die-se als wichtig. Einen Rechtsruck sieht Heinzlmaier jedoch nicht. „Den Jugendlichen ist Ideologie egal. Sie wollen, dass sich jemand um ihre Themen kümmert“, so Heinzlmaier.
Und genau hier ortet Politologe Fritz Plasser das Problem: „Die Sorgen der Jugendlichen finden in der großen Politarena kaum Widerhall.“ Ein Grund dafür ist die mangelnde altersgerechte Vertretung im Parlament: Nur drei der insgesamt 183 Nationalratsabgeordneten sind unter 30 Jahren alt: Laura Rudas (27, SPÖ), Silvia Fuhrmann (27, ÖVP) und Stefan Petzner (27, BZÖ).

Jugendpolitik 2008
Fest steht, dass bei der Nationalratswahl 2008 Jugendthemen wie nie zuvor präsent waren. So wurde etwa die Jugendarbeitslosigkeit von den Parteien „entdeckt“ und das Thema Studiengebühren heiß diskutiert. Die SPÖ forcierte das Thema Bildungsgerechtigkeit, die ÖVP hat leistbares Wohnen propagiert. Der FPÖ ist die Ausbildung der Pädagogen wichtig, das BZÖ will ein einheitliches Jugendschutzgesetz, und die Grünen haben sich für den Ausbau der Studienbeihilfe stark gemacht.
Die junge Klientel ist fordernd. „Ich bin jeden Tag unterwegs und versuche, die Probleme der Jugendlichen umgehend in meine politische Arbeit einfließen zu lassen“, sagt BZÖ-Jugendsprecher Gerald Grosz. Die bisherige SPÖ-Jugendsprecherin Laura Rudas hat Sprechstunden abgehalten. Ähnlich verhält sich auch die Grünen-Jugendsprecherin Tanja Windbüchler-Souschill: „Es ist wichtig, ein Abgeordneter zum Anfassen zu sein.“ Neue Kommunikationswege „wie das Internet spielen natürlich eine Rolle“, sagt Silvia Fuhrmann von der ÖVP. Insgesamt ist Aktivität angesagt. „Bemüht man sich nicht wirklich ausreichend, hat man die Jugendlichen bald wieder verloren“, weiß FPÖ-Jugendsprecher Christian Höbart. Foto: APA

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WARENKORB

• Eco-Handy. Das Samsung E200 Eco besteht aus Bioplastik, das aus Mais gewonnen wurde. Auch die Verpackung wurde entsprechend umweltfreundlich gestaltet. Ansonsten kann es, was ein gewöhnliches Handy können soll. Preis: 79,90 Euro als Bob-Startpaket.

• Notebook-Polster. Mit dem Logitech Comfort Lapdesk bekommt man einerseits eine stabile Unterlage für alle Notebook-Lebenslagen und andererseits einen Hitzeschutz gegen heiß gelaufene Rechner. Preis: 39,90 Euro.
Fotos: Hersteller

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Reaktionen

Was soll das?

Zu „Innovationsbremse Fachkräftemangel“ aus economy Nr. 67, Seite 14: Schön langsam habe ich das Gejammere satt. Wer, wenn nicht die Unter-nehmen, hat in den vergangenen Jahren in gigantischem Umfang „ältere“ (ab 50 Jahre) Arbeitskräfte „freigesetzt“? Jetzt wird gejammert, dass es keine Fachkräfte gibt. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Auch bei bester Qualifikation hat man jenseits der 50 keinerlei Chance auf dem Arbeitsmarkt. Aber es wird gejammert und gleichzeitig behauptet, dass die Österreicher so „faul“ sind und alle die Frühpension anstreben, was ja auf die Dauer nicht zu finanzieren sein wird. In Wirklichkeit soll eine Öffnung der Grenzen nur billigere Arbeitskräfte bringen – was an sich ja auch durchaus legitim wäre. Nur sollte man es dann auch klar aussprechen! Genug 
gejammert!

Franz Maier, Internet-Posting

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Karriere

• Andreas Bischof (41) ist neuer Chief Financial Officer des Handy- und Internet-Spieleentwicklers Xen-dex. Der gebürtige Steirer begann 1995 seine Karriere beim Kreditkartenanbieter Visa und wechselte anschließend zu Telekom Austria, wo er die Leitung der Abteilung Kostenrechnung und Reporting innehatte. Im Jahr 2002 übernahm er dann die Aufgabe des Head of Corporate & Management Reporting bei Hutchison 3G Austria. 
Foto: Xendex

• Der Medizinprodukte-Hersteller Lohmann & Rauscher, 1998 aus der Fusion der Lohmann-Medical-Sparte und der Rauscher-Gruppe entstanden, bekommt 2009 eine neue operative Führung: Josef Doppler startet im Jänner als Mitglied der L&R-Geschäftsführung und designierter Nachfolger des derzeitigen geschäftsführenden Vorsitzenden Helmut Leuprecht. Im Juli 2009 übernimmt Doppler die Gesamtverantwortung als CEO. Foto: L&R

• Das Trainings- und Consulting-Unternehmen die Berater Unternehmensberatung holt sich externe Verstärkung für sein Team. Peter Levak, ehemaliger Geschäftsführer von Adecco 
Österreich, übernimmt als Interimsmanager den Aufbau und die Leitung des Geschäftsbereichs Zeitarbeit. Levak war bisher für Unternehmen wie Oracle oder die amerikanische Handelskammer in Österreich tätig. Foto: die Berater

• Günter K. Stahl verstärkt die Wirtschaftsuniversität Wien als neuer Professor für International Marketing and Management (IMM) am gleichnamigen Institut. Bisher war Stahl Associate Professor für Management an der Pariser Wirtschaftshochschule 
Insead. Dort wirkte er auch zuletzt maßgeblich am Aufbau des Asien-Campus in Singapur mit. kl Foto: WU Wien

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Schöne neue Arbeitswelt

Schöne neue ArbeitsweltBilderbox.com

Enorme Fluktuation und Dynamik etablieren sich auf dem österreichischen Arbeitsmarkt.

Im Zeitalter der dritten industriellen Revolution ist die Vorstellung, jeder könne (s)ein Leben auf Erwerbsarbeit aufbauen, anachronistisch geworden. Die Finanzkrise wirkt sich dabei als Katalysator einer Entwicklung aus, die, seit Reissäcke in Amerika umgefallen sind, auf dramatische Weise offenlegt, dass effizientes, wirtschaftliches Handeln in einer globalisierten Welt durch Fehlentscheidungen die Arbeitsplätze auch im hintersten Winkel der Republik betreffen kann. Auf dem Arbeitsmarkt kommt es zu einer dramatischen Schubumkehr. Gut kann man nur sein, wenn es allen gut geht – und wenn alle gut sind.
Beispiel Automobil: Längst gehörte nicht mehr das Autobauen zum Kerngeschäft von GM oder Ford, sondern das Transferieren und Jonglieren mit Kapital rund um den Globus sowie – dies alles flankierend – riskante Wechselkursspekulationen. „Die Arbeit ist der Eckstein, auf dem die Welt ruht, sie ist die Wurzel unserer Selbstachtung.“ Diese Worte hat Henry Ford seinen Nachfolgern, die heute erschreckend defätistisch damit umgehen, 1923 auf die Fahnen geschrieben.
Die Frage nach der „Zukunft der Arbeit“ wurde an der Schwelle zur Jahrtausendwende vielfach akademisch geführt und von Soziologen genutzt, durch Plattitüden und effektvolle Dramatisierung den Fokus auf sich selbst zu lenken. Wobei es an „Tiefenschärfe“ mangelt: „Wir stehen am Beginn tief greifender sozialer und technologischer Umwälzungen, wie sie die Geschichte noch nicht gesehen hat“, schrieb Jeremy Rifkin 1995 in Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. „Vielleicht werden schon bald Millionen Menschen weniger lang arbeiten müssen, während ihr Wohlstand stetig wächst. Vielleicht führt die technologische Revolution aber auch zu Wirtschaftskrisen. Wie in den 1920er Jahren stehen wir kurz vor einer Katastrophe.“ Die-se ist nun mit der Wucht eines Halleyschen Kometen auf den Arbeitsmarkt geprallt.
In Vorahnung des Armageddons auf dem Börsenparkett, den Finanz- und in Folge den Arbeitsmärkten kritisiert Wolfgang Englers sozialphilosophische Analyse Bürger ohne Arbeit: Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft bereits 2005 die Selbstentmachtung der Politik und die Dominanz der Wirtschaft über alle Lebensbereiche. Sein ebenso leidenschaftliches wie provokatives Plädoyer für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft, gleichzeitig Gegengift zur fatalistischen Ansicht, die Globalisierung sei ein Naturgesetz, gegen das man machtlos sei, mündet in die Forderung, die Marktwirtschaft über das bisher erreichte Maß hinaus zu zivilisieren, auf menschliche Grundbedürfnisse zu verpflichten. Geleitet von der These, dass mit dem Verschwinden der Erwerbsarbeit die tradierten Lebensmodelle nicht mehr tragen, weisen für ihn die Rezepte neoliberaler Ökonomen und Politiker wie Einfrieren der Löhne und Gehälter, expandierende Arbeitszeit, Mobilmachung der arbeitsfähigen Bevölkerung, und geringere Sozialleistungen bei Teilprivatisierung der Sozialsysteme keinen Ausweg aus der Krise.
Die Diskrepanz zwischen Produktivität, Wachstum und Beschäftigung verlange nach neuen Modellen der Lebensführung und des sozialen Zusammenhalts. „Die Existenz auch ohne Lohnarbeit zu sichern und die persönliche Würde zu wahren, wird für immer mehr Menschen zur wichtigsten Überlebenstechnik“, lautet sein Credo. Weiters stellt er „Bedingungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen“: durch Schulabschlüsse zu belegende Bildungsanstrengungen als Voraussetzung für das Bürgergeld. Die fundamentale Kritik der gesellschaftlichen Fixierung auf die (Erwerbs-)Arbeit bleibt ambivalent: einerseits reizvoll und sympathisch, andererseits vor allem die Frage der Finanzierung schlicht utopisch.

Das Glück des Tüchtigen
Viel treffender, weil praxisbezogen, skizziert Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), den Weg in eine „Tätigkeitsgesellschaft“. Die Zukunft führt geradewegs zurück zum römischen Konsul Appius Claudius Caecus: Jeder ist seines Glückes Schmied. Es kommt zu vielfältigen Brüchen in den Erwerbsbiografien. Phasen abhängiger Beschäftigung können durch Phasen selbstständiger Beschäftigung oder auch durch Arbeitslosigkeit abgelöst werden.
Bereits heute sind mehr als 50 Prozent der WKO-Mitglieder Ein-Mann-Betriebe, was enor-me Konsequenzen für die WKO selbst mit sich bringt. „Im Fokus unseres Engagements für Konzerne steht die Standortsicherung, bei den mittelständischen Unternehmen die Entlastung bei Steuern und Abgaben und bei den kleinen und Kleinstunternehmen die unmittelbare soziale Absicherung.“ Zentrale Frage wird sein, ob in Zukunft genug bezahlbare Arbeit für alle da ist.
Gleitsmann konstatiert enor-me Fluktuation und Dynamik auf dem Arbeitsmarkt, „wie man es von Österreich gar nicht vermuten würde“: Pro Jahr verändern sich 1,5 Mio. Arbeitsverhältnisse, werden neu begründet. Gleitsmanns Prognose für das Jahr 2025: Die bisherige Arbeitswelt mit ihren starren Arbeitszeiten, festen Orten und zentralen Unternehmensstrukturen wird sich radikaler als je zuvor verändern. Innovative Informations- und Kommunikationstechnologien erlauben die Umsetzung der neuen Maxime „Arbeite mit wem, wo und wann du willst“. Flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten in virtuellen Netzwerkstrukturen bilden dafür die Basis.

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

Der Kommunismus ist tot, das Ideal lebt

Der Kommunismus ist tot, das Ideal lebtEPA

Kommunismus als Staatsform ist gescheitert. Die Utopie einer Gesellschaft ohne Armut und Ausbeutung lebt dennoch weiter. Freie Liebe ohne Eifersucht ist schwer lebbar. Das Ideal einer freien Liebe existiert trotzdem.

Vielleicht war er schon leicht abtrünnig, vielleicht sollte er auf orthodoxe Pfade zurückgeführt werden, vielleicht war er für höhere Weihen berufen. Jedenfalls schickte die Kommunistische Partei Österreichs ihr Mitglied Robert Sommer 1988 für ein halbes Jahr nach Moskau. Zwecks Kaderschulung. Doch die Partei hatte nicht wirklich mitgekriegt, was in Moskau los war.
„Die dogmatischen Kommunisten aus der Breschnew-Zeit waren weg aus der Schule“, erzählt Sommer. „Die neuen Lehrer waren gegenüber dem alten System total kritisch und erzählten Schauergeschichten darüber, was sich hinter den kommunistischen Fassaden wirklich abspielte.“ Es war die Zeit von Michail Gorbatschow, der als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit Glasnost (Transparenz, Meinungsfreiheit) und Perestroika (Erneuerung) die Sowjetunion umzubauen versuchte.
„Aus der geplanten Gehirnwäsche ist nichts geworden“, sagt Sommer. Stattdessen erlebte er eine Aufbruchsstimmung, wie es sie nur ganz selten gibt. „Es knisterte. Die Leute, die sonst eher resignativ sind, waren involviert und interessiert. Sobald eine neue Zeitung in einem Schaukasten aufgehängt wurde, bildeten sich Trauben von Menschen, die lesen wollten, was gerade wieder aufgedeckt worden war.“
Zurück in Österreich trat Sommer aus der KPÖ aus.

Hehre und furchtbare Ideale
Den Traum von einer Gesellschaft, in der Menschen frei von Zwang und Ausbeutung sind und mit ihrer Arbeit dem Gemeinwohl dienen, gibt es seit Langem. Zumindest seit zweitausend Jahren ist er dokumentiert. Die Versuche, den Traum zu realisieren, sind aber meist nur kurzlebig. Das 20. Jahrhundert war besonders reich an Versuchen, Utopien in die Wirklichkeit umzusetzen. Und besonders ernüchternd. Der Reihe nach scheiterten die hehren Ideale – aber auch die furchtbaren „Ideale“, etwa der Versuch von faschistischen Bewegungen, „rassen“-reine Menschen zu züchten.
Auch aus den Idealen, die die legendenumrankte Genera-tion der 68er entwickelte – eine freie Gesellschaft ohne Zwang und Ausbeutung, freie Liebe ohne Eifersucht und eine echte Gleichheit von Mann und Frau – ist bis auf Weiteres nichts geworden.
Das kommunistische Ideal, das keine Erfindung von Karl Marx war, sondern auch urchristliche Gemeinschaften erdacht hatten, ist nach 70 Jahren Sowjetunion wieder zur Utopie geworden. Millionen von Menschen wurden im Laufe der Jahre durch die kommunistische Realität in der Sowjet-union und in China ernüchtert, und die Hoffnungen der letzten Gläubigen zerbrachen bei der Auflösung der Sowjetunion.
Ernüchtert sind auch die Anhänger der freien Liebe. Im Zuge der sexuellen Befreiung ab den späten 1960er Jahren probierten viele Paare die Liebe ohne sexuelle Treue.
Anna war mit Peter zusammen. Und verliebte sich in Paul, Peters besten Freund. Die höchsten Werte der drei waren Offenheit und Vertrauen. Anna schlief mit Peter, und sie schlief mit Paul, und beide Männer wussten davon. Glücklich waren sie nicht darüber, aber sie machten keine Eifersuchtsszenen. Das wäre reaktionär gewesen. Eifersucht und Angst vor dem Verlassenwerden spürten die Männer dennoch. Manchmal gingen die beiden Freunde auch auf ein paar Biere, um zu reden, aber sie konnten es nicht wirklich. Denn Eifersucht, so ihre Überzeugung, war bürgerliches Besitzdenken und deshalb verwerflich, und wer sie dennoch spürte, musste sie bekämpfen und unterdrücken.
Als Anna schwanger wurde und ein Kind zur Welt brachte, aber nicht wusste, wer der biologische Vater war, wurde alles noch ein wenig komplizierter. Ein Vaterschaftstest wäre erzreaktionär gewesen. Beide Männer waren als Papa glücklich. Irgendwann entschied sich Anna für Paul und die ganz normale Kleinfamilie. Weil ihr die eigene Zerrissenheit zwischen den zwei Männern zu schaffen machte. Die Namen der drei Personen sind geändert, aber die Geschichte ist wahr.
Viele Paare haben sich ernsthaft mit dem Konzept einer freien Liebe, einer offenen Beziehung auseinandergesetzt. Da geht es nicht um das Ausleben sexueller Fantasien durch Partnertausch oder Gruppensex. Das ist auch passiert, aber das ist nicht mit einer offenen Beziehung gemeint.
Das Konzept der freien Liebe geht tiefer. Es entsteht aus einer Philosophie der Freiheit. Ein Mann gesteht seiner Partnerin zu, sich in einen anderen Mann zu verlieben und mit ihm eine sexuelle Beziehung einzugehen. Er gesteht ihr das zu, weil er die Frau, die er liebt, nicht besitzen will. Sie soll frei sein, sich voll und ganz zu verwirklichen.
Unterfüttert wurden diese idealistischen Strömungen unter anderen vom Philosophen Erich Fromm, der mit seinem Büchlein Die Kunst des Liebens einen Millionen-Bestseller landete und mit seinem 1976 erschienenen Werk Haben oder Sein das Ideal einer seinsorientierten Lebensweise beschrieb. „Lieben ist ein produktives Tätigsein, es impliziert, für jemanden zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm zu erfreuen. (...) Wird Liebe aber in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies, das Objekt, das man ‚liebt‘, einzuschränken, gefangen zu nehmen oder zu kontrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend“, schreibt Fromm in Haben oder Sein.
Natürlich gab es auch Paare, bei denen ein Partner, meistens der Mann, unilateral die Beziehung für offen erklärte und es hemmungslos mit anderen trieb, während der/die andere, meistens die Frau, darunter litt. Die Eifersucht lässt sich nur schwer mit dem Kopf bewältigen, wenn sie im Herzen wehtut. Als Ideal für die gelebte Form einer freien Liebe galt lange Zeit, zumindest in Intellektuellenkreisen, die Beziehung zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Bis nach ihrem Tod zahlreiche Biografen auch diese Beziehung entzauberten.
Die heute Zwanzigjährigen halten das sowieso für uncool. Die höchsten Werte sind Offenheit, Vertrauen und Treue. Die Experimente ihrer Eltern sind vorgestrig. Wer eine Freundin hat, aber mit einer anderen Frau schläft, ist ein fieser Kerl.
Heute leben die meisten, die früher mit freier Liebe experimentierten, die Monogamie, wenn auch oft eine serielle. Konsekutive Liebe scheint leichter lebbar zu sein als simultane Liebe. Die Jungen probieren es anscheinend gar nicht mehr. Das Pendel hat zurückgeschlagen.

Keine Hierarchie als Utopie
Manche Utopien leben weiter. „Meine Utopie ist dieselbe, die ich schon mit 16 hatte“, sagt Robert Sommer: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Die Ziele der Französischen Revolution. „Die Kommunisten haben vertreten, dass der Zweck die Mittel heiligt. Damit hatte ich immer schon Probleme.“ Er ist davon überzeugt, dass man mit Mitteln der Gewalt nicht die Gewaltlosigkeit erreichen kann.
Sein neuer Weg ist, sich jetzt schon seiner Utopie zu nähern und in seinem Lebensbereich eine hierarchielose Gesellschaft zu verwirklichen. Gemeinsam mit seiner Partnerin gründete Sommer vor 14 Jahren die Obdachlosenzeitung Augustin, die gleichzeitig ein Sozialprojekt ist. Sommer wäre wohl Chefredakteur, wenn es Chefs gäbe. Doch im 13-köpfigen Team gibt es strikt keine Hierarchien.

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

Freudentränen und brennende Kreuze

Freudentränen und brennende KreuzeEPA

Mit Barack Obama möchten die USA ihre Rassenprobleme hinter sich lassen. Doch Veränderung wollen nicht alle.

Als Barack Obama seine Siegesrede im Grant Park in Chicago hält, laufen dem Politiker und Bürgerrechtler Jessie Jackson die Tränen herunter. „Seine Generation musste zusehen, wie Leute umgebracht wurden, weil sie afroamerikanische Wähler registrieren wollten“, beschreibt sein Sohn Jesse Jackson junior die Bedeutung dieses Augenblicks für seinen Vater.
Als sich der Demokrat am 4. November die Mehrheit der US-Wählerstimmen sicherte, riefen Leute im ganzen Land begeistert „Obama“ durch die Straßen, tanzten, stießen mit Fremden zu Sekt an. Nur in Amerika kann es solche Erfolgsgeschichten geben, versicherten die Medien in den darauffolgenden Tagen: der amerikanische Traum, wiederbelebt wie lange nicht mehr. Die Leitungen von Websites sogenannter White-Supremacy-Gruppen (weiße Vorherrschaft) liefen heiß. Allein auf einer davon sollen sich 2000 neue Mitglieder eingeschrieben haben.
Anders als sein Vater ist der junge Jackson ein afroamerikanischer Politiker einer Generation, die „race-neutral“ genannt wird und „ohne Last der Vergangenheit miteinander umgeht“, sagt Clarence Page, Kolumnist bei der Chicago Tribune. Abseits von Hautfarbe werden Probleme auf ein „menschliches“ Level heruntergebrochen, wie es Washington Post-Autorin Jonetta Rose Barras formuliert. „Alle Amerikaner können am Fortschritt teilhaben, den sie als Nation geschafft haben“, stimmt Jackson junior zu.

Abseits des Klassenkampfes
Während aufgeregt diskutiert wird, ob die neuen USA nun „post-racial“ oder nur „multi-racial“ sind, macht sich die Welt, in der Rasse kein Thema mehr ist, für viele nur langsam bemerkbar: „Ich kann meiner kleinen Tochter erst jetzt sagen: ‚Schau, du kannst wirklich Präsident werden“, so ein Mann bei einer Blitzumfrage. Auch Obama repräsentiert eine Politik, die die Themen der schwarzen Führer der 1960er und 1970er Jahre nicht in den Vordergrund stellt. „Sind Afroamerikaner bereit, dies zu akzeptieren und positiv zu reagieren?“, fragt sich Barras. Der Vorwurf, dass schwarze Amerikaner in einer Opferhaltung verharren, um den eigentlichen Problemen nicht auf den Grund gehen zu müssen, ist in der Diskussion allgegenwärtig. „Wir schieben oftmals alles auf die Hautfarbe. Und das hilft dabei, uns zu verstecken“, erklärt Page. Obama kommt dabei eine besondere Position zu: Nicht zuletzt ist es seine Hautfarbe, die es ihm ermöglicht, heikle, von weißen Politikern ausge-sparte Themen anzusprechen. Eine Kostprobe gab er bei einer Wahlveranstaltung in North Carolina, wo er überaus deutlich die Verantwortung schwarzer Väter gegenüber ihren Familien einmahnte.

Brennende Kreuze
Seit der Endphase des Wahlkampfs brennen wieder Kreuze, die Symbole des Ku-Klux-Klans, dieses Mal auf den Wiesen der Obama-Anhänger. Laut Mark Potok, Direktor des Southern Poverty Law Center, sind rassistisch motivierte Verbrechen kräftig im Steigen begriffen.Über das ganze Land verstreut tauchen Obama-Figuren festgezurrt in Galgenschlingen auf.
In Massachusetts wurde zuletzt die Kirche einer afroamerikanischen Gemeinde angezündet. „Hunderte von Zwischenfällen, von Küste zu Küste“, überschlägt Autor Erik Ose, der dies allerdings für eine Art letztes Aufbäumen hält: die blinde Wut einer Gruppe ewig gestriger Amerikaner, die sich nicht eingestehen will, dass Veränderung tatsächlich stattfindet.

Economy Ausgabe 68-01-2009, 01.01.2009

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